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scheint mir für den Kunstunterricht eben so wichtig als die stylverwandte
Figur des borghesischen Fechters oder die Laokoon-Gruppe und ist unver
gleichlich besser und lehrreicher als der Apollo vom Belvedere.
Die Erwerbungen auf dem Gebiete der Sculpturen kommen in erster
Linie den Bildhauern Berlins zu statten, welche in unserem Jahrhunderte
in Chr. Rauch eine schulbildende Kraft gefunden haben. A. Schlüter
scheint mir zweifellos, mit Rauch verglichen, der größere Künstler gewesen
zu sein, Rauch als Bildhauer an Phantasie und Erfindungskraft überlegen,
als Architekt allen seinen preußischen Zeitgenossen und Nachfolgern
vorauszustellen. In seinem bewegten Leben hatte Schlüter nicht recht
Muße, eine Schule zu bilden. Anders war es bei Rauch. Ausgerüstet mit
unvergleichlicher körperlicher Kraft, durchaus klarer und geistig gesunder
Natur, nicht angekränkelt von dem Berliner Geistreichthun, erschien er
mir, so oft ich ihm begegnet bin, als der echteste Vertreter der modernen
deutschen Plastik. Ihm hat Dr. Egger ein schönes, liebevoll geschriebenes
biographisches Denkmal gewidmet. Er hat es mehr als ein anderer Bild
hauer verdient, dass zu seinem Andenken ein Museum gegründet wurde.
Das Rauch-Museum steht in Berlin unter der Leitung des Directors
Bildhauer Siemering. Rauch war es gegönnt, mehr als vierzig Jahre als
Lehrer und schaffender Künstler zu wirken. Er fußte geistig auf der An
tike, und seinem Einflüsse ist es vorzüglich zuzuschreiben, dass noch heute
die Bildhauer Berlins mit Vorliebe sich mit dem Studium der Antike be
schäftigen. Die Plastik ist jene Kunst, für welche Berlin ein relativ größeres
Verständniss und eine specifische Vorliebe hat. Ein viel geringeres Ver
ständnis hat man in Berlin für Architektur und Malerei. Die Modemaler
spielen daselbst oft eine dominirende Stellung, während die echten Künstler
naturenwenig beachtet blieben. Hat aber hingegen ein Bildhauer etwas Tüch
tiges geleistet, wie es gegenwärtig bei Siemering, Begas und Schaper der Fall
ist, so kann man sicher sein, dass er ein richtiges Verständniss finden wird.
Ganz anders ist es in Wien. Das Wiener Publicum ist so zu sagen malerisch-
musikalisch angelegt; seine ganze Einsichts- und Denkungsweise ist mehr
romantisch als classisch empfindend, und es gibt daher auch wenig Lieb
haberei und Verständniss im vornehmen Publicum für Plastik. Während
wir alte und neue Gemälde auch in unseren bürgerlichen Salons zahlreich
finden, begegnen wir selbst in der vornehmsten Welt fast nicht Ein hervor
ragendes Werk von Thorwaldsen, Rauch oder einem anderen bedeutenden
Bildhauer. Auch finden unsere Bildhauer nur sehr wenige antike Sculpturen
in den öffentlichen Museen, die vorbildlich anregend wirken können. Um so
nothwendiger ist es im Interesse unserer jetzt so mächtig aufstrebenden
Bildhauerkunst, in welcher der künstlerische Ehrgeiz lebendig geworden ist,
dass der Schatz von antiken Bildwerken in den Hofmuseen vermehrt würde.
Berlin ist unablässig bemüht, und scheut nicht die größten Geldopfer, das
geistige Anlagecapital für Bildhauer durch Erwerbungen hervorragender
Bildwerke zu vermehren. Das Capital hat sich gut verwerthet. Ganz