Unter diesem Zeichen werden Künstler wie Kokoschka, der mit
den extremsten Gefahren ringt, oder Faistauer, der in seiner
Kunst heil geblieben ist und den Menschen immer wieder in
seinem unberührten, naturhaften, naiven Aspekt zeigt, bei ztllcr
Gegensätzlichkeit verbunden und der gleiche Geist ist es, der
den Kämpfen eines Schiele und eines Gerstl seinen Sinn gibt. Die
Liehtgestalten, die Unbcrührten, zu denen auch Wiegelc gehört,
stehen am anderen Pol eines Spannungsfeldes, das alle Möglich-
keiten des Menschseins beinhaltet. Und es ist gerade das Humane
der österreichischen modernen Malerei, das sie davor behütet hat,
etwa einen „Kollektivstil" zu entwickeln, wie das - mit Er-
folg! - die Künstler der Dresdner „Brücke" anstrebten.
Ein gerüttelt Maß Schuld an der Tatsache, daß Österreichs Kunst
der Kokoschkztgeneration in der Welt nur wenig gilt, liegt bei
uns selbst. Es mutet tragisch an, daß das große, offizielle Oeuvre-
Verzeichnis Kokoschkas zwar bei einem österreichischen Verlag
(Welz, Salzburg) erschienen ist, aber von einem jungen deut-
schen Gelehrten verfaßt wurde. Und auch die endgültige, ab-
schließende Arbeit über Kubin wurde vom Kubin-Arehiv Ham-
burg herausgegeben. Der Verfasser dieser Zeilen, der mit der
Vorbereitung der Salzburger Ausstellung betraut war, weiß aus
allerpersönlichster Erfahrung, wie wenig Konkretes, Positives
über die Geschichte des österreichischen Expressionismus fußbar
ist. Die Flut von deutschen Publikationen aller Wertegrade, die in
den letzten drei, vier jahren von großen Verlagen in höchsten
Auflageziffern attsgestoßen wird, beweist immer wieder, wie gut
bearbeitet das Feld in Deutschland ist - vor allem aber, mit
welcher Aufnahmebereitschaft seitens des Publikums in Deutsch-
land gerechnet werden kann. Und bei uns sind die ohnehin so
„harmlosen" Expressionisten in der Meinung auch der Gebilde-
ten immer noeh „wilde Männer.. ."
In diesem Sinn mag der Salzhurgcr Ausstellung zu allem anderen
auch noch eine gewisse aufrüttelnde Wirkung zukommen.
Abb. 3. Lgun Schick":
Selbstbildnis. Öl auf [min-
wnnd, 75 _ "i cm.
(G21 Jwu Wurlle, Wwen)
EINE KIRCHE FÜR MATZLEINSDORF
ZUM INTERNATIONALEN ARCHITEKTURWETTBEWERB DIZR IZRZDIÖZESE WIEN
Die alte Matzleinsdorfer Pfarrkirche, die inmitten der Wicdncr
Hauptstraße steht - ein Wahrzeichen des fünften Bezirkcs -,
wurde heuer 238 jahre alt. Es ist nicht sicher, ob sie ihr 250jiih-
riges Jubiläum erleben wird. Denn sie soll abgerissen werden.
Pläne sehen hier die Südeinfahrt der Autobahn vor. Da glaubt
man, daß die dem heiligen Florian, dem Schutzpatron der Rauch-
fangkehrer, geweihte Kirche den Autofahrern im Wege sein wird.
Dabei übersieht man ganz, daß die Wiedner Hauptstraße gerade
an dieser Stelle sich bauchartig erweitert und so dem Verkehr
genügend Platz gibt. Einige hundert Meter weiter zum Ring
läuft die Straße trichterförmig zu; dort beginnen die hemmenden
Kreuzungen und Verkehrsfallcn. Das einzige, was in der Nähe
der Matzleinsdorfer Kirche tatsächlich den Verkehr behindert,
ist die Straßenbahnhaltestclle, die sich rechts unmittelbar neben
der Kirche befindet. Dabei wäre es leicht, diese Haltestelle etwa
30 bis 40 Meter in Richtung Gürtel zu verlegen. Leichter auf
jeden Fall, als das alte Barockkirchlein abzurcißen.
Schon einmal drohte der Kirche des heiligen Florian dieses
Schicksal. Das war 1787, als sie 68 jahre alt war. Damals gab
joseph II. den Befehl dazu. Doch gelang es den Matzlcinsdor-
fern, dies zu verhindern. Hoffen wir, dall es ein Präzedenzfall
war, und auch diesmal die Kirche den geplanten Anschlag über-
leben wird. Nicht nur, daß sie ein in seiner Schlichtheit würdiger
Baroekbau ist, an dem vor allem die Gewölbe über dem Pres-
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von WIELAND SCHMIED
byterium kostbar sind, auch vorn städtebaulichen Standpunkt
ist sie nicht wegzudenken. Die Wiedner Hauptstraße ergäbe ohne
sie einen trostlosen, ganz vcrödeten Anblick.
Seit langem aber ist die Kirche für die Pfarrgcmeindc zu klcin
geworden. Die Pfarrgcmeinde umfaßt rund 22.000 Seelen. Die
Kirche aber hat nur 100 Sitzplätze. Der Gedanke an einen Neu-
hau der Matzlcinsdorfer Kirche - der nicht nur räumlich
neben und nich t an die Stelle der alten Kirche treten soll
- besteht schon lang. Nun soll er Wirklichkeit werden.
Die Erzdiözese Wien wandte sich im August 1955 an die Ge-
meinde Wien mit dem Ersuchen, ihr den letzten in der Nähe der
alten Kirche befindlichen Bauplatz Ecke Wiedner Hauptstraße-
Laurenzgasse für cincn Neubau zu überlassen. Im November
1955 erklärte sich die Gemeinde dazu bereit. Der Platz ist zwar
groß genug, aber nicht gerade ideal für einen Kirchenbau ge-
eignet. Die Schwicrigkciten, die sich hier dem Architekten ent-
gegenstellten, werden nchcn der Bedeutung, die diesem Kirchen-
bau zukommt, der Anlaß zu einem äußerst glücklichen Gedan-
ken des erzbischöflichcn Bauamtes gewesen sein: den Kirchen-
bau nicht einfach an irgendeinen heimischen Architekten zu ver-
geben, sondern einen Wettbewerb mit internationaler Beteiligung
durchzuführen.
Es ist das erstcmal scit 1945, daß ein Kirchenbau nicht direkt,
sondern erst nach einem Wettbewerb in Auftrag gegeben wird.