denn er war immer zu allererst Künstler. Kam dann etwa noch so ein be-
sonderes, auch in seinen Zeichenmuskeln arbeiterhaft rumorendes Element
hinzu, so ließ er sichs ja gern gefallen. Bewunderungswürdig ist es, daß er so
bald nach seiner koloristischen Schwenkung einen solchen Höhepunkt
erstieg wie in dieser malerischen Epopöe der Arbeit, mit dem h0chdrama-
tischen Moment, wenn die schwarzen Männer mit der weißglühenden
„Luppe" hantieren. Die Glas- und Eisenkonstruktion des Schauplatzes, der
feurige Brodem innen und die graue Tageskälte außen, das Spiel der
glühenden Höllenreflexe, die unbewußt heroische Gebärde der Figuranten,
das alles war damals neu. Es ist viel nachgeahmt, nie überboten worden.
Dieses große Bild ist eines der I-Iauptwerke der deutschen Malgeschichte.
Es ist, wenn man will, der Punkt, an dem sich Menzel mit Böcklin
berührt, weil Phantastik und Tatsächlichkeit so wundersam zusammen-
treffen. Der ästhetische Wendepunkt des Jahrhunderts war erreicht. Er war
herbeigeführt durch die schmerzlich-fruchtbare Reibung zweier entgegen-
gesetzter Gefühlsrichtungen und Denkweisen. Einerseits das realistische
Muß derEntwicklungen einer Wirklichkeit, die ihre Stunde nahen fühlte, und
andrerseits die poetische Laune eines Idealismus, der ebenso unausrottbar
zum Untergrund des deutschen Wesens gehört. Der kategorische Norden
hat das Seine beigesteuert und der unverantwortliche Süden, die deutsche
Malerei des Jahrhunderts hat ihren borussischen und ihren alemannischen
Pol. Die englischen Präraffaeliten hatten gedacht, beides zu vereinigen und
in einer Phantasiewelt abschriftlich naturwahr sein zu können. Das Ergeb-
nis war ein amphibisches, eine künstliche Kunst. Das Menzelsche und das
Böcklinsche Weltbild sind zwei ganz verschiedenartige Schöpfungen, als
könnten sie sich niemals vereinen, und darum jedes wahr und echt. Im
Grunde aber ergänzen sie sich doch in einem Verhältnis wie das Positiv
zum Negativ, das uns der optische Apparat liefert. Das eine ist die Bedin-
gung des anderen.
Es ist in diesem Augenblicke und an dieser Stelle gewiß nicht notwen-
dig, eine eigentliche Analyse oder auch nur Synopsis des Menzelschen
Werkes zu versuchen. Menzel war unter den Künstlern einer der lebendigsten
im Bewußtsein seiner Zeit. Jeder Kunstausstellungsbesucher hat ihn Punkt
für Punkt miterlebt. Wer erinnert sich nicht an das Aufsehen seines „Eisen-
walzwerks"? Wer nicht an seine Boulevardecke mit dem gelben Omnibus
in der Mitte eines Pariser Gewühls, dessen Einzelheiten bis ins Lupenhafte
gingen? Oder an das ruhige breite Farbenwesen seiner „Piazza d' Erbe" in
Verona, wo er einem wirklichen Koloristen so vähnlich sieht? Oder, von
irgend einer Berliner Reise her, an die dortigen frühen und späten Galerie-
stücke, darunter jene große Königsberger Krönung, mit ihren vielen Porträts
im hellen Tageslicht und dem heißen Bemühen, Ton zu haben, der sich doch
nicht einstellen will. Er hat sich überhaupt nicht eingestellt. Das „Walz-
werk" war ein mächtiges Aufliammen seiner ganzen Natur, einmal und nicht
wieder. Die Folgerungen blieben aus. Selbst in der herrlichen Prozession