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Mnn kann mit einiger Bestimmtheit sagen, das Myrou, Polyklet und Phidias bei
ihren Darstellungen noch immer an den Formen des Mittelwuchses festgehalten haben und
dass erst später die Verhältnisse des Hochwnehses maassgebend geworden sind. Lysippus
steigerte zwar am Apoxyomenos die Ditferenz des Ober- und Unterkörpers gleich bis au
die iillsserste Grenze der Möglichkeit; Praxiteles aber und die Meister der Niobidengruppe
hielten sich darin noch massvoll, und alle diese Meister, auch Lysipp, gingen vom Gleich-
maass des Ober- und Unterschenkels noch nicht ab. Erst an den Werken der neueren Grie-
chen und aus der Römerzeit findet sich ein Usbermaass in der unteren Körperhälfte cha-
rakteristisch genug, innerhalb dieser mit einem Uebermaass des Unterschenkels.
Da. die grösseru Mehrzahl der erhaltenen Werke aus dieser letzteren Zeit herstammt,
so müssen gerade die Formen mit abweichenden Proportionen, deren es so manche gibt,
ein um so grösseres Interesse erregen. Denn ihre Durchsicht und Prüfung wird vielleicht
manches ergeben, das zusammengehalten mit Bekanntem, weitere Aufklärungen geben kann
in BetreE des künstlerischen Vorgehens. Man wird dabei aber mehreres zu berücksich-
tigen haben.
Es finden sich Fälle, welche in klarster Weise darthnn, dass gerade die Propor-
tionen in den Händen des Künstlers ein sehr wirksames Mittel sind zur Erreichung des
beabsichtigten Ausdruckes. S0 reiht sich an die Standbilder von Göttern und Heroen, die
man „heben" wollte und deshalb im Hochwucbs, gesteigert durch Uebermaass der Unter-
schenkelliinge darstellte, der borghesische Fechter, eine Figur, an welcher der beabsichtigte
Eindruck des raschen Emporschnellens gerade durch das Uebermass in der Lange des ge-
streckten Beines nicht unwesentlich gefördert erscheint. Dagegen aber sind zu halten der
sogenannte Gsrmanicus als Pnrträtstatue, noch mehr der mnsicirende Faun, der in allen
seinen Formen herabgedriickt ist.
Einen Fall, wo es das Geüillige erforderte, vom üblichen Maasse abzugeben, ergibt
der Vergleich der beiden Gallier. Während der stehende in der Gruppe mit einem Ueher-
mnnss im Unterschenkel ausgestattet ist, hat der sterbende, dessen linkes liegendes Bein
in seiner ganzen Länge dem Beschauer unter das Auge gebracht ist, einen Unterschenkel
von gewöhnlichem Verhältniss. Auch alle eingeknickten, knieenden oder in die Hocker-
stellung gebrachten Figuren haben einen maassvoll gebildeten Unterschenkel. Man denke
sich nur, um den Grund davon einzusehen, z. B. den Apollo vom Belvedere in eine solche
Attitnde gebracht.
Einen Fall. wo es der Mechanismus war, der die natiirlichsten Verhältnisse dictirte,
stellen die beiden Ringer von Florenz dar.
Ganz ausgeschieden aber aus der neuen Reibe müssen alle Figuren werden, welche
etfenbsa Nachahmungen eines älteren Styles sind, s. B. der farnesische Hercules, der ob-
wohl lysippisch gestreckt, doch noch das Gleichmaass in den Theilen der unteren Glied-
maassen zeigt. Dasselbe findet sich auch an manchen Satyrgestalten, am sogenannten Her-
mes von Florenz n. s. w.
Die Analyse der weiblichen antiken Formen mit allen detaillirenden Maassangabou
und Diagrammen ist dem zum Druck vorbereiteten Heße vorbehalten.
Kleinere Lüttheilungen.
(Correspondent des Museums.) Se. kaiserl. Hoheit der durch-
lßuchtigste Herr Erzherzog Rain er hat in Höchstseiner Eigenschaft als
Protector des k. k. Museums für Kunst und Industrie im Sinne des ä. 22
der Statuten dieser Anstalt den Freiherrn Maximilian v. Kübeck, Reichs-
rathsabgeordneten, zum Correspondenten des Museums ernannt.
(Neu ausgestellte Gegenstände.) Am 15. Jsuner: Das Modell der auf der
Schraubeufregattte „Erzherzog Ferdinand Mux" beündlichen Dampfmaschine, gearbeitet
vom Stebilimento tecnico in Fiume, Eigenthum Sr. k. Hoheit des durchl. Kronprinzen
Rudolf; ein Basrelief, Madonna, von Deuatello, eine Agraife, orientalisch, aus dem
6. Jahrhundert, ein schmiedeeiserner Kamiusl-iinder, gothisch, 15. Jahrhundert und eine
silbertauaehirte Schüssel aus dem Jahre 1550, gearbeitet in Corfu, aämmtlich Eigenthum
des Herrn Baron Switer in Paris; zwei Holzreliefs, Portrüt-Medaillons vom Jahre 1764,
Eigenthum Sr. Exc. des Herrn Baron Hornstein; ein emnillirter Ring, nach Zeichnung
des Architekten Lippert gearbeitet von Anton Naute; ein mittelalterlicher Holzleuchter
aus Kamnitz, Geschenk des Herrn Prof. Klein.