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Objekt: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

ARBEIT ALS SELBSTBEGLÜCKUNG.* 
s gibt keine Art von guter und nützlicher Arbeit, die nicht 
den Ausdruck menschlicher Beglücktheit trägt. Sie ist der 
eigentliche Sinn und der Inhalt, der in der Form sichtbar 
wird; jeder gut geführte Hammerschlag, jeder noch so schwer 
fällig bearbeitete Baustein ist von diesem Inhalt seltsam belebt. 
Geheimnis und Offenbarung zugleich, kostbar und wertvoll, wie 
wertlos und billig auch das Material sein mochte, wo hingegen 
das teuerste Material nichtig ist, wenn es die Spuren jener beseelten 
Arbeit vermissen lässt, die Selbstbeglückung ist. Von den alt 
gotischen Domen bis zum Gekritzel der Kinder, dem ersten 
stammelnden Ausdruck ihres Seeleninhaltes, im ganzen Umkreis 
menschlichen Wollens und Wirkens kann nichts Dauerndes her 
vorgebracht, kann nichts zur Erhöhung der Schönheit der 
Erde und der Freude der Menschen getan werden, wenn 
es nicht das tiefe Glück des Urhebers einschliesst und Bekenntnis 
dieses Glückes ist. □ 
Es geschieht zwar die meiste Arbeit, die heute getan wird, aus 
Zwang und Unlust; aber diese Arbeit, die so getan wird, ist 
ganz bestimmt unerspriesslich und bliebe besser ungetan; sie ist 
schädlich, nicht weil sie nochmals getan und verbessert werden 
muss, sondern weil sie eine unmessbare Summe von vergeudeter 
Kraft und verlorenem Glück darstellt, davon das Antlitz der 
Welt die Züge der Trauer und hässlicher Entstellung trägt. □ 
Indem viele gezwungen sind, zu tun, was sie nicht können oder 
nicht wollen, und andere verhindert werden, ihre Anlagen zu 
dem zu entwickeln, was sie können und wollen, entsteht das 
grosse Missverhältnis zwischen Pflichten und Neigungen, zwischen 
Beruf und Anlage, Arbeit und Befriedigung, und aus dieser 
Entfremdung entsteht das Zerrbild einer Kultur, die überall zu 
Hause ist, nur nicht bei sich. Einen tödlichen Hass wirft das 
volkstümliche Sprichwort auf jenen grossen Unbekannten, der 
angeblich die Arbeit „erfunden“ haben soll. Es ist das Zeichen 
unserer Zeit, dass die ungeheure Arbeit, die gerade heutzutage 
getan wird, mit Hass und nicht mit Liebe getan wird. Es ist 
aber aus derselben Ursache zu erklären, dass die ungeheure 
nationale Arbeit dem Einzelnen wenig oder gar nicht zugute 
kommt, dass sie nur für wenige einen Segen, für viele, für die 
Meisten sogar einen Fluch bedeutet, und dass die deutsche Erde, 
die volkreichsten deutschen Städte nicht im entferntesten die 
Anzeichen jener tiefen Beglücktheit und Schönheit offenbaren 
wie die kleinen mittelalterlichen Städtekulturen, sondern vielmehr 
die Wundmale einer tiefwurzelnden Verrohung und Verheerung 
tragen. □ 
Nicht weniger Zeichen der Zeit sind die zahlreichen Systeme 
und Besserungsvorschläge, die auf allen Gebieten, in der Schule, 
im Wirtschaftsleben, in der Kunst, im sozialen Denken, das 
Höchste versprechen und kaum das Geringste erfüllen. □ 
Die Schule, die Volkswirtschaft, die Kunst, der Staat, alle Teile 
arbeiten für sich. Sie haben jedes ihr eigenes System, ihr eigenes 
Ideal, aber kein gemeinsames Ziel und kein gemeinsames Fort 
schreiten. Alle Hoffnungen sind auf die Schule gesetzt, die ihrer 
seits ihre Hoffnungen auf die Kunst setzt. Künstlerische 
Bildung ist ja eines der Erlösungsworte, die Hohes versprechen. 
Aber im Staats- und Wirtschaftsleben herrschen noch wesentlich 
+ Aits dem Schluss der „VOLKSWIRTSCHAFT DES TALENTES“, von Joseph Aug. Lux. 
