Die Schöne Madonna aus Sankt
Magdalenen 7 bis zum Kriege
im Breslauer Museum für Kunst-
gewerbe und Altertiimer in der
Graupenstraße, nun im War-
schauer Nationalmuseum be-
wahrt - ist eine der bedeutend-
sten Schöpfungen südostdeutscher
Bildhauerkunst aus der Wende
vom vierzehnten zum fünfzehnten
Jahrhundert. In Ausdruck, Form
und Gehalt gehört sie zum Reif-
sten, was in jener Zeit schlesischem
Boden entsprossen ist. Dieses
Kleinod deutscher Gotik hat zwar
seine Heimat und Breslau, den
vermutlichen Entstehungsort, ver-
lassen, doch durch die Neuauf-
stellung im Warschauer Museum
ist es in die Nähe des einstigen
Standorts ihrer jüngeren Schwe-
ster, der Schönen Madonna in
der Thorner johanniskirche, ge-
kommen, denn sie beide -
die Breslauerin und die Thor-
nerin sowie das dritte Hauptwerk
dieser Gruppe, die Schöne Ma-
donna im Bonner Landesmuseum
- sie alle sind sicher vom gleichen
Ursprung, atmen den gleichen
Geist. Mit Recht hat man dem
Typus dieser Madonnen das Bei-
wnrt „schön" gegeben, denn jene
Bezeichnung ist auch der Wesens-
zug ihrer Erscheinung und künst-
lerischen Form.
Die schönste der drei Madonnen
ist gewiß die Breslauerin, die
ebenso wie die Thornerin und
die Bonnerin aus Kalkstein ge-
schaffen wurde, jenem weichen
Material, das dem Ton und der
Stilgesinnung dieser Zeit am
nächsten kommt. Reste alter Be-
malung - blau, rot und gold -
erhöhen noch die Gegenwärtig-
keit der Gottesmutter. Einhun-
dertzwölf Zentimeter beträgt ihre
Höhe, wahrlich kein Maß für
ein monumentales Kunstwollen,
sondern Ausdruck einer zart-
gesinnten lyrischen Zeit, Kenn-
zeichen jener internationalen
Epoche um 1400, der die Kunst-
geschichte die Bezeichnung
„Weicher Stil" gegeben hat, einer
Strömung wohlklingender emp-
lindsamer Formen, für die unsere
Breslauerin eines der schönsten
Zeugnisse ist.
Was unser Blick beim Betrachten
der Schönen Madonna zunächst
wahrnimmt, ist ein Hin und Her
von Bewegungen und Gegen-
bewegungen, ein Auf und Ab
von Kurven und Falten, und
trotz all dieses Vielfältigen und
jener mannigfachen Richtungen
hat die Hand des Bildhauers
ein Werk von klassischer Ruhe
und edler Geschlossenheit ge-
schaffen. Da ist das kleine Köpf-
chen der Mutter, das sich ein
wenig zur Seite neigt, die glatte
wohlgerundete Stirn, die gerade
Nase und der zierliche Mund;
umflossen ist das mütterliche Ant-
litz von dem sorgsam gelegten
Haar und dem Schleier, der die
Schräge des Kopfes aufnimmt
und ein behütendes Gehäuse für
Gesicht, Hals und Nacken bildet.
Der Fluß des von den Schultern
fallenden Mantels wird durch
den waagrecht gehaltenen Arm
und durch die fcingliedrige Hand
unterbrochen und führt unseren
Blick über den Apfel, der Mutter
und Sohn miteinander verbindet,
zu dem Kind, das auf dem linken
Arm der Mutter ruht. In mun-
terer Lebendigkeit strebt es nach
außen, als ob dort etwas höchst
Interessantes zu sehen sei. Aber
die andachtsvolle Stille, die über
dem Werk liegt, wird durch
die Munterkeit des Kleinen durch-
aus nicht beeinträchtigt; einge-
bettet ist er in den großen Raum,
der von Mantel und Saum gebildet
wird und sich kreisförmig vom
rechten zum linken Arm der
Mutter hinüberschwingt. Von die-
ser kreisenden Mitte gleitet der
Blick weiter nach unten, wo in
drei großen Falrenschüsseln der
Schwung des Mantels langsam
verebbt, während auf der anderen
Seite eine Faltenkaskade abwärts
gleitet und ein Gegengewicht
zur Bewegung der rechten Seite
gibt. Immer neue Blickpunkte
offenbaren sich, wenn wir die
Figur umschreiten, denn sie ist
vom Bildhauer nicht allein für
die Vorderansicht gedacht wie
die streng hieratisch aufragenden
Figuren des frühen Mittelalters,
sondern der Meister hat die
Madonna vollplastisch geschaf-
fen, wie die Bearbeitung der
Rückseite zeigt. In mehreren gro-
ßen Bahnen gleitet das Gewand
von den schmalen Schultern und
staut sich am Boden zu einem
weichen Faltengebilde.
Von dem Meister der Schönen
Madonnen wissen wir so gut
wie nichts, auch über Entste-
hung und Herkunft des Typus
können wir nur Vermutungen
aussprechen. Zwar hat sich die
Forschung nach dem großen Auf-
satz Wilhelm Pinders „Zum
Problem der Schönen Madonnen
um 1400" im Jahrbuch der preu-
ßischen Kunstsammlungen 1923
mit den Fragen, die in diesem
Zusammenhang auftauchen, oft
beschäftigt und den Boden für
weitere Untersuchungen bereitet,
und Gelehrte wie Erich Wiese,
Adolf Feulner und Karl Heinz
Clasen haben aus reicher Kennt-
nis versucht, die einzelnen Glie-
der aneinanderzufügen, doch ist
es bisher nicht gelungen, die
Kette zu schließen.
Einig ist man sich darüber, daß
Böhmen und Schlesien die Ur-
sprungsstätten der Schönen Ma-
donnen sind. Nur Karl Heinz
Clasen glaubt, in dem Bildhauer
einen Rheinländer zu sehen, der
in das Deutschordensland und
von dort nach Schlesien gewan-
dert sei. In der Schönen Madonna
aus dem südböhmischen Ort
Krumau, die heute als kost-
barer Besitz im Wiener Kunst-
historischen Museum behütet
wird, sieht Clasen ein Alters-
werk des Meisters. Doch weder
von der Form noch von der
Auffassung her läßt sich etwas
Rheinisch - Westliches entdecken,
und sosehr wir überzeugt sind,
daß die drei Madonnen aus Bres-
lau, Thorn und Bonn vom glei-
chen Meister stammen, so glauben
wir doch mit Sicherheit sagen
zu können, daß die Krumauerin
von anderer Hand geschaffen
wurde. Allerdings ist die süd-
böhmische Madonna ohne die
schlesische nicht zu denken, die
Zusammenhänge sind offensicht-
lich; doch sind die Formen und
Wesenszüge der sicher später ent-
standenen Krumauer Madonna
ubersteigerter und auf eine sinnen-
haftere Ebene gestellt. Ebenso
ist ihr Aufbau kleinteiliger und
aufgelöster. Sie hat eine stärkere
Bindung zur Wlelt und zum
irdischen Geschehen als die in
sich ruhende Breslauer Madonna.
Damit ist die Krumauerin mensch-
lich näher gerückt, und der Ab-
stand zu ihr hat sich verrin-
gert.
Wie die anderen Schönen Ma-
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