UNREGELMÄSSIGKEITEN ALTER PLÄTZE.
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man erst am Plane wahrnimmt, in Natur aber übersieht, und
hievon wieder ist der Grund der, daß die alten Anlagen eben
nicht am Reißbrett konzipiert wurden, sondern allmählich in
natura entstanden sind, wobei man ganz von selbst alles
dasjenige berücksichtigte, was dem Auge in natura auffällt,
aber alles andere mit Gleichgültigkeit behandelte, was nur
am Papier sichtbar wird. Die sämtlich dem Stadtplane von
Siena entnommenen Figuren
Fig. 40.
SIENA :
S. Pietro alle scale.
Fig. 42.
SIENA:
V. d. Abbadia.
Fig. 41.
SIENA :
S. Vigilio.
von 40 bis 43 zeigen dies
deutlich und ebenso der Platz
von S. Siro in Genua (Fig. 44).
Überall ist das Streben
sichtbar, einenTiefenplatz vor
der Kirchenfassade heraus
zuschneiden und zur Betrach
tung dieses Hauptobjektes
gute Gesichtspunkte zu ge
winnen. Tatsächlich wurde
dies auch in jedem der vor
geführten Fälle erreicht und
die Unregelmäßigkeiten lie
gen stets im Rücken des Be
schauers. So erscheinen selbst
solche Plätze in einer ge
wissen Rhythmik und Ruhe, weil das Massengleichgewicht
und das Festhalten an den entscheidenden Grundbedingungen
SIENA:
S. Maria di Provenzano.
diese trotz aller Unregelmäßigkeiten sicherstellen.
Wie wenig strenge Symmetrie und geometrisch tadel
lose Regelmäßigkeit zur Hervorbringung malerischer und
auch architektonischer Wirkungen unerläßlich ist, wurde
schon oft bei Besprechung alter Schloßbauten hervorge
hoben und darauf hingewiesen, wie dieselben trotz aller
Unregelmäßigkeiten doch harmonisch wirken, weil jedes
Motiv zur vollen Klarheit heraus modelliert ist und jedem
Aufbau seine Gegenbewegung, sein Gleichgewicht im großen
ganzen gesichert ist, wenn auch bei großer Freiheit der