I Aktuelles Kunstgeschehen I Österreich
Wien
Museum des 20. Jahrhunderts
Georg Groß
Eine sehr umfangreiche Schau, die einen guten
Überblick von Graß' Entwicklung gibt. Schon in
seinen frühen Zeichnungen, die noch stark vorn
ornamentalen Jugendstil beeinflußt waren, trat
ein kritisches Moment zu Tage (Zwei Männer, 1909).
Auch bei den frühen Landschaftsstudien ist
augenfällig, daß sich Groß den städtisdien
Randzonen zuwendet. Um die Jahre 1913114 wird
die Strichlage lockerer, es kommen immer mehr
soziale, onklägerische Motive in seine Blätter.
In den Jahren des ersten Weltkriegs entwickelt
sich sein spezifischer Stil, iene Strichmännchen,
die eventuell noch mit Farbe gehöht werden,
mit denen er vall beißender Ironie, immer wieder,
bis in die dreißiger Jahre die Mißstände der
Gesellschaft geißelte. Einen Wandel, ia Umbruch
zeigten die Arbeiten nach der Emigration.
Sie sind sonderbar leer und kraftlos. Die unbedingte
Spitze im Negativen sind die Collagen aus dem
Jahre 1958, die in dem ausführlichen, guten
Katalog (bzw. Begleitbuch) von U. M. Schneede mit
den Dada-Bildern der zwanziger Jahre verglichen
werden, aber gerade bei diesem Vergleich sehr
ungünstig abschneiden.
(2. 6-18. 7. 1976) - (Abb. 1)
Secession
Albin Egger-Lienz (1868-1926)
Eine gemeinsam mit dem Tiroler Landesmuseum
Ferdinondeum, Innsbruck, das auch die
Zusammenstellung und den guten Katalog besorgte,
veranstaltete Schau. Deutlich wird uns Eggers
Herkommen von Leibl, seine Berührung mit dem
Jugendstil, die ihn viel mehr als iene äußere
Beeinflussung durch Defregger prägte, die
Verbindung zu Hodler und Meunier und die Findung
seiner großflächigen, tonigen Malerei bewußt.
Immer größer wird das statische Moment in den
Bildern. So daß wir bei den letzten, 1926
entstandenen Werken von einer starren Ruhe
sprechen können. Deutlich wird in der Ausstellung
auch, wie sehr der Künstler in der Zeit des Dritten
Reiches für den Blut-und-Boden-Kult mißbraucht
wurde, denn gerade Eggers Kriegsbilder, etwa
„Toter Soldat" um 1918, haben durchaus nichts
das Heldentum Verherrlichendes.
(25. 5.-15. 6. 1976) - (Abb. 2)
Künstlerhaus
Oskar Kokoschka
Wieder ein großer Überblick - das gesamte
druckgraphische Werk von 1906 bis 1976 - eines
reichen Künstlerlebens, beginnend bei den
Jugendstilwerken für die Wiener Werkstätte bis
hin zu den Farblithagrophien nach Aquarellen.
Druckgraphik sehr unterschiedlicher Originalität.
Wieviel sind gerade die Letztgenannten noch
Originale? Um wieviel mehr Handschrift des OK
ist da in manchen Plakaten aus den Jahren 1908
bis 1912! Interessant ist zu beobachten, daß der
Künstler bei der Radierung immer einen viel
härteren, gewalttätigeren Strich hat als auf dem
Lithostein. Der Mensch ist fast durchwegs von
seinem eigenen Bild geprägt. Die Landschaft nimmt
einen großen Raum ein und ist besonders
bei den Blättern aus Griechenland durch ihren
sparsamen Duktus faszinierend. Ein guter,
von Otto Breicho gestalteter Katalog wird allen
Freunden des Meisters mit dem vollständigen
Verzeichnis des druckgraphischen Werkes eine stets
willkommene Arbeitshilfe sein.
(7. 5.-7. 6. 1976) - (Abb. 3)
Karl Reissberger
Die unter dem Titel „Phantastische Landschaften"
stehende Schau vereinigte 42 Monotypien im
Französischen Saal. Es ist erstaunlich, mit welch
sparsamen Mitteln Reissberger einerseits eine
graphische Ordnung herstellt, die Waagrediten
und Senkrechten in der Bildebene verspannt,
andererseits aber auch eine sehr dirJite Atmosphäre
landschaftlichen Raumes schafft. Diesesmal sind
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die Blätter fast durchwegs gegenstandsbezogener,
drücken eine starke Stimmung aus, und die
gedämpften Farben assoziieren Jahreszeiten.
