Wie ist alles anders! Noch sieben Stunden bis Sao Paulo, der
Stadt der modernen Architektur, des aufstrebenden Weltstadt-
gedankens.
Niemand, der Rio versäumen möchte, mit seinen herrlichen
Küstenstraßen, der weltberühmten Copacabana, den Bergen
mitten im Stadtbild und dem ausgeglichenen Klima. Wunderbar
ist der Anflug vom Norden. Wir fliegen knapp an der riesigen
Christusstatue am Corcovado vorbei, die hell beschienen ist. Man
vergleicht sie der Freiheitsstatue vor New York und zieht den
Atem an über dieser wahrhaft einmaligen Stadtlandschaft mit
Seen, Bergen und Flußläufen in ihren Grenzen.
Abb. 2. Kontraste. Wie überall. wo über dem behitbigen Hindäminern
der Jahrhundertwende plötzlich das Gigantische hereinbraeh. übergangs-
los und im Rekord, bleiben solche Anachronismen wie durch Zufall übrig.
Der Flug von Rio nach Bahia, dem heutigen Salvador, wird nur
von zweimotorigen Maschinen durchgeführt. Wir benützen den
„Cruzeiro do Sul". Der Flugbahnhof Santos Dumont liegt im
Innern der Stadt, während der Flugplatz für die großen Ma-
schinen weitab am Stadtrand sich befindet. Wir unterbrechen
den Flug vorerst nach einer halben Stunde in Vitorio. Die Küste
entlang gewahrt der eifrige Beobachter aus der Vogelpcrspck-
tive Einblicke in die Urwaldlandsehaft, die Riesenschlingcn gi-
gantischer Flußläufe. Abwechselnd grünes und dürres Land,
braune und rote Erde, ein Panorama der Einsamkeit.
Plötzlich regnet es. Gewaltige Güsse treffen den Vogel. Böen
stoßen gegen den Rumpf des Flugzeugs. Sie heben ein wenig
die Flügel von unten. Immer wieder durchdringen wir Wolken-
ballen. Sie machen eine Weile das Flugzeug erzittern und lassen
es leise wippen von einem Flügelendc zum andern. Usc cintos!
Es schaukelt manchmal bedenklich. Dichter Nebel liegt über
dem Boden. Aber der Pilot findet bravourös seinen Weg. Er
nimmt die Kurven, als schäle er einen Apfel. Große Schirme
werden uns beim Aussteigen gereicht. In einer halben Stunde
geht es weiter. Es rieselt noch im Grau. Aber als wir wieder
hochkommen, wie ein Wunder, es ist ein viertel sechs Uhr
abends, um sechs bricht plötzlich die Finsternis herein. Aber
jetzt leuchtet noch die Sonne über dem Ncbelmecr. Die Wolken-
schwaden ziehen, dünne blaue Schleier. Die Motoren stemmen
sich_-gegen das Windgebrause. Nur die starke Sonne gibt Hoff-
nung. Wieder ergießt sich das Abendrot über eine phantastische
Landschaft. Noch immer streben die breiten Flüsse in weiten
Schlingen zum Meer. Der matto virgem (Urwald) schließt sich
zusammen zur Nacht. Noch drei Stunden dauert der Flug. Man
laßt sich in die Polster zurücksinken. Das Licht wird gelöscht.
Kühl wird es in dcr Kabine, die anscheinend weniger drucksicher
ist. Die Hostcß teilt Decken aus. Nlan packt sich ein. Einen Hut
auf den Kopf! Mit Mänteln und Shawls ist man gewappnet. Ich
schreibe mit H.'xndsehuhcn an den Händen und versuche einiges
festzuhalten. So vergehen die Stunden. Nach vereinzelten Lich-
tern wicder ein Lichthaufen in der Tiefe. Die Sternenkette an
der Praia wird sichtbar. Die Stewardefl verrät mit Lächeln: zehn
Minuten noch nach Buhia.
Welch eine angenehme laue Luft umfängt uns wieder. Wir alle
stecken noch in Mänteln. Erst auf der Fahrt in diese romantische
Traumstadt löst sich die Starre. Das Bild Brasiliens ist mannig-
faltig. Hier offenbart sich für unser Empfinden die glückliche
Hatrmonie von Natur und Zivilisation. Es stört kein Wolken-
kr; zer und kein Baugerüst. In ruhiger Beschaulichkeit liegen
die Parkanlagen da, sie vermitteln ein beglückendes Gefühl des
Friedens. Die niedrigen Paläste zeugen von portugiesischer, ja
noch niederländischer Eigenart. Die Sehnsucht rührt der weite
Blick über das Meer. Die Altstadt in der Tiefe birgt Quellen
ursprünglichen Volkstums. Dreihundertundfünfundsechzig Kir-
chen, soviel Tage das Jahr hat, laden zum Besuch. Viele, wie das
liranziskanerklostcr, prangen in Gold. Auf den Märkten quirlt
das bunte und nackte Leben. Neger neben Indios halten hier ihre
Waren feil. Kinder betteln. Die Kutsche eines Reichen fährt
vorbei. Keiner beneidet den andern. Unsere Augen trinken Far-
ben und Fülle dieser fremden Schönheit und Eigenart. Sie feiern
Feste, die sie sich schon lange gewünscht. Eine blinde Frau geht
vorüber. Hilfreiche Hände stützen sie. Sie ahnt nichts von unsc-
rcm Glück der Fremde. Uns kommen die Tränen. Wir wissen
nicht mehr, warum.
Am nächsten fvlorgcn fliege ich endlich weiter nach Sao Paulo.
(Öelzet-Orient
rlez (ßeßswteppiah. (um Österreich.
ein. hrzmituljtu Äpifzwuszvirgzniß
lteznältrlr Qmrlitii}, ruu reiner, edelste: Walle
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