der so grossen Gemeindebezirkes selbständig zu lösen.
Wer in London gelebt hat, weiss, dass jeder Bezirk ein
hochentwickeltes Gemeindeleben aufweist und selb
ständig an der eigenen Kultur arbeitet. Jeder Bezirk
besitzt ein eigenes Theater, oft deren mehrere, ein
grosses Klubhaus, grosse Spielplätze, grosse Park
anlagen, Schwimmanstalten, vortrefflich bestellte grosse
Bibliotheken, eigene Museen, eigene höhere Bildungs
anstalten, kurz, ein eigenes geistiges Leben, das selbstver
ständlich baulich zum Ausdruck kommt. Jeder Bezirk
ist gleichsam eine selbständige Stadt und arbeitet
künstlerisch für sich. Bei uns arbeitet nur die innere
Stadt, der alte Stadtkern mit dem Ring und seinem
nächsten Anhang, für die Kultur, aber in einer Weise,
die heute naturgemäss internationalen Anstrich hat.
Die Bezirke hängen geistig von ihr vollständig ab.
Die Pflege der lokalen städtischen Kultur, die ihre
Aufgabe wäre, ist vollends vernachlässigt, und darum
bietet das Ganze ein so farbloses Bild. Einige Vor
stadttheater lassen Wunsch und Möglichkeit erkennen,
die Bezirke wieder zu eigenen Kulturzentren zu ent
wickeln. Es ist nur auf Grundlage einer verwaltungs
politischen Autonomie möglich. □
Die sogenannten Rathäuser in den Bezirken sind
blosse Zweigstellen der Verwaltung. Der Gemeinderat
und Stadtrat unter dem Vorsitz des Bürgermeisters
und seiner Beisitzer ist zentralisiert und entscheidet
für alle Bezirke. Diese kommunale Verfassungsform
ist historisch begründet und überliefert aus der Zeit,
da die Stadt noch nicht die enorme Ausdehnung
hatte wie heute und die gemeinsamen Aufgaben, die
die ganze Stadt gleichmässig betreffen, zu lösen waren,
vor allem die Beleuchtungs-, Verkehrs- und Gesund
heitsfragen. Die Schattenseiten dieser Verfassung treten
heute schon stark hervor in den Mängeln des General
regulierungsplanes, in der Schabionisierung des Stadt
bildes und in der Erlahmung des individualisierten
Gemeindelebens innerhalb der einzelnen Gemeinde
bezirke. □
Die Zukunft liegt offen. □
Die Entwicklung wird von der Dezentralisation der
Gemeindeverwaltung den Ausgang nehmen. Die
gemeinsamen Angelegenheiten, die das Stadtganze be
treffen, werden unter dem Vorsitz eines Oberbürger
meisters beschlossen werden; in allen Fragen, welche
die individuelle Entwicklung der Bezirke betreffen,
werden diese autonom handeln müssen. Wenn die
Rathäuser in den Bezirken wieder ihren ursprüng
lichen Sinn bekommen haben und den natürlichen
Schwerpunkt ihres Stadtteiles bilden, dann wird das
Gemeindeleben in den Bezirken wie eine Hochflut
schwellen. Der amorphe Koloss der Riesenstadt, zer
legt in einen Kranz von Städten, der Absolutismus
der Zentralverwaltung, ersetzt durch ein Bündnis von
selbständigen und individualisierten Stadtregierungen,
die Millionenstadt als Städtebund, das ist die Kristalli
sation der amorphen Masse. Die Bezirke, auf sich
selbst gestellt, müssen notgedrungen einen Wettkampf
untereinander bestehen, und das Interesse der Bürger
schaft wird naturgemäss darüber wachen müssen,
die höchste Wohnlichkeit, die besten Gesundheits
verhältnisse, das grösste Mass von Schönheit und
Kultur auf lokalem Boden zu entwickeln. □
Wenn die ganze Stadt schön und angenehm sein soll,
dann muss diese Schönheit und Annehmlichkeit in
allen Teilen gleichmässig entwickelt sein. Das kleinste
Stück einer Stadt soll immer noch soviel des Guten
enthalten, um auf die Herrlichkeit des ganzen Gebildes
schliessen zu lassen, wie ein Fragment einer antiken
Plastik unfehlbar die Vollendung des übrigen Teiles
offenbart. Mindestens aber soll der räumlich über
wiegende Teil einer Stadt, im Hinblick auf Kunst
und Kultur, nicht einer toten Schlacke gleichen, wie
es heute leider in Schön-Wien der Fall ist Zu diesem
Ende ist in den neuen, in den letzten Jahrzehnten
ausgebauten Stadtbezirken nahezu alles von neuem
zu tun. In bezug auf Wohnhaus und Stadtplan
müssen die aufgeklärten künstlerischen, sozialen und
hygienischen Grundsätze zur Geltung kommen, die
vor allem ein Haus nicht wegen der Fassade, son
dern wegen der Wohnzwecke für Kulturmenschen
errichten. Die Trennung der Geschäfts- und Ver-
kehrsstrassen, die von den eigentlichen Wohnstrassen
durchweg mit Rasen und grünen Pflanzungen zu
versehen sind, bilden eine grundlegende Forderung
für den modernen Städtebauer. Der einzelne Stadt
bezirk als Kulturzentrum wird aus seinem eigenen
geistigen und künstlerischen Leben die Institutionen
entwickeln, die den lokalen Gedanken zum Ausdruck
bringen, nebst Rathaus das Theater, Museum, Biblio
thek, Lese- und Redehalle, Konzerthaus, Park, Sport
plätze, Denkmäler, schöne Brunnen, Ausstellungen,
Gewerbehallen und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen,
die im Einzelnen und im Gesamten den Inhalt einer
organischen und eben darin künstlerischen architek
tonischen Strassen- und Platzanlage bilden. □
Wir werden einen solchen Umschwung nicht erleben.
Es ist die Arbeit dreier folgender Generationen, und
es ist die Frage, ob ein solches Ziel jemals annähernd
verwirklicht werden wird. Aber in allem, auch dem
Geringsten, das gestaltet wird, soll das Bild einer ganz
harmonischen Durchbildung den Leitstern bilden, wenn
das Wenige gut geraten soll. Immer soll es zum
Ganzen gehen. □
In den ländlichen, noch erhaltenen Vororten liegen die
Umstände günstiger. Dort hätte man nur auf dem
Bestehenden weiterzubauen. Die Grundlinien sind dort
von Haus aus gegeben. Man müsste sich vor dem
Grundfehler des voreiligen Zerstörens und Schabloni-
sierens hüten, was leider nicht zu erwarten ist. Wenn
die Fähigkeit, Werte zu erkennen und zu unter
scheiden, heute herrschend wäre, in den schlichten
und schier unscheinbaren Gebilden dieser Ortschaften
würde die Architektur alles finden, was ihr heute
fehlt: den Anschluss an die Heimat und an das
Leben des Volkes. p
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