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Volltext: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 70)

Die Erscheinung, deren Beine brennende Säulen usw. sind, bedeutet 
also in Dürers Auffassung den Gott der Sonne und der Prophezeiung 
Apollo und zugleich den Starken Engel. Dieser letztere wird sich mit 
einer starken Stimme wie ein briillender Löwe ankündigen und schwören, 
daß es keine Zeit mehr geben werde (10, 3, 69). Die Apokalypse besagt 
weiter über den Starken Engel, daß sein Antlitz wie die Sonne sei 
(10, l). Über den Delphin, die Schwäne und die Schiffe sagt sie aber 
nichts. Das kann nur durch eine allegorische Verbindung der heidnisch- 
mythologischen Sage mit der christlichen Offenbarung zustande ge- 
kommen sein. Zu einer solchen Verbindung stand im Mittelalter der 
Weg immer offen. Auch die christlichen Wahrheiten wurden damals 
durch Zitate aus den heidnischen Philosophen bekräftigt. ln der huma- 
nistischen Bewegung und in der sogenannten Renaissancephilosophie 
des 15. Jahrhunderts wurde Übereinstimmungen zwischen dem Inhalt 
der heidnischen und der christlichen Symbolik eine außerordentliche 
Bedeutung beigemessen. Man erblickte in den verschiedenen Welt- 
religionen, insbesondere der jüdischen, christlichen und antik-heid- 
nischen, nur verschiedene Allegorien desselben geistigen Inhalts. Es 
war Aufgabe des Humanismus, mit Hilfe der philologischen Kritik 
einen gemeinsamen Kern der verschiedenen Auffassungen zu Enden. 
Damit beschäftigte sich eifrig Konrad Celtes, der Führer der deutschen 
Humanisten der Dürerzeit, für den Dürer um 1500 eine Reihe von 
Illustrationen (auch auf das apollinische Thema) anfertigte. Hierbei 
handelte es sich um komplizierte Allegorien in Celtes' persönlicher 
Auffassung. Der Besteller war jedoch mit den Zeichnungen nur selten 
zufrieden4). Die Verbindung der heidnischen und christlichen Alle- 
gorie in der Dürefschen Darstellung des Starken Engels weist also auf 
Celtes hin. Er war das Haupt der Humanistensodalitas am kaiserlichen 
Hof in Wien und gleichzeitig Organisator einer großen Propaganda- 
kampagne für den Feldzug gegen Rom, den Kaiser Maximilian führen 
sollte. Denn die bisherige Weltherrschaft des Papstes sollte durch die 
weltliche Erneuerung des römischen Imperiums ersetzt werden. Seine 
Propagandisten beriefen sich unter anderem auf die chiliastischen 
Prophezeiungen, die im Sinne der Apokalypse die Ankunft des tausend- 
jährigen Reiches Christi ankündigten. Die dem Humanismus ent- 
gegenkommende Richtung des Chiliasmus behauptete, daß ein mächtiger 
Herrscher, dem die ganze Erde gehören werde, das tausendjährige 
Reich einleiten würde. In den Kreis dieser Sagen gehört auch die Er- 
klärung des Diirer'schen Starken Engels. 
Die Chiliasren monarchistischer Richtung hielten diesen Starken Engel 
für den mächtigen Herrscher. Er sollte am Ende der kummervollen 
Zeit die „Letzte Schlacht" liefern, in der die Guten die Bösen und die 
Unterdrückten die Unterdrücker schlagen werden. Dieser Herrscher 
wird der Sage nach 91 Jahre lang leben, und sein Grab wird im Heiligen 
Land liegen, das er befreien wird. Er wird die entzweite Christenheit 
wieder vereinigen, die Gegner des Glaubens im Orient unterwerfen 
und mit Steuer belegen, seine Herrschaft auf dem Festland sowie auf 
dem Meer befestigen und schließlich die freie Durchfahrt für alle 
Schiffe sichern. (Vergleiche die Schiffe auf der Illustration Dürers.) 
Er wird die wahre Religion festigen und in der Kirche Ordnung schaffen. 
Die Beine des Dürefschen Starken Engels sind zwei brennende Säulen, 
die der alten Tradition zufolge Stärke (hebräisch jarbin) und Du bist 
stark (Boag) heißen5). Die eine steht auf dem Festland, die andere im 
Meer. Die rechte Hand des Engels weist auf das Symbol des göttlichen 
Gesetzes, die Bundeslade, hin, die linke reicht dem Propheten das 
Gesetzbuch, damit er es verschlinge, das heißt sich aneigne. Das 
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