Um iene Reformen verwirklichen zu können, die
Maria Theresia aus ihrem eigenen Wesen her-
aus und unter dem Druck der Verhältnisse an-
strebte, umgab sie sich mit zahlreichen Ratge-
bern, die sie mit sicherem Instinkt und weiblicher
Umsicht auswählte. Schon in den kritischen
Dezembertagen des Jahres 1740 hatte die iunge,
dreiundzwanzigiährige Regentin ihr Bedürfnis
nach einem Seelenführer durch die Berufung
des portugiesischen Grafen Tarouca entschieden.
Dieser Mann gehörte seinem innersten Wesen
noch ganz der kirchengläubigen Barockzeit an.
Wie Maria Theresia selbst war er eine tief-
religiöse Natur, erfüllt von Gottesfurcht, sittlicher
Größe und streng katholischer Gesinnung. Das
stärkste Band war wohl das gemeinsame Herr-
scherbild, die Überzeugung, daß der christliche
Monarch Gott verpflichtet ist, von ihm seine
Macht erhält und ihm als König der Könige zu
dienen habe. Wie alle ihre Vorfahren sah Maria
Theresia in den „Grund-Säulen der Pietät", im
Gebet, in der Verehrung der Glaubensgeheim-
nisse des Altarsakramentes die Voraussetzungen
für den Bestand und die Macht des Hauses
Habsburg. Diese „pietas austriaca" bestimmte
nicht nur das öffentliche und private Leben am
Hofe, in Stadt und Land, sondern entfaltete
einen besonderen Frömmigkeitsstil, der in der
exemplarischen Teilnahme aller Mitglieder des
Herrscherhauses an der öffentlichen Fronleich-
namsprozession und den Wallfahrten zu den
Marienheiligtümern Alt-Utting und Mariazell var
und nach iedem größeren Ereignis seinen beson-
deren Ausdruck fand. Solange Taroucas beraten-
de Stimme Gewicht hatte, waren seine reli '
und ethisch gestimmten Ermahnungen immer ge-
gen die „französische Verführung", gegen Frank-
reich gerichtet gewesen. Schließlich aber be-
siegte ihn die kühle Glätte des Staatskanzlers
Kaunitz, der ab 1753 mit seiner den ganzen Erd-
teil umspannenden Außenpolitik das Geschick
Österreichs bestimmte.
Mit dem Staatskanzler Wenzel Fürst Kaunitz war
ein Mann zur Macht gekommen, der als öster-
reichischer Botschafter in Paris von 1750 bis 1753
Anhänger der „Aufklärung" geworden war. Sein
außenpolitisches Programm, das die Wiederge-
winnung der an Friedrich ll. verlorenen schlesi-
schen Gebiete enthielt und daher die volle Zu-
stimmung der Kaiserin fand, sah allein in einem
Bündnis mit Frankreich die große Chance zur
Niederringung Preußens. Entgegen Taroucas Vor-
stellungen konnte er die Kaiserin zu einem
Pakte mit Frankreich bewegen und damit die
größte außenpolitische Revolution des 18. Jahr-
hunderts, die Beendigung einer dreihundertiähri-
gen bitteren Feindschaft zwischen Frankreich
und Österreich, herbeiführen.
Hatte Fürst Kaunitz durch seine politische Aktivi-
tät dem Ballhausplatz, dem Amtssitz der „Haus-,
Hof- und Staatskanzlei", zu einem dominieren-
den Ansehen innerhalb der europäischen Staats-
kanzleien verholfen, so war es der Schlesier
Graf Haugwitz, der den Neubau des Staatsge-
füges durchsetzte. Er begann mit einer umfang-
reichen Verwaltungsreform, die die österreichi-
schen und böhmischen Erbländer organisatorisch
unter eine Zentralstelle zusammenfaßte und da-
mit die Zentralisierung des Staates und die
Machtstörkung der Monarchie bewirkte. Im Sinne
des aufgeklärten Absolutismus wurde ein bü-
rokratisches System entwickelt, das nicht nur die
Stärkung der finanziellen Kräfte des Staates,
die bessere Ausnützung der Einnahmequellen,
der Steuern und Naturprodukte gewährleistete,
sondern auch die Befreiung der Bauern von der
Leibeigenschaft in den Jahren 1781 bis 1785
vorbereitete.
