Friedrich Achleitner
Archiiekfur ohne Baukulfur
Das Bauen steht in einer starken Abhängigkeit von Ereignissen der Politik und Wirtschaft. Nur so können fi
uns die Jahre 1945 und 1955 als Schwellen angesehen werden, die gewisse Zeiträume der Entwicklung einleiti
und begrenzen. Während das erste Jahrzehnt durch Kriegsschlut} und Staatsvertrag stark begrenzt ist. wird di
zweite keineswegs im Jahre 1965 durch ein äußeres Ereignis markiert werden. Trotzdem dürfte es sich abe
wenn man auch von den Jubiläumsjahren des Dezimalsystems absieht, als besonders geeignet Für eine Zwischei
bilanz erweisen.
Die zehn in Bildern gezeigten Bauten sind eine repräsentative Auswahl. bei der Qualität und Tendenz, Wagr
und Charakteristikum einer Entwicklungsphase gleich bewertet wurden. Diese Bauten sind alle im vergangen:
Jahrzehnt geplant und fertiggestellt worden. Interessant ist zunächst ein Vergleich mit den bekannten Spitzel
leistungen der ersten zehn Jahre nach dem Kriege. Lois Welzenbacher baut das Cafe Greifin Innsbruck (1948145
Max Fellerer und Eugen Wörle errichten das Günsehäufel-Bad in Wien (1950). Diese Bauten wirken heute w
Nachzügler der dreißiger Jahre. ihre Kultur gehört einer vergangenen Zeit an. Oswald Haerdtl beschlie
mit dem Messepavillon für Fellen-Guilleaume (1954) diese Reihe.
1951 tritt Roland Rainer mit dem Bau des Franz-Domes-Lehrlingsheimes auf, 1952 wird die Wiener Stadthal
konzipiert. 1953 entstehen die Fertighäuser in der Veitingergasse (zusammen mit Carl Auböck). Die Kircl
von Parsch. 1953 von der „Arbeitsgruppe 4" begannen. leitet die neue Entwicklung im Kirchenbau ein.
zeigen diese wenigen Beispiele. daß das Jahr 1955 schon keine wirkliche Zäsur mehr bildet. denn einige dt
genannten Bauten werden erst Jahre später fertiggestellt. Zudem hat sich auch danach die Situation nic
schlagartig verwandelt: schließlich entstehen heute noch eine Unzahl von Neubauten. die vor dem Jahre 19!
geplant sein könnten.
Was ist nun im zweiten Jahrzehnt im Bauen vor sich gegangen? Betrachtet man die Spitzenleistungen. so könnte
sie doch, wenn auch nur auf wenige Architektenpersöntichkeiten beschränkt. zu einigem Optimismus verleite
Schaut man aber auf das allgemeine Baugeschehen. so scheint die Situation hoffnungslos.
Das ergibt nur scheinbar ein widersprechendes Bild. Das Ganze besagt aber. daß wir zwar Ansätze habe
eine Architektur zu bekommen, aber noch wett davon entfernt sind. eine Baukultur zu besitzen. Was heute
den skandinavischen Ländern, in der Schweiz oder in Holland selbstverständlich erscheint. nämlich e
gewisses Maß an Geschmack und Gediegenheit. kurz. eine gewisse Kultur im Bauen. das ist bei uns verlore
gegangen. Die Anfänge liegen schon in der Tendenz zur Maßlosigkeit in der zweiten Hält'te des vorigen Jah
hunderts. Die Folgen der beiden Weltkriege sind bekannt. Es wäre ein interessanter Versuch. einmal festzustelle
wie viele Bautirmen und Handwerksbetriebe aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg die Zeit nach dem zweit:
erlebt haben und wie es damit in den Ländern aussieht, die heute eine besonders stabile Baukultur besitzen.
Aber unabhängig davon entstand in Österreich. besonders in Wien. nach dem Biedermeier eine starke KlL
zwischen Architektur und Baukultur, und das provokante Vorhaben von Adolf Loos. ..abendländische Kultut
in Österreich einzuführen. war um die Jahrhundertwende eine notwendige Konsequenz aus der allgemeine
Situation.
Wenn auch die Trennung von Architektur und Baukultur praktisch nicht möglich ist, so kann der Versui
einer getrennten Betrachtung doch von Nutzen sein. Sicher wird man in den letzten zehn Jahren einen starke
Wandel im Baugeschehen feststellen können. besonders was die Verwendung von Glas betrifft. Neben dt
Verwandlung der einmal sehr "bodenständigen" Architektur zu einem mehr oder weniger ortsgebundene
Fremclenverkehrskitsch haben sich die oberflächlichen Klischees eines sogenannten ..lnternationalen Stil:
auch bei uns mit Erfolg eingebürgert. Architekten. die vor zehn Jahren noch im Münchner Neoklassizismt
gebaut haben (und die Jugend vor den ..verheerenden" Einflüssen der Moderne schützen wollten). treten heu
seibstbewußt als ..Moderne" auf und können sich nicht genug tun in der Verwendung von Curtain-Walls. Wt
für den Baubaron der Gips war. ist für den heutigen Architekturmanager das Glas.
Es würde zu weit führen, durch das Gestrüpp der heutigen Bauwelt einige Wege zu schlagen. um gewisse
maßen in einigen Querschnitten ihre Zusammensetzung zu zeigen. Es ist nicht nur das unüberschaubat
Angebot an verschiedenen Materialien, Techniken und Konstruktionen, das heute das Bauen verwirrt. es i
auch nicht nur die Konjunktur. die Qualitätsmaßstäbe der handwerklichen und technischen Leistungen übt
den Haufen geworfen hat oder die allgemeine Beziehungsiosigkeit des Monteurs zum Produkt, es komme
auch noch die verschiedensten (psychologischen) Momente dazu. die "Gesetze" des Marktes. der Bedürfnis
künstlich erzeugt. der die lllusion von Originalität oder Subjektivität nährt. die schnell vorn vermeintlich Auße
gewöhnlichen zum Absonderlichen geht. Das Diktat des Konsumenten wird in einem zunehmendem Maf
provoziert. Wenn das letzte Jahrzehnt eine starke Veränderung im allgemeinen Bauen gebracht hat, so v:
allem die Flut aller Modernisrnen. alles was teuer und Kitsch ist und was durch das Medium des Papie
rasche Verbreitung findet.