Bodhgaya (Bihar) werden die Komposifionen schon verwickelt
und die Figuren graziös, manchmal selbsi kleinlich. Die zahl
reichen Terrakotten (Kat. 84—101) aus dieser Zeit sind ent
zückend in dem Reichtum ihrer Sujets, ihrer liebevollen Beob
achtung des Lebens und naiven Gestaltung. Aber die weitere
Entwicklung vollzog sich in dem vor den fremden Eroberern
geschützten, durch den Handel mit Rom reichen Dekhan. An
fangs ist die Kunst dort nur ein ungeschicktes Echo der Sunga-
Schöplungen. Aber schon im 1. Jahrhundert n. Chr. überholen
die Höhlentempel und Stupa-Reliefs den Norden. Die Architek
tur wird immer reicher, die Fassaden schöner, die Säulen raffi
nierter, Balustraden, Baikone werden eingefügt. Die Bildwerke,
zu Bhaja noch dumpf-ungelenk, werden frei und gesund zu
Karle, Nasik, Kanheri usw. oder in den frühesten Fresken von
Ajanta. Die Marmor-Stupen von Amaravati und Jaggayapeta
(2. bis 3. Jahrhundert n. Chr.) (Kat. 144) an der Ostküste waren
turmartige Bauten auf hohen Terassen, über und über mif Reliefs
bedeckt, von ebenso reichen Steinzäunen umgeben. Ihre Reliefs,
perspektivische Szenen von beträchtlicher Bildtiefe, enthüllen
eine elegante städtische Welt, schlanke Figuren von unendlicher
Grazie in komplizierten Massengruppen. Im zierlichen, sehr
erotischen lkshvaku-Stil von Nagarjunikonda schließlich löst sich
der frühindisch-buddhistische Stil auf.
im Norden aber hatte die Berührung mit den Griechen und den
von der hellenistisch-römischen Kunst abhängigen Indo-Parthern
und Kushanas eine neue Entwicklung gebracht. Wenn auch in
Baktrien (Nordafghanistan) griechische Tempelreste gefunden
worden sind, von den Indo-Griechen kennen wir nur Münzen,
erst von hoher Qualität, dann aber schnell degenerierend. Dann
brachten die Einwanderung hellenistischer Meister und die Ein
fuhr römischer Luxusarfikel eine erneute Blüte, erst zu Taxila,
dann in Gandhara (Svat-Tal und Peshawar-Ebene), schließlich um
und jenseits Kabul und in Ostturkestan. Die Baukunst zeigt eine
sonderbare Durchdringung Sunga-indischer und hellenistischer
Formen. Die Bildnerei (Kat. 130—143) ist eine Adaption griechi
scher Typen für indische Gottheiten und Legenden, manchmal
ganz große Meisterwerke, meist aber schlimmste Provinzkunst.
Auch hier folgt die Entwicklung dem gewohnten Kurs, von ein-
tachen Bauten und flachen, schlichfen Reliefs zu barocken Schöp
fungen, überladen und mif starken Tiefen- und Schaffenkon
trasten. Die Spätwerke des Stils im 5. Jahrhundert (besonders
Hadda) erinnern an Pergamon einerseits, die Gotik anderseits,
von beiden über ein halbes Jahrtausend getrennt. Schließlich
ging der Gandhara-Stii in einem Mischmasch hellenistischer,
sasanidisch-persischer und Gupta-indischer Entlehnungen unter
(7. Jahrhundert n. Chr.).
Der hellenistische Einfluß reichte aber nicht über den westlichen
Panjab hinaus. In der großen Handels- und Pilgersladt Mathura
(Kat. 102—129) (zwischen Agra und Delhi), zeitweilig Residenz
der Kushana-Kaiser, stieß er auf den nafionalistischen Wider
stand hochkultivierter Inder. Infolgedessen veränderte die Sunga-
Kunsttradition dort sich völlig. Was naiv gewesen, wurde bewußt,
es entstand ein indischer Kanon, ein bewußt indisches, dem
hellenistischen entgegengesetztes Schönheitsideal, das des frucht
baren Menschen und das der musikalisch-rhythmischen Dar
stellung. Unter den Gupta-Kaisern (4. bis 6., vor allem 5. Jahr
hundert) entfaltete sich daraus die klassische Kunst Indiens, maß
geblich für den ganzen Subkontinenf, ja selbst für die buddhi
stische Kunst Ost- und Zentralasiens, und für die Frühkunst der
indischen Kulturen Südoslasiens. Sie erbauten auch riesige Pa
läste in weiten Gärten, Nachahmungen des Götterpalasles auf
dem Kailasa (Meru), von denen in Ceylon noch Nachahmungen
zu sehen sind. Die Gupta-Kunst (Kat. 153) entwickelte den Hindu-
Tempel, eine Zella mit Weltberg-Gberbau, umgeben von Vor
hallen, Umwandlungsgängen, kleineren Tempeln, mit einem teil
weise von der römischen Kunst inspirierten Eingang. Sie arbeitete
neue Figurentypen und Ornamente, zum Teil ebenlalls nach
römischem Vorbild, aus. Sie entwickelte die Ikonographie der
Hindu-Götter und des buddhistischen Himmels und eine dem
Ballett entnommene Gestensprache. Sie erstrebte absolute Voll
kommenheit in Form, Ausdruck, Bewegung, Ornament. Sie be
anspruchte, göttlichen Ursprungs, ewig gültig zu sein. Aber diese
Höhe konnte nur kurze Zeit gehalten werden, ln der Krise des
6. bis 8. Jahrhunderts wurde die Gupta-Kunst pompös und barock,
schiießlich verspielt-manieriert, für kurzlebige Militärdynasfien
von den Künstlern schnell nach bewährten Vorlagen, mit Hilfe
von Modellen, Schablonen und Handbüchern entworfen; und
diese alle Einzelheiten vorschreibenden Handbücher erhoben
nun den Anspruch göttlicher Offenbarung.
Nach dem Untergang der Gupta-Kultur tiel die indische Kunst
in fünf Stile auseinander. Derjenige Kashmirs (Kat. 188), im 8. Jahr
hundert mit Riesenbauten und Kolossalbildwerken in gemischt
Gupta-Gandhara-römisch-chinesischem Stile einsetzend, dege
nerierte nach der Mitte des 10. Jahrhunderts in ein Rokoko zier
licher Holzschnitzereien und prätentiöser Malereien, welches
schließlich von den Tibetern übernommen wurde. Bengalen, unter