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Geschlossenheit über die handwerkliche Enge einer Goldschmiedezeichnung
weit hinausragt. Über felsigen Boden krümmt sich der Drache zum Sockel
der Immakulata, die über der Erdkugel und der Mondsichel stehend, mit
betend zur Brust erhobenen Händen in die Strahlenglorie emporblickt, über
deren Kern Gottvaters segnende Halbiigur erscheint; über der Lunula
schwebt der heilige Geist als Taube.
Zur kunstgewerblichen Ausführung war dieser bedeutende und eindring-
liche Entwurf nicht ohne weiteres geeignet; es bedurfte einer weitgehenden
Umsetzung, um den Bedürfnissen des Handwerks gerecht zu werden. Trotz
dieser notwendigen Umsetzung bleibt aber der Zusammenhang zwischen
diesem Entwurf und der Strahlenmonstranz, die in der Schatzkammer von
Maria Loretto am Hradschin zu Prag verwahrt wird, sehr deutlich (Abb. I2
und I3). Alle Elemente der Zeichnung kehren wieder - über dem Felsboden
der gewundene Drache, die Immakulata, die in gleicher Haltung mit andächtig
erhobenem Antlitz emporblickt, der Strahlenkranz mit Gottvater und der
Taube über der Lunula --, nur sind sie den anderen Stilgesetzen des Gold-
schmiedes entsprechend verändert und bereichert. Diese Veränderungen
an der ursprünglichen Idee haben der Hofjuwelier Matthias Stegner und der
Goldschmied johann Känischbauer vorgenommen und deshalb durften sie
sich wohl der Erfindung ihres Werkes rühmen. „Durch Mathiam Stegner
und Johann Khunischbauer inventirt und gemacht in Wien 169g" lautet die
Inschrift der Monstranz; aber hinter ihrer Invention steht die sprudelnde
Gestaltungskraft eines Meisters von ganz anderem Range. Daß dieser
Meister niemand anderer als Johann Bernhard Fischer von Erlach gewesen
sein kann, erhält durch die näheren Umstände der Bestellung der Monstranz
eine weitere Bekräftigung." Ludmilla Eva Franziska Gräfin von Kolowrat,
geborene Hieserle von Chodau, eine treue Verehrerin des Hauses von
Loretto, hatte deren Anfertigung in ihrem Testamente verfügt; den Vollzug
dieses letzten Willens veranlaßte ihr Stiefsohn Wenzel Ferdinand Graf
von Lobkowitz, der - zur Zeit ihres Todes als kaiserlicher Botschafter in
Madrid abwesend - seinen Vertreter in dieser Angelegenheit, den Ober-
regenten seiner sämtlichen Herrschaften, Heinrich Wendelin Froideval von
Kaltenthal, an den Rat und das Gutbeiinden Seiner Exzellenz des Grafen
Philipp von Dietrichstein verwies, desselben Grafen Dietrichstein, aus dessen
oder dessen Familie Besitz die Blätter bei Harrach stammen dürften und
dessen Wiener Palast - jetzt Palais Lobkowitz - der nämliche Fischer
von Erlach durch Zufügung des schönen I-Iauptportals geschickt moder-
nisierte. Wie es üblich war, dürfte er auch bei den anderen künstlerischen
Unternehmungen seines Bauherrn maßgebend eingegriffen und so auch
die Idee für die Monstranz geliefert haben, deren Verfertigung Graf Dietrich-
stein beaufsichtigte.
1' Über die Entstehungsgeschichte der Monsxranz siehe Carnillo List. „Zur Geschichte der Wiener Gold-
schmiedezunft" in „Berichte und Mitteilungen des Wiener Altertumsvereins", XXXIII, Seite x57 f.