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Volltext: Monatszeitschrift III (1900 / Heft 6)

Um den Fall zu untersuchen, wurde eine officielle Commission ernannt, 
die zum Schlusse entschied, dass eine theilweise Benützung des Natur- 
abgusses stattgefunden habe. Es bedurfte der wiederholten hartnäckigen 
Zeugenschaft seines Berufsgenossen Paul Dubois, um des Künstlers ehrliches 
Vorgehen zu beweisen. Als Entschädigung wurde der Statue, die, in Bronze 
ausgeführt, im Salon 1880 wiederkehite, eine Medaille dritter Classe zuerkannt. 
Später wurde das Werk vom Staate für den Jardin du Luxembourg angekauft, 
wo es Jedermann bewundern kann. Es ist noch heute eine der charakte- 
ristischesten Schöpfungen Rodins. Dieser Urmensch scheint nach langem 
sorgenlosen Schlafe zu erwachen, sich auszustrecken, um dann die 
Wanderschaft in die Zukunft anzutreten. Originalität der Auifassung, 
Einfachheit der Linien, die dessenungeachtet voller Leben sind - der 
ganze Rodin ist hier schon vorhanden. Das ist nicht mehr die ewige 
Akademie; classisch, kalt, träge, auch wenn sie einmal ihre Zuflucht dazu 
nimmt, Bewegungen anzudeuten, das ist pulsirendes Leben in einfachster 
Weise durch verständnisvolle Modellirung erreicht, durch die bei der 
Bewegung des Ausschreitens alle Muskeln in Thätigkeit gesetzt werden. 
Es mag hier am Platze sein, ganz kurz über die Technik Rodins zu 
sprechen. Camille Mauclair hat sie in einem vor kurzem erschienenen 
Artikelik in ausgezeichneter Weise erklärt: Wenn zahlreiche Bildhauer 
sich damit begnügen, eine Statue beinahe wie ein Basrelief zu behandeln, 
indem sie das vor ihnen befindliche Modell immer nur von einer Seite her 
betrachten; wenn sie sich ferner gar nicht scheuen, Abgüsse nach der Natur 
zu verwenden, die sie mit ihrer Arbeit geschickt zu verbinden wissen; wenn 
sie endlich die Sorge für die definitive Ausführung einem Praktiker überlassen, 
so arbeitet Rodin an seinen Figuren nicht bloss von einer einzigen Seite her, 
sondern von allen zugleich, indem er, unter beständigem Um- und Umdrehen, 
nacheinander alle Ansichten auf seinem Block bearbeitet, indem er alle 
Silhouetten zugleich verwertet und alle miteinander vereint. Er erhält auf 
diese Weise vor allem die richtige Zeichnung der Bewegung in der 
freien Luft, ohne sich darum zu kümmern, wie das Ganze mit der 
ersten Vorstellung des Gegenstandes harmoniren werde. Hiedurch wird 
den natürlichen Grundsätzen entsprochen, nach denen ein im Freien zu 
betrachtendes statuarisches Werk geschaffen werden muss, nämlich durch 
das Aufsuchen der richtigen Umrisse und dessen, was man in der Malerei 
die Valeurs nennt. 
Mit einem noch so geschickt gemachten Naturabguss könnte niemals 
die durch ein solches Verfahren zustandegebrachte Lebendigkeit erreicht 
werden, da er nur schwerfällige Formen gibt und die unendlich zahlreichen 
Flächen der Umrisse und der Modellirung beeinträchtigt. 
Diese Modellirung durch eine Anzahl nacheinander zur Geltung 
gebrachter Flächen gibt den Figuren Rodins Wahrheit und Leben und 
sozusagen ihre Farbe. Wir erinnern uns mit Entzücken an eine bezeichnende 
1' L'An de M. Auguste Rodin. (Revue des Revues, 15.Juni 1898.)
	        
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