(18. 5.-7. 6. 1976) - (Abb. 4)
Georg Merkel
Auch hier handelte es sich um ein Lebenswerk.
Der Maler feierte seinen 95. Geburtstag.
69 Gemälde, 63 Pastelle, 35 Zeichnungen und
19 Monotypien füllten alle Räume des ersten Stackes.
Eines fiel sofort auf: das Kontinuierliche. Über alle
Jahre hin blieb sowohl in der Motivwahl als auch in
der Farbigkeit eine einmal gefundene Entscheidung
konstant. Sicher gibt es in manchen Bildern
besonders in der Flächenteilung noch Anklänge an
die Secession, doch ist der Einfluß der französischen
Lichtmalerei ausschlaggebend. Die Verhaltenheit
in der Farbe und schließlich auch in der Form ist
eindeutig eine Ternperamentsache. Wurde sie zur
selben Zeit bei Egger-Lienz zu stumpfen, harten
Tönen, die Form zur edrigen Klotzigkeit, so bei
Merkel zur sanften Harmonie mediterraner
Humanitas. Ruhe und Gelassenheit strahlen diese
Bilder aus.
(2.-27. 6. 1976) - (Abb. 5)
Galerie im Pferdestall
Siegfried Anzinger
Ein ganz iunger Künstler (23). Daß er etwas kann,
beweisen seine flott hingestrichelten Zeichnungen.
Er arbeitet mit vielerlei modernen Mitteln,
bedient sich der Kinderzeichnung, setzt harte
Signalfarben und ist doch immer interessant und
bewegend. Auch seine aus allen Schemen
ausbrechenden Passionszenen werden unserer
Zeit gerecht.
(4.-31. 5. 1976) - (Abb. 6)
Galerie auf der Stubenbastei
Walter Eckert
Die 55 Arbeiten in Mischtechnik von dem Akademie-
professor und weit über die Grenzen Österreichs
bekannten Maler sind im Verhältnis zu sehr vielen
Arbeiten iüngerer Kunsteleven erstaunlich billig.
Eckert, dessen Entwicklung stark von Picasso
beeinflußt ist, zeigte ausdrucksstarke, sich fast
ausschließlich mit der menschlichen Figur
auseinandersetzende Bilder. Die Verknappungen
und zeichenhaften Formen haben einen magischen
Ausdruck. Die Arbeiten im ersten Stock, die den
letzten Jahren entstammten, sind, sehr zu ihrem
Vorteil, in den Farben etwas kräftiger geworden,
so daß die Magie der Figuren noch intensiver
hervortritt.
(1.-26. 6. 1976) - (Abb. 7]
Galerie am Graben
Ludwia Kyral
Der Ornamentspengler Wilhelm Kyral gründete 1914
eine Werkstätte für kunstgewerbliche Metall-
arbeiten, die schon an Ornamenten für die Pariser
Oper und den Louvre arbeitete. Sein Sohn Ludwig
übernahm den Betrieb und arbeitete seit 1930 mit
Josef Hoffmann zusammen. Es entstand in dieser
Arbeitsgemeinschaft eine große Anzahl form-
vollendeter Gefäße, die in dieser Ausstellung
zu sehen waren. Die klaren und reinen Farmen und
die exakten, makellosen Ausführungen ergänzen
sich auf das Glücklichste. Auch Kyrals Sohn und
dessen Schwester folgten dem künstlerischen Weg,
und verschiedene neue Entwürfe zeugten von einem
lebendigen Fortleben der großen Tradition.
(26. 4.-5. 6. 1976) - (Abb. B)
Galerie Spectrum
Robert Zeppel-Sperl
Die Ausstellung steht unter dem Titel „Mein Leben",
und Zeppel-Sperls Leben ist von großen offenen
Augen gekennzeichnet. Alle diese Menschen
schauen uns aus einem oft in ornamentalen Linien
erstarrten Hintergrund mit erstaunter Bezogenheit
an. Ein Fragen wird dahinter sichtbar, nicht
formuliert, nicht bestimmbar, nicht fordernd, einfach
sammelnd. Auch Zeppel-Sperl sammelt; er sammelt
eine pralle Welt, von seinen rundbusigen Weibchen
bis zu den rundbauchigen Wolken, Büschen und
Bäumen. Die Anzahl der Figuren ist etwas
zurückgegangen, die Natur nimmt einen etwas
größeren Raum als früher in seinen Bildern ein.
