NOTIZEN AUS
DEM KUNSTLEBEN
Drei Wiener Herbxtausstellungeiz:
Secerxion, Künstlerhaus, Kreis
Das Gegenständliche in der österreichi-
schen Malerei und Skulptur der Gegen-
wart nahm die Wiener Secession zum
Leitmotiv ihrer Hcrbstnusstellung, wohl
um nach einer im Sommer der „abstrak-
tiven" Richtung dargebrachten Huldi-
gung auf gleichermaßen starke Kräifte
unter den figuraliv schaffenden hinzu-
weisen. Gesamteindruck: ebensogut prü-
sentiert wie die Sommer-Kollektion der
Abstrakten zeigt diese Schau leuchtende
Höhepunkte, wie die beiden prachtvol-
lcn, saftigen, hundertmal überarbeiteten,
farbig exquisiten Kleinbilder von Her-
bert Boeckl, den strahlend-naiven Fabu-
liersurrenlismus von Brauer, Lehmdens
Blumenslillcben.
Hausner und Fuchs stellen neben bes-
sere ältere zwei geringere neuere Werke.
Vor dem gekreuzigten Bischof aus der
heroischen Anklagezeit des letzteren
drängen sich Bewunderer altmeisterli-
cher Konsequenz in der Zeichnung, um
vor dem neuesten noch feuchten Bild
des gleichen Malers (einem Christus in
Neon-Violett) böse Worte von Kinopla-
kat und Werbung für l-lollywoodschin-
ken wie „König der Könige" zu hinter-
lassen. Brauers Aufstieg dagegen zeich-
net sich immcr deutlicher ab. Huner ge-
fällt nach wie vor, Hrdlicka gefällt nach
wic vor nicht, weil seine antiästhetische
Kunst nicht gefallen, doch als urwüchsige
Kralriiußcrung sich immerhin schockie-
rend einprägen kann.
Ein helles Blumenstilleben von Ko-
koschka in dieser Ausstellung schadet
dem Renommee des großen Malers mehr
als es ihm nützen könnte. Dcn Maler
des Masaryk-Porträts, der „WindsbrauW
und des „Hammelstillebens" mit einer
evidenten Entgleisung seines bewunder-
ten Pinsels - nur um der Signatur
O. K. willen - mitlaufen zu lassen,
das muß Kokuschka-Anhäingern zutiefst
Schmerzen bereiten.
[Einige Monate nach seiner großangeleg-
tcn, mit Recht vielbeaehteten 100 jahr-
Ausstellung hat das Künstlerhaus einen
schweren Stand. Im Zentrum des Hau-
ses am Karlsplatz wirkt diesmal die ak-
tuelle Arehitekturschau „Der Votivplatz
im Wandel der Zeiten", Pläne und Fotos
des Architekten Kurt Sehlauß und -
ztnliißlich seines 60. Geburtstages - das
gediegene Oeuvre angewandter Kunst
von Leopold Schmid. Diesem ebenso
ehrlichen wie gründlichen Reliefsehnei-
der, Mosaizisten, Teppichkartonisten und
Sgmffito- und Majolikenfnchmann, einem
der besten Männer des Künstlerhauses,
wird die Kollektion des siebzigjährigen
Ekke Ozlberger zur Seite gestellt. Ozl-
berger beginnt tonig (Selbstpor ät1913),
um später, vor allem im Gesellschafts-
bildnis hellere, leuchtendere, wohl auch
Wienerisch süßere Farbakkorde zu pfle-
gen. In zwei Sälen ist weiter die Ge-
däcbtnisausstellung für Franz Windhu-
ger (1879 bis 1959) ausgebreitet. Gen-
redarstellungen aus dem allen Wien
(„Heitere Gesellschaft beim Wein". "Der
Fasseldippler") charakterisieren die erA
zählende Malerei und lllustrntionskunst
(„Der arme Spielmann") eines gemüt-
lichen Lokalpatrioten, in dessen Werk
sich sinnvoll das Bildnis Josef Weinbe-
bers, wie auch der frisch hingestrichene
„Stehende Akt" einfügen.
Heribert Potuznik, Naehwuchspersön-
lichkeit des Künstlerhauscs, tritt neuer-
lich mit einer größeren Anzahl von Öl-
bildern an die Öffentlichkeit. Der deut-
sche Expressionismus, der französische
Kubismus, das Vorbild Modiglianis, ha-
ben deutliche Spuren in der Malerei.
des farbfrohen, oftmals pzislos Auftra-
genden hinterlassen. Beste Leistungen
erreicht er wohl im kleinsten Format
(„Mariental", „Nächtliche Landschaft"),
Bilder, in denen er der Konzentration,
der subtileren Farbigkeit fähig ist. Auch
Franz Wleek, etwas undisziplinicrtes,
doeh kräftiges Malertalent, steuert seine
Kollektion von Olhildern und Tempera-
rnalereien zur Herbstausslcllung des
Wiener Künstlerhauses bei.
