als es bisher der Fall war. Daher geht das Streben dahin, in einem Museum
kunstgeschichtliche Gesamtbilder aufzustellen, sie in historischer Reihenfolge
anzuordnen und auf diese Weise den Besucher rasch und in übersichtlichster
Weise über das ästhetische Empfinden bestimmter Kunstperioden zu belehren.
Der Akzent ruht nicht mehr auf dem einzelnen Objekt, das nur ein
interessantes Detail innerhalb des Kulturbildes darstellt, sondern auf dem
zu einem geschlossenen Zeitbilde gestimmten Ganzen. Gerne erinnert man
sich dabei der Worte Goethe's: „Übrigens ist mir Alles verhasst, was mich
bloss belehrt, ohne meineTätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben."
Die belebende und zu neuem Schaffen anregende Wirkung solcher auf
kulturhistorischer Grundlage errichteter Interieurs steht ausser Zweifel.
Indem der Laie in zahlreiche und von einander sehr verschiedene Har-
monien vergangener Zeiten Einblick gewinnt, klärt sich auch sein Blick für
die Harmonien der Gegenwart. Indem er ferner erkennt, dass die Gesetze der
Ästhetik unendlich wandelbar und beständigen Evolutionen unterworfen
sind, empfindet er, wie ungerecht es ist, an die künstlerischen Leistungen der
Gegenwart mit Vorschriften aus vergangenen Zeiten heranzutreten. Er lernt
begreifen, dass die ewigen Gesetze der Schönheit nicht äusserlich zu fassen
sind, und dass man unrecht tut, will man den Kunstgehalt unserer Zeit an
den Schönheitswerten der Vergangenheit messen. Was vor kurzem, als man
noch Renaissance und Barocke kopierte, eine Gefahr für die Entwicklung
des ästhetischen Empfindens gewesen wäre, ist es heute nicht mehr. Das
Kunstempiinden der aufstrebenden jungen Generation lässt sich nicht mehr
in allerlei romantischen Reminiszenzen begraben.
Deshalb müssen wir anerkennen, dass die kulturhistorischen Gesamt-
bilder des neuen Münchener National-Museums einen Fortschritt bedeuten,
und dies umso mehr, als man den einmal gefassten Plan mit den reichsten
Mitteln und in opulenter Weise durchgeführt hat. Die Entwicklung des
modernen Museumswesens ist mit dem neuen Münchener National-Museum in
ein neues Stadium getreten, und die Bedeutsamkeit dessen, was hier unter-
nommen wurde, wird von keinem ähnlichen Institute in Zukunft übersehen
werden dürfen.
Noch nie war bei einem Museumsbau der Inhalt so massgebend für die
Form als hier. Wenn irgendwo der oft eitelgenannte Satz, ein Bau müsse
von innen heraus erfunden und entworfen werden, zur Wahrheit wurde, so
ist dies hier der Fall gewesen. Das Museum ist im Inneren wie ein wohl-
sitzendes Kleid den Sammlungen angepasst worden und was innen der Fall
war, musste naturgemäss auch im Aussenbau zum Ausdruck kommen. Ob
die Art und Weise, wie dies geschehen ist, in allen Punkten eine glückliche
war, wollen wir nicht untersuchen; wenn aber berechtigte Einwendungen
gemacht werden, so können sie sich nur auf ein Zuviel, nicht aber auf ein
Zuwenig beziehen. An diesem Zuviel trägt sichtlich die vorangegangene
Bauperiode Münchens mit ihrem Überschwang an ornamentalen Motiven
aus dem Formenschatz der deutschen Renaissance schuld, wodurch das