MAK

Volltext: Monatszeitschrift IX (1906 / Heft 12)

Dreihundert tiefe rote Polstersessel bilden das Sitzmobilar. Am bedeutsamsten aber 
ist die Bühnenkomposition. 
Die Bühne ist, um die Unmittelbarkeit zu verstärken, ganz niedrig gelegt. Sie hat 
keinen jenseitscharakter, sondern betont Einheit und Gemeinsamkeit des Erlebnisses. 
Kein Souffleurkasten bezeichnet die Grenze, vielmehr leiten vermittelnd zwei Stufen in 
den Saal. Eine rote Brokatportiere schließt den äußeren hohen Bühnenrahmen. Gleitet 
sie auseinander und hebt sich dann der zweite mattgraue Velourvorhang um die halbe 
Höhe bis zum Rand des inneren Bühnenrahmens, so hat man das Gefühl, daß sich die 
Wände zu einer Vision auftun. 
Der Eindruck der ersten Vorstellung, der Gespenster, war ungeheuer. Dieser Raum 
mit seiner Geschlossenheit übte eine Vermittlung, eine atmosphärische Verdichtung 
ohnegleichen. Er sammelte den Eindruck zu einer gedrängten Fülle, er ballte ihn zu- 
sammen, er schuf Rapporte und Fluidumbeziehungen, er kettete die beiden Welten des 
Begebnisses und der Schauenden mit seelischen Fibern zusammen. Er ward zu einem 
märchenhaften Schrein, des Wunderbaren voll. 
Diese ganz anderen Propnxtions- und Distanzverhältnisse, diese neuen Bedingungen 
der Reaktion ergaben neue Wirkungsmöglichkeiten, eine besondere Dynamik, besondere 
Zeitmaße und Taktvariationen. Stumme Szenen, Bewegungsmotive, das Seelisch- 
Symbolische des Bildes an sich, ohne die Worte, bekommen hier vertiefte Bedeutung. 
Dafür hatte Edvard Munch, der nordische Maler, der in seinen Blättern so hell- 
sichtig die Gespenster im Alltagsleben erscheinen läßt, viele Anregungen gegeben: 
Figuration der Personen zueinander, die steile Schmerzenslinie der Mutter über dem 
zusammengebrochenen Trümmerkörper des Sohnes, das irr-verzweifelte Umgehen 
Oswalds im grauen Schattendunkel des Gemachs mit seinem strengen patrizischen 
Hausrat. Eine seelische Instrumentation war hier wirksam, die unwiderstehlich in 
Bann schlug. 
Es ist zweifellos, daß die Gelungenheit dieser Kammerspiele und ihres Rahmens aus 
der absoluten Einheitlichkeit, aus der von innen heraus, aus dem Wesen der Sache ab- 
geleiteten Lösung gekommen ist. Das Prinzip des Organischen, der „inneren Form", hat 
hier wieder gesiegt. So einfach und überzeugend das im Grund ist, so geringe Allgemein- 
gültigkeit hat es. Das erkennt man unstreitig bei unserem neuesten offiziellen Bauwerk, 
der romanischen Halle im Zoologischen Garten. Sie ist dazu bestimmt, die berühmte 
„romanische Ecke" am Kurfürstendamm „glücklich zu ergänzen". Wir haben dort, um die 
Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche gruppiert, das eine romanische Haus, das mit seinen 
tief hinter Säulen-Loggien liegenden Fenstern zu unserem trübnördlichen Klima und der 
frühen Dunkelheit der Wintertage so gar nicht stimmt, dann seinen jüngeren Nachfolger, 
der manch reizvolles Detail an Steinmetzvignettenkunst aufweist, aber sich seinen ganzen 
stolzen Charakter dadurch verderben muß, daß er der wirtschaftlichen Notwendigkeit 
halber im Untergeschoß Warenläden aufzunehmen gezwungen ist. 
Hier sieht man recht das Schiefe und Widerspruchsvolle: Eine Stilarchitektur von 
größtem Anspruch wird aufgeführt und vom Anfang an wird sie durch unpassende Bei- 
mischung verdorben. Der Widerspruch geht noch weiter. Die Läden stören mit ihren 
Tapeten- und Zigarrenauslagen nicht nur den Palazzocharakter, der Palazzocharakter wird 
umgekehrt auch den Läden hinderlich. 
Gerade in Berlin hat sich in den letzten Jahren ein zweckmäßiger und mit seinen 
Zweckmitteln schmuckhaft wirkender Ladentypus ausgebildet. Materialstil bildet ihn und 
festgefügter, lebendig übersichtlich entwickelter Zusammenhang aller Teile macht ihn 
zu einer organischen Einheit. 
Er baut sich in Glas und Metallfassung heraus, die Schaufenster buchten sich und 
bilden den Eingang, die Tür, fazettiert mit großgeführten Messinggriffen, die Oberlicht- 
kästen, die in das Rippengefüge der Metallmontierung einbezogenen Vitrinen, das alles 
schließt sich mit überzeugender Notwendigkeit zusammen.
	        
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