Irn Französischen Saal des gleichen Ge-
bäudes, Eingang Karlsplalz, ehrt die
Künstlergruppe "Der Kreis" ihr fünfzig
Jahre alt gewordenes Mitglied josef
Stoitzner. Beginnend mit breit aufge-
tragenen, immer aufs Dekorative gear-
beiteten Bildern hat Stoilzner mehr und
mehr Farbe wie Gegenstand zu redu-
zieren verstanden, so daß er nun als
Extraktionist sich der herrschenden „ab-
strakten" Malweise konsequent annä-
hert. Daß er sich als jünger von Klirnt
und Czeschka fühlt, deutet sich in man-
chen seiner Gemälde an. Thomas Manns
josephroman inspirierte ihn zu Visionen
des Alten Orients.
Eine Expressionistcngruppc im „Kreis"
(Schmitt, Stransky, Stockbauer, Bern-
hard) geht völlig andere Wege. Möser
als ernpfindsamer Ton-in-Ton-Maler,
Hilda Sapper, eigenwillige Stickerin,
Greta Freist mit graziöser Liehtfleck-
malerei, sind vorteilhaft vertreten. Als
sehätzenswerte Neuentdeckung kann der
stille, gediegene Lyriker Axel Eggler
gelten.
Arnulf Neuwirth
Redakteure von Arehitekturzeitsehriftcn
und Organisatoren von Architekturaus-
Stellungen wählen - wie könnte es an-
ders sein - die besten Gebäude ihres
Landes als Objekte der Demonstration
und bedienen sich der wirkungsvollsten
Fotos. So werden die weniger guten und
die schlechten Architekturen ohne böse
Täuschungsabsicht verschwiegen und es
muß davor gewarnt werden, etwa den
Inhalt des „WERK" mit einem Quer-
schnitt durch das schweizerische Bau-
schaflcn zu verwechseln. Nur wer diesen
Umstand beherzigt, erspart sich in der
Züricher Bahnhofstraße, in Mailand oder
Paris eine Enttäuschung, deren Höhe von
dem mengenmäßigen Verhältnis von gu-
ter zu schlechter Architektur abhängt.
Die Zentralvereinigung der Architekten
Osterrcichs veranstaltete im Österreichi-
schen Museum eine Ausstellung „Oster-
reichischc Architektur", um vor der brei-
ten Oiicntlichkeit einen kurzgelaßtcn
Rechenschaftsbericht über die Resultate
zehnjähriger Arbeit abzulegen und viel-
leicht auch, um selbst das eigene Ge-
wissen zu prüfcn, wie dies jeder ernst-
halt Tätige von Zeit zu Zeit eben tut.
Ohne die Qualität jedes einzelnen der
ausgestellten hundertneunzig Bauten zu
überprüfen war es leicht, einen Gesamt-
eindruck zu registrieren: Klarheit der
Konzeption, klaglose Erfüllung der Ge-
brauehsforderungen, sachlich richtige
Verwendung von Material und Einzel-
heit, Charme - aber nicht zuviel, an
einzelnen Objekten - wie der Stndthalle
oder dem Salzburger Festspielhaus -
jenes künstlerische „Mehr", das über
die „AnsländigkeiW, die am Wohnbau
das entscheidende Element ist, hinaus-
führt.
Die Öffentlichkeit und die Architekten
dürfen mit diesem Resultat, mit den in
der Ausstellung gezeigten Resultaten,
zufrieden sein. Wir wissen aber leider,
dnß sie nur für einen Teil, für einen
nicht genügend großen Teil des tat-
sächlich Gebauten stellvertretend sind.
Hier liegt nun die Malaise.
Die Stadthnlle, das Gänsehäufei-Bad, der
neue Parlzimentssaal, die Ausstellungsm-
ehitektur als ganzes Arbeitsgebiet, einige
Fabriken, Wohnbauten in Linz - dies
alles ist sehr schön und gut. Aber wie
sehen leider, leider die meisten Wiener
Gemeindehäuser aus, lieblos hingezeich-
net und mit den von der Behörde nicht
nur geduldeten, sondern befohlenen
gräßliehen Daehaufbauten versehen?
Was muß das Wiener Stadtbild von den
hemmungslosen Portalcrbnuern erdulden,
was denkt man über die pseudo-barok-
ken Zutaten zur schlichten Fassade der
Albertina, über die „repräsentativexf
Umhüllungen gewisser Verwaltungsge-
bäude, die Trosllosigkeil der Neubauien
am Donaukanal (mit ausnahme der
Bundes]änder-Versicherunß). über die
sinnlose, aber teure Höhenentwicklung
des Westbahnholes und dessen komisch
profilierte Vordächer?
Zu allen Zeilen wurden bessere und
schlechtere Häuser gebaut, Daß die letz-
teren jetzt in der Mehrzahl sind, ist be-
trüblich. Darum hoffen wir, daß die An-
regung, welche die Zentralvereinigung
der Architekten mit ihrer Ausstellung
gab, richtig verstanden wird: für die
Planer zur Gewissenscrforsehung, für
die Bauherren und Behörden als deut-
licher Hinweis zur Verpflichtung, die
Qualität zu wahren.
Von besonderen" Seite
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