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bis zur Narenta herab, die in einem tief eingerissenen schmalen Bett in Cascaden dahin
schießt. Kurz vor der Einmündung der Dreznica bricht oben auf der linksufrigen Lehne
aus einem tiefen schwarzen Schlund der „Crno vrelo" (Schwarzquell) hervor und rauscht
in einem breiten Schaumstreifen herunter.
Nun wird die Schlucht zu einem finsteren tiefen Spalt, welcher die Narenta auf
vier Meter Breite zusammenpreßt. An der engsten Stelle schwankt, auf zwei Felsspitzen
gestützt, ein Steg über dem tosenden Wasser, das hier binnen vierundzwanzig Stunden
um 15 Meter zu steigen vermag und dann auch die gewaltigsten Blöcke in seinem Bette
vollständig überdeckt. Oberhalb dieses Engpasses, consequent der Bahn gegenüber — da
dasselbe Ufer beiden niemals Raum genug bietet — schlüpft die Straße durch ihr einziges
Tunnel, während die Bahn sich auf der gleichen Strecke fünfzehnmal durch den Fels
bohren muß. Unaufhörlich schrillt die Pfeife der Maschine, und tausendfach wird das
Gerassel des Zuges durch das Echo der Wände verstärkt, die hier groteske Höhlen und
Kanzeln, Nadeln und Gesimse als Reliefschmuck zeigen, unheimliche, oft überhängende
Steingebilde, in welchen bei dem stetig wechselnden Farbenspiel des Gesteins und der
Beleuchtung eine rege Phantasie mannigfaltige Gestalten und Figuren zu sehen geneigt ist.
Beiderseits stürzen aus den Spalten eisige Gießbüche zur Narenta hinab, und plötzlich thut
sich ein ungeheures Felsenthor auf, durch das die „Divlja-Grabvvica" aus einem kurzen
steilen Camin herunterjagt. Diese wilde Schlucht ist das Ideal der Gemsjäger: in der
Mitte eine breite Schotterkarre, rechts und links bewaldete Geröllhalden und dann zu
einem Halbkreis sich schließende Wände.
Straße und Bahn wechseln nun die Ufer und dringen dann in den wildesten Theil
des ganzen Defiles ein, in welchem jeder Fußbreit Raum für sie mühselig von den Hängen
abgesprengt wurde. In compacten Massen wachsen zu beiden Seiten die Steinmauern zu
einer Höhe von 800 bis 1000 Meter von der Flußsohle auf. Hoch über dem Wasser
spiegel springt die mächtige Proporac-Quelle — jetzt häufiger Komadina-Quelle genannt
— aus dem Gestein und fällt fast senkrecht in Schaumstreifen hinab. Ihre meisten
Zuflüsse empfängt aber die Narenta heimlich unter dem Flußspiegel; und nur wenn sie
durch anhaltendes Regenwetter getrübt ist, verrathen sich diese zahlreichen Quellen durch
grüne, blaue oder weißliche Wasserstreifen. So bleibt sie bis zu ihrem bei Capljina
beginnenden Unterlaufe eigentlich immer Quellwasser, worin wohl die Erklärung für die
Güte und Größe der durch ihr zartrosa Fleisch berühmten „Narenta-Forellen" liegt.
Nach dem Passiren des Viaductes über den Glogosnicabach hellt sich die Pracht
der Narentaklüfte plötzlich auf. Eines der imposantesten Bauwerke dieser Bahnlinie: eine
eiserne Brücke mit einer einzigen Öffnung von 75 Meter Spannweite mit der auf dem
europäischen Continent sonst selten, auf unseren Bergstreckeu aber wiederholt mit Erfolg