Unter dem Finanzminister Graf Chotek erfolgte
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schon im Jahre 1748 eine Steuerreform, die den
Steuerdruck, der bisher auf den Bauern lastete,
in Form einer klassifizierenden Kopfsteuer auch
auf den Adel, die Geistlichkeit und die Beamten
ausdehnte. Durch diese „gottgefällige Gleich-
heit" var der Steuer wurde nicht nur ein wesent-
licher Angriffspunkt revolutionärer Empörung
aus der Welt geschafft und Österreich die große
Revolution erspart, sondern auch durch neue
Steuern innerhalb der Jahre 1740 bis 1790 eine
Verdreifachung der Abgaben erzielt.
Auf diese Weise aber waren die Mittel gewon-
nen, um die großzügige Reform und Reorgani-
sation der militärischen Macht durchzuführen.
Unter den Feldmarschällen Graf Daun, dem Sie-
ger von Kolin, Freiherr Gideon Laudon, dem
Sieger von Kunersdorf, und Graf Lacy wurde
die kaiserliche Armee nicht nur zu einem schlag-
kräftigen Machtinstrument umgebildet, sondern
zum eigentlichen Träger des österreichischen
Staatsgedankens innerhalb der völkerreichen
Monarchie.
Die geduldige, vorsichtige und maßvolle Reform-
politik der Kaiserin Maria Theresia erfaßte auch
die übrigen Gebiete des öffentlichen Lebens.
Anstelle der seit 1532 gültigen „PeinIichen Hals-
gerichtsordnung" trat ein neues Gesetzbuch, die
„Nemesis Theresiana", das dem Naturrecht der
Aufklärung Rechnung trug. In Verfolgung dieser
Rechtsauffassung wurde im Jahre 1778 die Folter
abgeschafft und 1786 das Strafgesetz von der
Strafprozeßordnung getrennt.
Es lag im Sinne der Entwicklung vom Macht-
zum Wohlfahrtsstaat, daß Maria Theresia die
Reform des Unterrichtswesens, das bis dahin
völlig unter dem Einfluß der Jesuiten stand, als
ein „Politikum", als eine staatspolitische Maß-
nahme erster Ordnung betrachtete. Zur Über-
wachung und Förderung der Reformen wurde
eine Studienhofkommission eingesetzt und von
dem Abt Johann Ignaz Felbiger eine allgemeine
Schulordnung verfaßt. Diese sah für die „deut-
schen NormaIschulen" eine Trivial- und Haupt-
schulstufe vor, deren Besuch vom 6. bis zum 12.
Lebensiahre dauerte, eine Maßnahme, die in kei-
nem anderen Staate Europas durchgeführt
wurde.
Die Reform erstreckte sich auch auf die Univer-
sität, die unter ihrem Protektor Johann Josef
Graf Trautson, dem Wiener Erzbischof, ein
neues und prachtvolles Gebäude erhielt, das von
dem lothringischen Hausarchitekten Jean Nicolas
Jadot erbaut wurde. Nicht ohne den Einfluß der
Freimaurer, die seit 1742 in Wien Logen besaßen
und nach der Auflösung des Jesuifenordens im
Jahre 1773 dessen Rolle übernahmen, wurden
die Fakultäten reformiert. In diesen Jahren legte
die Medizinische Fakultät unter ihrem Präsiden-
ten, dem Leibarzt der Kaiserin Gerhard van
Swieten, den Grund zum Weltruf der Wiener
medizinischen Schule. Die Zentralisierung aller
Wohlfahrtseinrichtungen führte zum Bau eines
„allgemeinen Krankenhauses", das im Jahre 1784
eröffnet wurde und die größte Spitalstadt des
Kontinentes war.
Die Förderung der Naturwissenschaften und
der Technik ließ sich besonders Kaiser Franz I.
angelegen sein, zu dessen Liebhabereien das
wissenschaftliche Dilettieren auf den Gebieten
der Physik, Chemie, Mineralogie und Botanik
gehörte. Sein Sammlungseifer schuf das um-
fangreiche Hof-Naturalien-Kabinett, eine wis-
senschaftliche Institution, unter deren Einfluß es
zur Errichtung von Lehrkanzeln für Botanik,
Chemie und Mineralogie an den Universitäten
der österreichischen Erbländer kam. Den be-
rühmtesten Vertreter der chemischen und botani-
schen Disziplin und Verfasser einer mehrbändi-
gen „Flora Austriaca", Nicolas de Jacquin,
7 Johann Christian Brand, Laxenburg vom Lust-
haus auf der Hanawiese gegen Mödling, 1758.
Wien, Österreichische Galerie, Barockmuseum