Nr. 1
Internationale Sammler-Zeitung
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Aus der Kunstgeschichte des Kalenders.
Nun hängen wir wieder den neuen Kalender an
die Wand, dessen mit Bildern gezierte, mit weisen
Sprüchen und schönen Lehren bedruckte Blätter uns
durch alle Tage des Jahres begleiten sollen, und bei
der Betrachtung des mehr oder weniger geschmack
vollen Reichtums, der sich hier auftut, gedenken wir
der bescheidenen Anfänge, aus denen unser Kalender-
wesen hervorgegangen.
Wie einfach, waren die mittelalterlichen Kalender
tafeln, die nur über die Zeitpunkte der beweglichen
und der stehenden Feste unterrichten wollten und
nach denen man die Daten der einzelnen Tage fest
legte. Denn nach den Wochen- und Monatstagen zu
rechnen, wie wir cs tun, hat man erst zu Ende des
15. Jahrhunderts allgemeiner angefangen. Zu den un
behilflichen und doch so fein beobachteten Monats
bildchen, die sich allmählich in köstliche Werke der
gotischen Miniaturkunst wandelten, treten in bunter
Mannigfaltigkeit Auskünfte astrologischer und prak
tischer Natur, in denen nicht nur aus den Gestirnen
die Zukunft kühn ge weissagt wird, sondern in denen
man sich auch über alle Angelegenheiten des Feld-
und Gartenbaues, der Viehzucht, über Heilmittel und
Aderlaß unterrichten kann. Die alljährlichen und an
geblich „ewigen“ Kalender werden zu den wichtigsten
Aufzeichnungen der Bauernregeln, und noch heute
findet sich wohl hier und da im Kalender das Wetter
für das ganze Jahr und auf jeden Tag vorher be
stimmt.
Mit der Entwicklung der Buchdruckerkunst nahm
auch das Kalenderwesen einen großen künstlerischen
Aufschwung. In Form von Wandtafeln der ver
schiedensten Größe, die auf einem Blatt den ganzen
Text vereinigten, sowie von bildergeschmückten Heften
wurden die „Almanachs“ seit der Mitte des 15. Jahr
hunderts die verbreitetsten Druckerzeugnisse, die in
alle Schichten des Volkes drangen. Sie erzählten
nicht nur vom Kreislauf des Jahres, sondern auch
von - allerlei seltsamen Ereignissen, von Krieg und
Pestillenz, von Sonnen- und Mondfinsternissen und
nahmen in aufgeregten Zeitläuften in Predigt und
.Spott Partei für bestimmte Ideen und Persönlich
keiten. So boten sie auch dem Künstler mannigfache
Gelegenheit zur Betätigung; Holzschneider und Kupfer
stecher zierten die Kalender mit würdigen Bildern
und frechen Karikaturen. Kunstwerke höheren Ranges
entstanden auf diese Weise, nachdem die prachtvolle
Volkskunst der Gothik dahingegangen war, haupt
sächlich in Frankreich und Holland, w r o der Kalender
zeichner ein geschmackvolles Publikum fand.
In Deutschland wandte man dem Schmuck des
Kalenders erst im 18. Jahrhundert höhere Aufmerk
samkeit zu, als eine einzigartige und nie wieder erreichte
Blütezeit des Almanachwesens anbrach. Die Aufklä
rung räumte mit all dem abergläubischen Kram, der
die Kalender bis dahin erfüllt hatte, energisch auf;
die besten Tage zum Purgieren, die Wetterregeln
traten in den Hintergrund, und statt dessen machten sich
neben praktischen Mitteilungen über den Postverkehr,
über Münzen, Gewachte usw. das belehrende und
unterhaltende Element mehr und mehr geltend. Der
Kalender trat nun erst mit der Literatur in enge Be
ziehung; die Buchform verdrängte die Tafelform
und seit 1720 etwa wird der Almanach ein wichtiger
Teil des Schrifttums, ein ebenso vielseitiges w r ie ak
tuelles Buch, das besonders den Interessen der Damen
durch Aufnahmen von Gedichten und Modeberichten
entgegenkommt.
Welche Bedeutung der Kalender in der Geschichte
unserer Literatur und besonders in der Entwicklung
unserer klassischen Lyrik spielt, beweist die Tatsache,
daß sich jede neue poetische Richtung von nun an
einen eigenen Kalender schuf, vom Göttinger Musen
almanach an über den Schillerschen und die zahlrei
chen romantischen Almanachs bis zu den Musenalma
nachen der Jüngstdeutschen. Das Rokoko machte
aus dem Kalender ein Buchkunstwerk, das den feinsten
Duft dieses eleganten, das Niedliche und Pikante
betonenden Stils atmet. Die Kalender waren so
winzig, daß sie sogar als Brlocquen an der Uhr ge
tragen werden konnten; in den seidenen und ver
goldeten Einbanddecken waren Spiegel und Täschchen
mit Necessaires angebracht, die Almanache mit feinen
und dauerhaften Parfüms getränkt. So wurde der
Damenalmanach zu einem Zierstück des Boudoirs,
und seinen höchsten Reiz verlieh ihm die Kunst des
Kupferstechers, die ihn mit entzückend feinen, auf
kleinster Fläche ein reiches Leben entfaltenden Blättern
schmückte. Der Kalender w-urde damals das belieb
teste Neujahrsgeschenk. Sein illustrativer Schmuck
bestand gewöhnlich in den Monatskupfern, die aber
in ihren Themen nicht mehr an den Kreislauf des
Jahres anknüpften, sondern völlig freie Stoffe be
handelten.
Das Wichtigste für die künstlerische Blüte des
deutschen Kalenders hat Chodowiecki getan. Vor
seinem Auftreten hielt sich die Ausstattung der
Kalender in sehr bescheidenen Grenzen. Die Verferti
gung und der Vertrieb der Kalender lag zwar bereits
seit langem in den würdigsten Händen, denn cs war
ein Privileg der Berliner Akademie der Wissenschaften,
die einen namhaften Teil ihrer Einkünfte aus diesem
Handel bezog. Doch war nicht viel Geschmack bei
den gelehrten Herren zu spüren, bis im Jahre 1770
die Ausführung der Monatskupfer für den genealo
gischen Kalender Chodowiecki übertragen wurde, der
dafür seine berühmten Illustrationen zu Lessings
„Minna von Barnhelm“ schuf. Jahraus, jahrein lieferte
nun der Meister fast regelmäßig die prächtigsten
Gaben seiner Kunst für diesen Kalender, der dadurch
eine ganz neue Beliebtheit und große finanzielle Er
folge errang. Auch die Konkurrenzunternehmen des
Berliner Kalenders wußten sich seine Mitarbeit zu
sichern, und so hat er denn fleißig illustriert für den
„Gothaischen Hofkalender“, den Göttinger Taschen
kalender und den in Lauenburg erscheinenden Groß-
britannischen Historisch - Genealogischen Kalender.
Diese Tätigkeit Chodowieckis bedeutet einen Höhe
punkt in der Kunstgeschichte des Kalenders, soviel
Schönes auch seitdem sonst dafür geschaffen worden.