188
Rudolf Schwarzkogler, Ohne Titel, (Sigmund-Freud-Bild), 1965
Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien
graphie und damit der Aktionen in Collagen. Die Aktions
photographie wird zum Rohmaterial, dessen Eigenschaften
auf der Bildfläche wieder narrative Aussagen ermöglichen.
Vor einer Phase der Radikalisierung der Aktionen ab 1967
läßt das episodenhafte Auflebenlassen dieser eigentlichen
Methode der Avantgarde den Künstlern das ursprünglich
abgelehnte Bild als wieder möglich und sinnvoll erscheinen.
Tatsächlich formulieren vor allem Mühl und Brus in den
Collagen jene politischen Positionen, für die der Wiener
Aktionismus als Kritik an den Hegemonien von Staat und
Kirche und an deren Zugriff auf die Freiheit des Individuums
zum Synonym wurde. 1968 kündigte Brus auf einem Plakat
eine Aktion mit dem Titel Der Staatsbürger Günter Brus
betrachtet seinen Körper an. Spätestens hier wird Kunst
zum konkreten, politischen Gestus, dessen Kern im Selbst
beobachtungsritual der Aktion zu finden ist und der mit den
Mitteln der photographischen Reproduktion analytisch
gespiegelt wird. Ein solcher Akt bestätigt die Photographie
als Medium der Befreiung - eine Möglichkeit, die die Wiener
Aktionisten zweifelsohne genutzt haben.
Es gibt in den Werkstrukturen viele Gemeinsamkeiten zwi
schen den Wiener Aktionisten und Joseph Beuys, der
Zentralfigur der deutschen Nachkriegskunst. Obwohl die
Wiener Künstler mit Ausnahme des Weltkriegsteilnehmers
Mühl einer etwas jüngeren Generation angehören, berühren
sich ihre Arbeiten in der parallelen Entwicklung performati-
ver Dimensionen. Sowohl Beuys als auch Mühl und Nitsch
haben ihre ersten öffentlichen Aktionen um 1962/63 durch
geführt. Wie Beuys sahen auch Brus, Nitsch, Mühl und
Schwarzkogler ihre Arbeit im wesentlichen nicht in Zusam
menhang mit dem amerikanischen Happening und der
Position von Fluxus, sondern in einer vorwiegend europäi
schen, vom Surrealismus und der Annahme einer nach wie
vor möglichen Ästhetik des Unterbewußten ausgehenden
Entwicklungstradition. Innerhalb einer Geschichte der
frühesten performativen Entwicklungen in der bildenden
Kunst stehen sie mit diesem Ansatz - wie auch der franzö
sische Mystiker Yves Klein und der Mailänder Strukturaiist
Piero Manzoni - dem amerikanischen Happening und der
Fluxus-Bewegung als europäische Neo-Avantgarden