(11. 5.-9. 6. 1976) - (Abb. 9)
modern art galerie
Marlis Nußbaumer
Die Schweizer Textilkiinstlerin, von der schon
verschiedene Webearbeiten in öffentlichen und
privaten Gebäuden hängen, beschäftigt sich seit
einem Aufenthalt in Norwegen 1971 mit dem
Grundmaterial Seil. Sowohl die großen Wand-
behänge als auch die frei aufgehängten oder
aufgelegten Obiekte haben ein plastisches
Eigenleben. Durch das Material, aber auch in der
Form erinnern sie an afrikanische Fetische,
strahlen auch, gleich ienen, eine zauberhafte
Atmosphäre aus und weisen auf frühe Kultbezüge.
Die handwerkliche Ausführung ist außerordentlich
sauber und akkurat. Materialauswahl und
Formgebung zeugen von sehr überlegter
Arbeitsweise.
(12-22. 5. 1976) - (Abb. 10)
Z-Zweiastelle Kaiserebersdorf
Oskar Zimmermann
Der hauptsächlich grafisch arbeitende Künstler zeigt
hier ausschließlich lnterieurs aus dem Weichbild
der Stadt. Sein flinker und doch sicherer Stift
hält mit unglaublicher Treffsicherheit Situationen
fest, die für die Ausdehnung der Großstadt
kennzeichnend sind. Noch stehen einzelne
verschachtelte Häuser mit steilen Dächern und
grafisch interessanter Linienführung, mit
wackeligen Planken und Zäunen, doch schon
erheben sich dahinter die hochragenden Blocks
vielstäckiger Wohnsilos mit ihren geschlossenen,
kompakten Farmen. Von sicherem Blick wird hier
festgehalten, was für viele Stadtränder
symptomatisch ist.
(2. 5.-3. 6. 1976) - (Abb. 11)
Amtshaus, Wien 4
Aichenegqsche Schildereyen
Hermine Aichenegg zeigte neben Entwürfen für und
Fotos von durchgeführten Wandgestaltungen ein
großes Spektrum verschiedener Arbeiten. Ein
Weniger wäre unbedingt mehr gewesen! So gibt es
interessante Bleistiftzeichnungen und etwas
unbeachtet in der Ablage Siebdrucke, die viel mehr
als die Gemälde an den Wänden sagen.
Auch einige schöne Aquarelle, richtig placiert,
wären sicher gut zur Wirkung gekommen. So fragen
wir uns: lst da niemand, der die Malerin
beraten hat?
(15.-26. 5. 1976) - (Abb. 12) Alois Vogel
Salzburg
Museumspavillon
Johannes Wanke
ln der vom Kulturamt der Stadt Salzburg veran-
stalteten Ausstellungsreihe im ehemaligen
„Vogelhaus" des Mirabellgartens waren Holz-
schnitte, vielmehr Holzrisse, des 53iährigen Wieners
zu sehen, Landschaften und Veduten vor allem,
aber auch Tierbilder. Expressiv wird die lnnenwelt
aller dieser „Lebewesen" gespiegelt, Technik und
Komposition sind bestechend.
(Juni 1976)
Galerie Welz
Karl Stark
Einige Ölbilder, zahlreiche Gouachen, ein paar
Aquarelle und mehrere Federzeichnungen des 1971
in der Oststeiermark geborenen und seit 1955
hauptsächlich in Wien lebenden Malers machen
eine stetige Aufwärtsentwicklung in dessen Schaffen
deutlich. Gewiß malt er, als Erforscher der Psyche
des Modells, „expressionistiscW; aber er ist
ebensowenig „Expressionist" wie er etwa „Tachist"
ist. Er ist einer der Seltenen, die kompromißlos
und ohne Modetarheiten ihren Weg gehen.
Da überdies seine Malkultur von besonderen
Graden ist, war diese schöne Ausstellung
eindrucksvoll wie selten eine.
(JunilJuli 1976) - (Abb. 13)