Wahrlich eine Aufgabe, der grössten eine, die nicht bloss einen eminenten
Künstler, auch einen eminenten Kopf erfordert.
Wie das gewaltige Gebäude sich heute vor unseren Augen erhebt, ist es nur
möglich, dasselbe in seiner äusseren Gestaltung zu beurtheilen, ein hochragender vier
eckiger Bau in der Mitte, der ganz dem speciellen Unterricht gewidmet ist, daran
vorn in der Hauptfa^ade die Aula mit den Hauptstiegen und den Nebenräumen, rück
wärts die Bibliothek, auf den Ecken kuppelgekrönte Pavillons, welche die Seiten ver
binden und jeder für sich Relief und Abschluss geben. Jegliche Bestimmung ist klar
ausgesprochen, in der Front die hoch emporschiessende Aula, rückwärts die fenster
lose, mit Blendarkaden gegliederte Wand des mit Oberlicht erleuchteten Bibliothek
saales, zu den Seiten die gleichmässige Flucht der Hörsäle. Künstlerisch betrachtet,
wir glauben Melodien zu hören; in unserer Erinnerung werden die grossen Bauten
Italiens lebendig, und die gepriesenen Namen Bramante und San Michele und Sanso-
vino, und wie sie sonst lauten, aus der goldenen Zeit des Cinque cento, klingen in
unserem Ohr.
Der grosse Meister ist heimgegangen zu seinen Genossen. Er hat sein Werk
unfertig verlassen müssen, ohne den Schmuck, der ihm erst den Stempel der Voll
endung aufdrücken sollte. .Freilich, seine Ideen, wie er es machen wollte, sind bekannt,
sind gezeichnet und niedergelegt, und er hat das Werk gelassen in den bewährten
Händen seines Schwagers, seines langjährigen treuen Mitarbeiters Köchlin, aber über
diesen Ideen schwebte und schwebt das Schwert des Damokles.
Werden diejenigen Räume, die dafür bestimmt und berechnet sind, so fragen
wir besorgt, auch den farbigen, malerischen Schmuck erhalten, den sie verlangen wie
Hungernde und Dürstende?
Unser Freund und Meister Hess noch mehr der Waisen zurück als diesen un
vollendeten Bau. Das Geschick hatte es gut mit ihm gemeint; es hatte ihn wie mit
Schaffensdrang, so auch mit Schönheit und Lebensfreudigkeit ausgestattet und hatte
ihm ein häusliches Glück wie nicht vielen gewährt und hatte es ihn ungetrübt und
lange Jahre geniessen lassen. Zu Grinzing auf weit das Land überschauender Anhöhe
hatte er zu jener Zeit, da er noch in der architektonischen Romantik lebte, diesem
Familienglück eine reizende Stätte geschaffen, und gerade hatte er sich auch das
städtische Heim für das Leben nach Bedarf und Geschmack eingerichtet. Im Behagen
der eigenen Häuslichkeit besass er einen ausserordentlichen Sinn dafür, der so oft
den Architekten abgeht. Beweis dessen die von vielen mit Dank gepriesene Anlage
der Cottages bei Währing, die seine Schöpfung war und der er noch in letzter Stunde
einen gemeinsamen Mustergarten zu schaffen bemüht war.
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