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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 4
Philatelie.
(Die ersten Li e c h t e n s t e i n - M a r k e n.) Die
von den Philatelisten heiß ersehnten ersten Briefmarken
des Fürstentums Liechtenstein sind am 1. Februar
offiziell ausgegeben worden, waren aber schon ein bis zwei
Tage früher in den großen Wiener Briefmarkenhandlungen
zu haben. Die ersten Liechtensteiner präsentieren sich sehr
nett. Der Fürst, der seinen eigenen Untertanen mehr aus
Bildern als vom Sehen bekannt ist — erschien er doch in
den 54 Jahren seiner Regierung nicht öfter als dreimal im
Ländchen — ist gut getroffen. Das Porträt ist dasselbe, das
von den Jubiläumsmünzen her bekannt ist. Auf den Marken
ist das Liechtensteinsche Wappen angebracht. Außer der
Wertbezeichnung tragen sie noch die Inschrift: »K. k. öster
reichische Post in Liechtenstein.«
(Bulgarische Jubiiäumspostkarten.) Anläß
lich der Großjährigkeitserklärung des Kronprinzen Boris hat
die bulgarische Postverwaltung Jubiiäumspostkarten zu 5 und
10 Stotinki ausgegeben, die das Porträt des Kronprinzen tragen
und mit einem eigenen Jubiläumsstempel (Datum 20. 1. 1912)
abgestempelt wurden. Das Markenbild ist dasselbe wie bei den
Karten der letzten Emission. Die Karten waren nur drei Tage
im Umlauf, aber diese kurze Frist hat genügt, um das In- und
Ausland mit derlei Karten zu überschwemmen.
(Ein Brief, der 2810 Rubel Porto kostet.) Eine
Londoner Briefmarkenfirma hat in ihrem Geschäftslokale
einen Brief ausgestellt, der die Bewunderung aller Kenner er
regt. Es ist der Umschlag eines Briefes, der kürzlich von Ruß
land nach Oesterreich geschickt worden ist und für
den das erstaunlich hohe Porto von 2810 Rubel einschließlich
der Versicherungsgebühr entrichtet werden mußte. Er ist
65 Zentimeter lang und 30 Zentimeter breit. Sein Inhalt sollen
Wertpapiere gewesen sein, die einer österreichischen Bank
von einem russischen Auftraggeber zugeschickt wurden. Die
ganze Vorderseite des Umschlages ist mit — im ganzen 281 —
Zehnrubelmarken beklebt. Für die Portosumme hätte ein Bote
nicht nur nach dem Bestimmungsorte fahren, sondern auch
noch eine Reise um die ganze Welt machen können.
Verschiedenes.
(Eine mährische S i 1 h o u e 11 e n g a 1 e r i e.) Im
Erzherzog Rainer-Museum in Brünn ist zur Zeit
eine mährische Silhouettengalerie zu Gast, von der der Direktor
des Museums, Herr Julius L e i s c h i n g, im »Tagesboten aus
Mähren und Schlesien« (Nr. 47 vom 29. Jänner) eine interessante
Schilderung entwirft. Leisching schreibt unter anderem: Noch
che sich die eben erfundene Photographie recht durchzusetzen
vermocht — in der Mitte des 19. Jahrhunderts — spielte das
Porträtieren mit Scheere und schwarzem Papier eine große Rolle.
Der längst vergessene Finanzminister Ludwigs XV., Mr. de Sil-
honett e, hat wohl nie geahnt, daß er durch seine sprichwört
liche Knauserei einmal unsterblich werden würde. Als mitten in
alle farbenfrohe Rokokotändelei plötzlich seine finsteren Verord
nungen einschlugen, erschien — zuerst, wie immer, nur zum
Hohn, dann als Mode und schließlich aus Gewohnheit — »alles
ä la Silhouette, die Moden erhielten in ihren Mustern das Ge
präge der Magerkeit und Aermlichke.it, die Tabaksdosen waren
aus rohem Holz, die Porträts schwarze Profilbilder nach dem
Schatten, welche eine Kerze auf weißes Papier wirft«. So heißt
es in einem alten Pariser Buch. Das neue, neunzehnte Jahrhundert
ließ sich nicht viel lustiger an. Die Kriege gegen Napoleon, die
Verarmung des Volkes, die schwer lastende Staatskunst nach
dem Wiener Kongreß ließen alles schwarz genug erscheinen, so
recht »ä la Silhouette«. Und so zog noch in den Vierzigerjahren
ein Wanderfroher Scherenkünstler durch ganz Mähren und
Böhmen, Franz Xaver G e i g n e r. Kein Kopf war vor seiner
Schere sicher. Er schneidet Fürsten und Kammerjungfern, Chor
herren und Bahnassistenten, eine damals noch sehr seltene
Spezies. Er schneidet Majore und Oberjäger, Philosophen und