Die Buchausgabe erscheint in R. VOIGTLÄNDERS VERLAG, LEIPZIG-R. 
andere Anschauungen vor, die dem künstlerischen Gedanken 
grundsätzlich entgegengesetzt sind. Die Kunst will Persönlichkeit, 
der Staat will das Schema. Das Wirtschaftsleben nützt Schwächen 
aus. Und die Schule ? Sie soll das Unmögliche leisten und allen 
das Ihrige geben. Und hätte viel Wichtigeres eigentlich zu tun. 
Es ist ein wahres Glück, dass alle Arten von Systemen nur Er 
scheinungen an der Oberfläche sind, wie Wellenkreise auf einem 
Wasserspiegel, während aus der Tiefe das Gesetz der Natur in 
ewiger Unabhängigkeit wirkt. Die besten Systeme werden zu 
schanden an schlechten Erziehern, und die schlechtesten Systeme 
haben guten Erziehern nichts anhaben können. Wenn die 
rechten Menschen an den rechten Platz gekommen sind, dann 
haben sie mit ihren Händen alles in Geld verwandelt. Ich meine, 
dass es im Grunde unserer verkehrten Dinge doch etwas gibt 
wie eine „Volkswirtschaft des Talents“, die allerdings noch nicht 
von Menschen erkannt, sondern von der Natur selbst geübt 
wird. Wenn Talente gute Leistungen hervorgebracht haben, dann 
haben sie in Übereinstimmung mit sich selbst gelebt. Ich meine 
auch, dass in jeder menschlichen Natur irgendein Talent steckt, 
das nicht verloren gehen dürfte und das mitbauen könnte, die 
Weltherrlichkeit zu vollenden. Wenn aber das Talent mit sich 
selbst in Übereinstimmung schafft, wird es sein Bestes leisten, 
und diese Arbeit wird keine andere tiefere und natürlichere 
Triebfeder haben als die Selbstbeglückung. □ 
Das sinnlose Chaos, die qualvolle Unruhe, das ängstliche Suchen 
empfängt durch diesen Gedanken Ordnung, Ruhe und Hoffnung. 
Würde diese einfache Erkenntnis von der Arbeit als Selbst 
beglückung plötzlich wie durch einen göttlichen Machtspruch 
zur Grundlage aller unserer menschlichen Einrichtungen gemacht 
werden, was sie höchstwahrscheinlich nicht werden wird, so 
müsste im gesamten Staats- und Wirtschaftsleben eine wunder 
bare Umwandlung eintreten müssen. Was feindlich getrennt 
schien, würde in Harmonie leben, die Gedanken der Kunst 
würden im Staat, in der Volkswirtschaft, in der Schule Ergänzung 
und Erfüllung finden, Pflicht und Neigung, Beruf und Anlage, 
Arbeit und Glück würde verschmelzen, alle Arbeit, die geschieht, 
würde nicht der Ausdruck des Zwanges und der Unlust, sondern 
der Freude und des inneren Dranges sein, und das Antlitz der 
Erde würde die Schönheit all dieser Seelenbekenntnisse durch 
die tausendfachen Materialien hindurch ausstrahlen, den Glanz 
und die Wärme wohl angewendeter Kraft und erlebten Glückes, 
eine ungeheure Steigerung der Lebensgüter würde eintreten 
müssen, wenn die wertbildenden Quellen des Talentes infolge 
dieses inneren Erlebens weit offen und ergiebig sind, während 
sie in den heutigen Umständen verschüttet und spärlich sind. 
Das Gebilde des nationalen Lebens würde, auf dieser natürlichen 
Grundlage entwickelt, allerdings eine wesentlich andere Struktur 
zeigen, als es heute sein kann. □ 
Ich spreche davon als von einer Notwendigkeit, wenn ich auch 
einsehe, dass eine solche Verwirklichung nicht möglich ist. Denn 
es gibt eine übermächtige Mehrheit, die beweisen wird, dass 
durch eine solche „Volkswirtschaft des Talentes“ die Bäume 
alsbald in den Himmel wachsen werden. Ich meine aber, dass 
dafür schon gesorgt ist. Der Wald hat nicht lauter hohe Bäume, 
er hat Sträucher, Gräser und Moose. Aber das unscheinbarste 
Moos ist in sich vollendet, eine fertige Bildung, ein Talent in 
abgeschlossener Entfaltung, eine Arbeit, die sich selbst beglückt, 
ein Ergebnis der Ökonomie in der Natur. Die „Volkswirtschaft 
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