ARBEIT ALS SELBSTBEGLÜCKUNG.*
s gibt keine Art von guter und nützlicher Arbeit, die nicht
den Ausdruck menschlicher Beglücktheit trägt. Sie ist der
eigentliche Sinn und der Inhalt, der in der Form sichtbar
wird; jeder gut geführte Hammerschlag, jeder noch so schwer
fällig bearbeitete Baustein ist von diesem Inhalt seltsam belebt.
Geheimnis und Offenbarung zugleich, kostbar und wertvoll, wie
wertlos und billig auch das Material sein mochte, wo hingegen
das teuerste Material nichtig ist, wenn es die Spuren jener beseelten
Arbeit vermissen lässt, die Selbstbeglückung ist. Von den alt
gotischen Domen bis zum Gekritzel der Kinder, dem ersten
stammelnden Ausdruck ihres Seeleninhaltes, im ganzen Umkreis
menschlichen Wollens und Wirkens kann nichts Dauerndes her
vorgebracht, kann nichts zur Erhöhung der Schönheit der
Erde und der Freude der Menschen getan werden, wenn
es nicht das tiefe Glück des Urhebers einschliesst und Bekenntnis
dieses Glückes ist. □
Es geschieht zwar die meiste Arbeit, die heute getan wird, aus
Zwang und Unlust; aber diese Arbeit, die so getan wird, ist
ganz bestimmt unerspriesslich und bliebe besser ungetan; sie ist
schädlich, nicht weil sie nochmals getan und verbessert werden
muss, sondern weil sie eine unmessbare Summe von vergeudeter
Kraft und verlorenem Glück darstellt, davon das Antlitz der
Welt die Züge der Trauer und hässlicher Entstellung trägt. □
Indem viele gezwungen sind, zu tun, was sie nicht können oder
nicht wollen, und andere verhindert werden, ihre Anlagen zu
dem zu entwickeln, was sie können und wollen, entsteht das
grosse Missverhältnis zwischen Pflichten und Neigungen, zwischen
Beruf und Anlage, Arbeit und Befriedigung, und aus dieser
Entfremdung entsteht das Zerrbild einer Kultur, die überall zu
Hause ist, nur nicht bei sich. Einen tödlichen Hass wirft das
volkstümliche Sprichwort auf jenen grossen Unbekannten, der
angeblich die Arbeit „erfunden“ haben soll. Es ist das Zeichen
unserer Zeit, dass die ungeheure Arbeit, die gerade heutzutage
getan wird, mit Hass und nicht mit Liebe getan wird. Es ist
aber aus derselben Ursache zu erklären, dass die ungeheure
nationale Arbeit dem Einzelnen wenig oder gar nicht zugute
kommt, dass sie nur für wenige einen Segen, für viele, für die
Meisten sogar einen Fluch bedeutet, und dass die deutsche Erde,
die volkreichsten deutschen Städte nicht im entferntesten die
Anzeichen jener tiefen Beglücktheit und Schönheit offenbaren
wie die kleinen mittelalterlichen Städtekulturen, sondern vielmehr
die Wundmale einer tiefwurzelnden Verrohung und Verheerung
tragen. □
Nicht weniger Zeichen der Zeit sind die zahlreichen Systeme
und Besserungsvorschläge, die auf allen Gebieten, in der Schule,
im Wirtschaftsleben, in der Kunst, im sozialen Denken, das
Höchste versprechen und kaum das Geringste erfüllen. □
Die Schule, die Volkswirtschaft, die Kunst, der Staat, alle Teile
arbeiten für sich. Sie haben jedes ihr eigenes System, ihr eigenes
Ideal, aber kein gemeinsames Ziel und kein gemeinsames Fort
schreiten. Alle Hoffnungen sind auf die Schule gesetzt, die ihrer
seits ihre Hoffnungen auf die Kunst setzt. Künstlerische
Bildung ist ja eines der Erlösungsworte, die Hohes versprechen.
Aber im Staats- und Wirtschaftsleben herrschen noch wesentlich
+ Aits dem Schluss der „VOLKSWIRTSCHAFT DES TALENTES“, von Joseph Aug. Lux.