Stallmeister, Chorsänger und Steueramtsschreiber, »Poetiker«
und erzbischöfliche Portierstöchter. 1841 und 1846 ist er in Brünn,
1843 in Busau, Mährisch-Triibau und Hohenstadt, in Miirau und
Muglitz, 1844 in Deutsch-Liebau und Mährisch-Neustadt, in
Mährisch-Schönberg und Sternberg, 1845 in Olmütz und Unga-
risch-Hradisch, 1846 in Kremsier und Proßnitz. Kein Ort ist so
klein, ein Siihouetteur muß darin sein. Wohin er nicht kommt,
von dort laufen ihm die Leute nach: von Sokolnitz und Tischno
witz nach Brünn, von Johnsdorf nach Schönberg, von Prerau,
»Sporowitz« und Kwassitz nach Kremsier. Er ist der reine Ratten
fänger. Die liebe Eitelkeit läßt keinen ruhen. Und da der fleißige
Franz Xaver alle Häuser, durch die er sich durchgegessen und
-geschnitten hat. genau notiert mit Namen, Ort, Datum, ja sogar
gelegentlich mit dem Alter seiner Modelle, so haben wir da eine
ganze Chronik in Bildern vor uns. Leisching zählt die Namen
der Silhouettierten auf. von denen wohl keiner mehr unter den
Lebenden weilt. Geigner zog übrigens auch durch Böhmen und
Niederösterreich, wo er eine ganze Adelsgalerie schuf. Er sil-
houettierte unter anderen die Auersperg, Boos-Waldeck, Des-
fours, Eltz, Kinsky, Kolowrat. Liechtenstein, Lobkowitz, Monte-
cuccoli, Paar, Thun, Thurn-Taxis, Waldsteh: und Windischgrätz.
(Prager Qeweihausstellung.) Aus Prag wird
uns geschrieben: Die Prager Geweihaussteliung. deren Zustande
kommen heuer mangels eines geeigneten Lokales in Frage ge
stellt war, findet nun doch statt, da Graf Rudolf Czernin-
M o r z i n in äußerst zuvorkommender Weise die nötigen Räum
lichkeiten in seinem Hause in der Nerudagasse zur Verfügung
gestellt hat. Die Ausstellung soll am 16. d. vormittags eröffnet
werden und bis inklusive Sonntag den 18. d. M. dauern.
(Diebstahl einer Stradivari.) Aus Budapest
wird uns unterm 29. v. M. gemeldet: Der bekannte Violinvirtuose
Franz v. H e g e d ii s gab vor einigen Tagen seine mit mehr als
60.000 Kronen bewertete echte Stradivariusgeige in Reparatur.
Heute nachmittags ließ er sic durch seinen kleinen Neffen ab
holen. Auf dem Rückwege in die Wohnung wurde der Junge
von einem unbekannten Manne angesprochen, der ihn bat, einen
Brief in ein in der Nähe befindliches Haus zu tragen. Er würde,
bis der Junge zurückkehre, die Violine gerne halten. Vertrauens
selig übergab der Knabe, dem für den Dienst eine Belohnung
versprochen worden war, dem Unbekannten die kostbare Geige.
Als der Knabe zurückkehrte, war der Mann mit der Violine ver
schwunden.
(Steingeschosse aus dem 15. Jahrhundert.)
Der Bäckermeister Hans K ö c h 1 e r in Innsbruck hat dem
Erzherzog Eugen 20 alte Steihkugeln von verschiedener
Größe geschenkt, die seinerzeit bei Tieferlegung seines
Kellers gefunden wurden und offenbar Steingesehosse aus
dem 15. Jahrhundert sind. Der Erzherzog hat die Widmung
angenommen und angeordnet, daß die Kugeln der Sammlung
auf seinem Schlosse Hohen werfen (Salzburg) einverleibt
werden.
(Ausstellung von Porträtminiaturen.) Aus
Leipzig wird uns geschrieben: Im Städtischen Kunst
gewerbemuseum ist zur Zeit eine stattliche Anzahl gewählter
Porträtminiaturen auf Gold, Elfenbein, Pergament
u. s. w. ausgestellt. Der allerkleinste Teil davon gehört dem
Museum, die meisten stammen aus einer auswärtigen Privat-
sammlting. Eine Reihe von ungefähr 80, zum größten Teil
vorzüglichen Arbeiten gibt eine bequeme Uebersicht über das
Niveau der französischen und englischen Miniaturmalerei vorn
Ende des 17. bis zum Anfänge des 19. Jahrhunderts. Den fein
detaillierten, delikat durchmodellierten Schöpfungen von Jean
Petitot, Hall, Dumont, Gerard, Augustin stehen die schwung
voll-eleganten, zartgetönten Arbeiten Cosways, Plimers und
Shelleys gegenüber. Deutsche Miniaturen sind leider nur in
verschwindender Minderheit vertreten. Hervorgehoben sei
ein Herrenporträt in der Art des E. Heinsius, das sich durch
kräftige Charakteristik und starke Farbakzente auszeichnet.
Lokalhistorischcs Interesse haben zwei Gruppenporträts: Das