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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
19. Jahrgang. Wien, 15. Juli 1927. Nr. 14. 
37Iax ßießermann. 
Zum 80. deöurtstage des größten JTlafers. 
‘Uon c Dr. 37hax Srmers (7ß?ien). 
Um es gleich vorwegzunehmen und keinen Irrtum 
aufkommen zu lassen, dem die Hymniker Liebermanns 
gerne verfallen: Er ist keiner von den Allergrößten, 
kein neuer Pfadfinder, kein Entdecker, keiner, von 
dem eine neue Welt zu beginnen anhebt. Nicht darf 
man ihn vergleichen — wenn man nicht der Lächer 
lichkeit verfallen will — mit Tizian, Michelangelo, 
Rembrandt.... die der Welt neue Welten geschenkt 
haben. Aber inmitten des idealistischen Chaos der 
deutschen Kunst-des 19. Jahrhunderts steht er wie ein 
„erzerner Felsen“ da, als einer, der mit gewaltiger 
Schwungkraft dem Strom der Malerei ein gesundes, 
entwicklungsfähiges Bett gegeben hat, in den die 
anderen Flüsse und Nebenflüsse gesichert einmünden 
können. Er hat den Staub der Jahrhunderte von der 
in Tradition vegetierenden Malerei der Deutschen hin- 
weggeTegt und eine Atmosphäre geschaffen, in der es 
den Jungen und Jüngsten wieder einmal möglich war, 
tief und frei zu atmen und sich selbst zu finden. Er 
war der Kunst zwischen Rhein und Donau das reini 
gende, Bahn freimachende Gewitter. 
Man muß sich die den Heutigen nicht mehr ganz 
plausible Kunstatmosphäre Deutschlands in den 
Jahren nach der Revolution, in der Zeit der Reaktion 
und der Gründer vorstellen, um die Wirksamkeit 
Liebermanns ganz zu verstehen, dessen Geburtsstunde 
noch in die Vormärzzeit fällt. Ein Piloty schuf damals 
seine theatralischen Kompositionen inRiesenformaten, 
die die Weltgeschichte wiederholen und übertrumpfen 
wollten. Ein Feuerbach suchte mit antikischer Ge 
berde und vornehmer Seele das Land der Griechen mit 
der Seele. Ein Marees strebte danach, mit den Ge 
heimnissen des Horizontalen und Vertikalen in der 
Komposition ein neues goldenes Zeitalter der Malerei 
aufleuchten zu lassen. Ein Böcklin unterwarf mit 
seiner leuchtendbunten Palette nochmals die,Erde und 
ihr Publikum einem pantheistischen, entschwundenem 
Pan- und Tritonenkult. Ein Schwind versuchte mit 
mäßigen Malmitteln, aber um so rührseligerer Ueber- 
redungskunst die deutsche Jugend in den deutschen 
Wald zurückzuführen. Selbst Menzel — ansonsten 
Liebermanns großer Bruder — marschierte mit Vor 
liebe und Meissonier’scher Akkuratesse ins frideri- 
zianische Zeitalter zurück und wagte damals nur aus 
nahmsweise die Augen voll für das zu öffnen, was 
das überfließende Füllhorn der Welt in ununter 
brochener Reihe vom Kleinsten bis zum Größten tag 
täglich an unretouchierten optischen Sehenswürdig 
keiten darbot. Die Anderen alle hatten damals die 
Augen noch geschlossen — oder blinzelten höchstens 
schüchtern durch die Wimperspalte. Nur inFrankreich 
hatte eine ganze Generation bereits begonnen die 
Augen aufzureißen und die Welt so zu sehen, wie 
sie mit all ihren tausend Nüancen und Beweglichkeiten 
in Licht und Luft und Nebel und Sonne erstrahlt. 
• 
Liebermann, reinrassiger Berliner — soweit dieses 
Wort in dem ostdeutsch-slawisch-jüdischen Gemisch 
noch einen Sinn hat — begann in Berlin, bei Steffek, 
zu lernen. In den Sechziger Jahren ging er aber nach 
Weimar an die Akademie, wo ein gewisser Pauwels 
irgendwie Kontakt mit Courbet hatte, dem überragen 
den Meister des französischen Realismus. Später kam 
er nach Paris selbst, wo er die Barbizoner und Mun- 
kacsy kennen lernte. Pilgerort seiner malerischen 
Wanderschaft aber blieb Holland, wo der goldig 
dämmerige Rembrandt, der schmissige Frans Hals, 
und der ältere Zeitgenosse Josef .Israels mit seinem 
schweren Helldunkel und seiner farblos-grau düsteren 
Wirklichkeitsschilderei für lange Zeit den jungen 
Maler faszinierten. Ja, man darf sagen: der kühne 
Hals und der graue Israels haben ihm dauernd ihren 
Stempel aufgeprägt. In den Jahren 1873 bis 1878, 
Jahre, in denen er sich mit französischer Kunst voll 
sog, ist er dann der geworden, der er noch heute ist: 
der große Maler der Realität. Realität um ihrer selbst 
willen. Festgehalten mit unsagbarer Treue zum Welt 
all, zur Natur, zum Milieu. Ohne den vordringlichen 
Wunsch, in Form und Farbe die einmal gesetzten 
Gegebenheiten zum Träger des persönlichen Gefühls 
zu machen. 
In der frühen Zeit, als er „Die Gänserupferinnen“, 
„Die Konservenmacherinnen“, „DasTischgebet“ malte, 
da war noch etwas Gestelltes in seinen Bildern, der 
geschlossene Raum regierte, sperrte Luft und Licht 
ab. Zwischen Courbet und Israels ging er damals 
mitten durch. Aber als Dreißiger bereits ging ihm für 
das Licht „ein Licht auf“. Mit neuen Augen begann 
er die Natur zu sehen; mit Augen, die in dem zittrigen 
Oberflächenschein der Dinge, in der verschwimmenden 
Silhouette, in der Sonnenkraft, die alle harten Kon-
	        
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