Die Buchausgabe erscheint in R. VOIGTLÄNDERS VERLAG, LEIPZIG-R.
andere Anschauungen vor, die dem künstlerischen Gedanken
grundsätzlich entgegengesetzt sind. Die Kunst will Persönlichkeit,
der Staat will das Schema. Das Wirtschaftsleben nützt Schwächen
aus. Und die Schule ? Sie soll das Unmögliche leisten und allen
das Ihrige geben. Und hätte viel Wichtigeres eigentlich zu tun.
Es ist ein wahres Glück, dass alle Arten von Systemen nur Er
scheinungen an der Oberfläche sind, wie Wellenkreise auf einem
Wasserspiegel, während aus der Tiefe das Gesetz der Natur in
ewiger Unabhängigkeit wirkt. Die besten Systeme werden zu
schanden an schlechten Erziehern, und die schlechtesten Systeme
haben guten Erziehern nichts anhaben können. Wenn die
rechten Menschen an den rechten Platz gekommen sind, dann
haben sie mit ihren Händen alles in Geld verwandelt. Ich meine,
dass es im Grunde unserer verkehrten Dinge doch etwas gibt
wie eine „Volkswirtschaft des Talents“, die allerdings noch nicht
von Menschen erkannt, sondern von der Natur selbst geübt
wird. Wenn Talente gute Leistungen hervorgebracht haben, dann
haben sie in Übereinstimmung mit sich selbst gelebt. Ich meine
auch, dass in jeder menschlichen Natur irgendein Talent steckt,
das nicht verloren gehen dürfte und das mitbauen könnte, die
Weltherrlichkeit zu vollenden. Wenn aber das Talent mit sich
selbst in Übereinstimmung schafft, wird es sein Bestes leisten,
und diese Arbeit wird keine andere tiefere und natürlichere
Triebfeder haben als die Selbstbeglückung. □
Das sinnlose Chaos, die qualvolle Unruhe, das ängstliche Suchen
empfängt durch diesen Gedanken Ordnung, Ruhe und Hoffnung.
Würde diese einfache Erkenntnis von der Arbeit als Selbst
beglückung plötzlich wie durch einen göttlichen Machtspruch
zur Grundlage aller unserer menschlichen Einrichtungen gemacht
werden, was sie höchstwahrscheinlich nicht werden wird, so
müsste im gesamten Staats- und Wirtschaftsleben eine wunder
bare Umwandlung eintreten müssen. Was feindlich getrennt
schien, würde in Harmonie leben, die Gedanken der Kunst
würden im Staat, in der Volkswirtschaft, in der Schule Ergänzung
und Erfüllung finden, Pflicht und Neigung, Beruf und Anlage,
Arbeit und Glück würde verschmelzen, alle Arbeit, die geschieht,
würde nicht der Ausdruck des Zwanges und der Unlust, sondern
der Freude und des inneren Dranges sein, und das Antlitz der
Erde würde die Schönheit all dieser Seelenbekenntnisse durch
die tausendfachen Materialien hindurch ausstrahlen, den Glanz
und die Wärme wohl angewendeter Kraft und erlebten Glückes,
eine ungeheure Steigerung der Lebensgüter würde eintreten
müssen, wenn die wertbildenden Quellen des Talentes infolge
dieses inneren Erlebens weit offen und ergiebig sind, während
sie in den heutigen Umständen verschüttet und spärlich sind.
Das Gebilde des nationalen Lebens würde, auf dieser natürlichen
Grundlage entwickelt, allerdings eine wesentlich andere Struktur
zeigen, als es heute sein kann. □
Ich spreche davon als von einer Notwendigkeit, wenn ich auch
einsehe, dass eine solche Verwirklichung nicht möglich ist. Denn
es gibt eine übermächtige Mehrheit, die beweisen wird, dass
durch eine solche „Volkswirtschaft des Talentes“ die Bäume
alsbald in den Himmel wachsen werden. Ich meine aber, dass
dafür schon gesorgt ist. Der Wald hat nicht lauter hohe Bäume,
er hat Sträucher, Gräser und Moose. Aber das unscheinbarste
Moos ist in sich vollendet, eine fertige Bildung, ein Talent in
abgeschlossener Entfaltung, eine Arbeit, die sich selbst beglückt,
ein Ergebnis der Ökonomie in der Natur. Die „Volkswirtschaft
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