Gottfried Hoellwarth
1 Projekt Mauthausen, 1771,
Granit, 2,5 x 2,3 x 1 m
2 Obiekt 71, TV-Environernent, 1971,
Schwedischer Granit
a Sandwichplastik als Sitzgruppe,
1970, Polyester, 2,5 x o,s x 0,: m
4 Sandwich 111, 1m (links),
weißer Marmor 13a x 17 x 47 cm)
Stele 1, 1970 (rechts), Hinterbidiler
Serpentin, 22 x a x a4 crn
s Oblekt 71, Puppe in Semmel, 1971,
Bronze, so crn
Gottfried Hoellwarth
Objekte 71.
Kunst als dialektisches Experimentierfeld
Spätestens seit dem Surrealismus und den
bildnerischen Zeugnissen der Dadaisten der Jahre
1915 bis 1922 wird Kunst in besonderem Maße
als dialektisches Experimentierfeld benützt und
verstanden. Die historisch auch schon früher
feststellbare Verfremdung als gestolterisches und
inhaltsbezogenes Element erlebt heute allerdings
in Verbindung mit einer durchaus legitimen
Ausweitung dieses Phänomens eine ungeahnte
Renaissance. Kunst erweist damit ihre notwendige
Funktion als geistige Unruhe, die sich im Sowohl-
Als-auch bildnerischer Absichten und einer gewissen
Doppelbödigkeit ihrer Folgerungen zeigt.
Als dialektisch sind auch die iüngsten,197i
entstandenen Arbeiten des in Wien lebenden
Salzburger Plastikers Gottfried Hoellwarth
(Jahrgang 1945) zu charakterisieren. Sie folgten auf
eine - von der Galerie Tao 1970 präsentierte -
Serie sehr ausgewogener und überlegt komponierter
meditativer Sandsteinskulpturen mit rhythmisch-
welliger Oberfläche, die in einer gewissen
geistigen Nachbarschaft zu Karl Prantl stehen.
Hoellworths dazu in bewußt eingegangenem
Gegensatz gestalteten Obiekte 71 fordern zu einer
auf Gegensätze bezogenen Denkweise heraus
und verdeutlichen damit sehr konkret das eingangs
Erwähnte. Die seit dem Frühiahr 1971 entstandenen
Arbeiten sind präzisierte Beispiele gegen die
Eingefahrenheit und Stereotypie unserer gewohnten
Anschauungen und begrifflichen Fixierungen.
Seine aus zusammensetzbaren Teilen bestehenden
Plastiken und plastischen Arrangements sind
auf neue Dingerfahrungen gerichtet. Dies entspricht
einer heute vor allem in der Concept- und Land-art,
dem Hyperrealismus, aber auch bereits im
historischen Neuen Realismus eines Arman, Cesar,
Tinguely oder Daniel Spoerri feststellbaren
weitverbreiteten Tendenz.
Dazu das hier u. a. abgebildete Obiekt 7113 als
Beispiel: innerhalb der Hälften einer vergrößerten
Semmel (Bronzeguß) liegt eingebettet eine aus
demselben Material gefertigte Puppe. Durch diese
ungewöhnliche, auffallend symbolische Kombination
zweier einander fremder Alltagsabiekte entstehen
nicht nur neue inhaltliche Bezüge, neue ästhetische
und formale Zusammenhänge, sondern auch
eine völlig andere und neue Dingerfahrung im
Vergleich zu den ursprünglich begrifflich isoliert
erfahrenen Gegenständen. Indern Kunst verunsichert
(um dieses Modewort einmal mehr zu strapazieren),
bewirkt sie zweifellos - wie immer man sich
dazu stellt - eine spezifische Phase der Bewußt-
seinserweiterung im Betrachter.
Dies gilt außer für Hoellwarths Obiekt TV-Apparat,
der sich noch am ehesten mit den früheren
Serpentinen vergleichen läßt und zweifellos zu
seinen reifsten Arbeiten zählt, auch für das
überdimensionale, aus Granit geschlagene
„Telephon", das der Bildhauer im Rahmen des
Mauthausener Symposians 1971 in mehrmonatiger
Arbeit konzipierte und ausführte. Auch hier
wird ein iedermann vertrauter Alltagsgegenstand
als Anlaß neuer Erfahrungswerte genommen und
damit im Betrachter eine Veränderung und
Lockerung gewohnter begrifflicher Fixierungen
provoziert. Den Künstler interessiert dabei allerdings
in erster Linie das neugeschaffene Obiekt an sich,
seine plastischen und ästhetischen Qualitäten
innerhalb einer neuen Umgebung. Erst in zweiter
Linie spielen für ihn inhaltliche Assoziationen oder
gar zeit- und sozialkritische Zusammenhänge eine
Rolle, wie sie bei einigen der neuen Arbeiten
dennoch - und bestimmt nicht zum Nachteil ihrer
Aussage - ablesbar sind.
Peter Baum
41