5D
COTUS SCOTORUM hat ein Essayist
Sir Henry Raeburn genannt. Ein Schotte,
der nur Schotten in Schottland gemalt hat.
Sein Ruhm ist denn auch lange mehr local
geblieben. Und doch ist er dem Besten
seiner Zeit zum mindesten ebenbürtig
gewesen. Die Begrenzung seiner Kunst-
übung hat ihn eine Originalität bewahren
lassen, welche ihm eine Sonderstellung
unter den grossen englischen Bildnis-
malern um die Wende des XVIII. und XIX. Jahrhunderts einräumt.
Seine Bildnisse haben vielleicht nicht die anziehende Sentimentalität
Romneys oder das Reizvolle Gainsboroughs, er ist auch nie gleich
diesen der Abgott künstlerischer Mode geworden. Er ist aber auch
frei geblieben von der Schablone, welche manchen Werken Reynolds,
und von der Pose, welche den späteren Bildnissen Lawrences eigen
ist. In der Wahrheit, Geradheit,
dem Ernst seiner Auffassung
und Darstellung ist er unerreicht
gewesen und wohl auch ge-
blieben. So kann Raeburns Werk
der Spiegel einiger dreissigjahre
nationalen Lebens in Schott-
land genannt werden. Ein
Werk so gesund und kräftig
wie die Menschen, die er dar-
gestellt hat.
Schottland und die schotti-
sche Gesellschaft befand sich
zu Ende des XVIII. Jahrhunderts
in einem eigenthümlichen Zu-
stande. Die Union hatte zwar die
politische Vereinigung Schott-
lands mit England ausgespro-
chen, aber das Land war noch
lange nicht anglisirt. Edinburgh
war der Mittelpunkt selbstän-
digen geistigen und künstle-
Sir Henry Raeburn, Selbstporträt, Eigenthum des
Lord Tweedmcuth