AGI
Die Flut visueller Werbemittel, die alle den Anspruch erheben, von uns
beachtet zu werden, wächst zusehends. Der Personenkreis, der als
Auftraggeber, Gestalter, Hersteller und Mittler dabei tätig ist, wird
immer größer. Gigantische Summen werden eingesetzt, die Verantwortung
steigt, die zu lösenden Aufgaben werden unbarmherzig von Tag zu Tag
schwieriger.
Wir leben in einem Zeitalter ungeahnten wissenschaftlichen und techni
schen Fortschrittes. Eines Fortschrittes, der nur der schöpferischen Kraft
und Genialität des menschlichen Geistes zu verdanken ist. EinerTatsache,
die leider vielfach übersehen wird. Man glaubt, mit den großartigen
Hilfen, die uns Wissenschaft und Technik geben, einfach jedes Problem
lösen zu können, unter Ausschaltung menschlicher Fehlleistungen, ohne
Risiko, mit größtmöglicher Sicherheit. Das Elektronengehirn wird höher
eingeschätzt als das Gehirn seines Schöpfers, Der Spruch des Computers
ist tabu.
Auch die Werbung ist in immer größerem Umfange der Versuchung
unterlegen, ihre Probleme auf diese „sichere" Art zu lösen. Und dies ist
verständlich, gleich ob der Beweggrund im Einzelfall Verantwortungs
gefühl oder Mangel an Zeit, Fähigkeit oder der Bereitschaft Verantwortung
zu tragen sein mag. Verständlich auch deshalb, weil sich ja auch
„Erfolge" einstellten. Es wurde und wird nämlich mit „Sicherheit"
erreicht, daß mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden und technischer
Einrichtungen Fehlleistungen ausgeschaltet werden. Denn nur unproble
matische Arbeiten überstehen einen solchen Test. Die Folgen davon sind
aber leider nicht nur positiver Natur. Denn problematische Arbeiten
sind alle Arbeiten, die sowohl unter als auch über dem Durchschnitt
liegeni Man testet also mit „Sicherheit” nicht nur das Schlechteste,
sondern mit derselben ,,Sicherheit" lauch das Beste heraus. Was übrig
bleibt (Beweis: unsere Plakatwände) ist wirklich problemlos, unterein
ander weitgehend gleichwertig und ähnlich, nicht heiß und nicht kalt
— es ist nichts „passiert" — die Beteiligten können ruhig schlafen . . .
Schläft aber auch der Auftraggeber? Der Unternehmer, der in einem
immer härter werdenden Konkurrenzkampf seine Leistungen, seine
Produkte so anbieten muß, daß sie beachtet werden, nicht untergehen
in der Flut ähnlicher Angebote ? I
Es mehren sich die Zeichen, daß dies nicht der Fall ist. Zumindest im
Auslande. Man hat dort bereits die Sackgasse erkannt, in die man
hineingetestet wurde. Die Forderung nach mehr individuellem Firmenstil,
nach mehr „persönlicher Handschrift" wird immer vernehmlicher.
Große Firmen, Unternehmungen und Institutionen von weltweiter
Bedeutung haben in diesem Sinne ihre Werbung von der kreativen Seite
her bereits umgestellt. Ihr „Image" wird, was die visuellen Werbemittel
betrifft, verantwortlich von hervorragenden Künstlern mit ,,Handschrift"
gestaltet. Und dies mit unverkennbarem Erfolg.
Als Beweis dafür zeigen wir nun diese Ausstellung, zeigen Arbeiten von
den derzeitigen 101 Mitgliedern der AGI (Alliance Graphique Inter
nationale) aus aller Welt. Es ist dies vermutlich die umfassendste Doku
mentation moderner internationaler Gebrauchsgraphik, die in Österreich
je gezeigt wurde. Sie wurde von der deutschen Gruppe der AGI zusammen-
gestellt und bisher in Hamburg und Stuttgart gezeigt. Wir hoffen, daß
sie von allen, die es angeht, gesehen wird und wertvolle Anregungen
vermittelt.
Glücklich darüber, daß es uns gelungen ist, diese Ausstellung hier zu
präsentieren, stellen wir dankbar fest, daß dies nicht nur dem großen
Entgegenkommen der AGI selbst, sondern vor allem der großzügigen
Förderung dieses Projektes von seiten des Bundesministeriums für
Unterricht und der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien,
Wirtschaftsförderungsinstitut, zuzuschreiben ist. Dieses vorbildliche
Beispiel des richtigen Erkennens der großen kulturellen und wirt
schaftlichen Bedeutung, die der Gebrauchsgraphik in unserer Zeit
zukommt, ermutigt uns in dem Bestreben, der österreichischen Gebrauchs
graphik wieder mehr Ansehen zu verschaffen, wozu uns eine große
Tradition ebenso verpflichtet wie das beachtliche Können jüngerer
Kräfte, die wir in absehbarer Zeit der Öffentlichkeit ebenfalls vorstellen
werden,
Alfred Proksch
Präsident des Bundes
Österreichischer Gebrauchsgraphiker (BÖG)