Dreihundert tiefe rote Polstersessel bilden das Sitzmobilar. Am bedeutsamsten aber
ist die Bühnenkomposition.
Die Bühne ist, um die Unmittelbarkeit zu verstärken, ganz niedrig gelegt. Sie hat
keinen jenseitscharakter, sondern betont Einheit und Gemeinsamkeit des Erlebnisses.
Kein Souffleurkasten bezeichnet die Grenze, vielmehr leiten vermittelnd zwei Stufen in
den Saal. Eine rote Brokatportiere schließt den äußeren hohen Bühnenrahmen. Gleitet
sie auseinander und hebt sich dann der zweite mattgraue Velourvorhang um die halbe
Höhe bis zum Rand des inneren Bühnenrahmens, so hat man das Gefühl, daß sich die
Wände zu einer Vision auftun.
Der Eindruck der ersten Vorstellung, der Gespenster, war ungeheuer. Dieser Raum
mit seiner Geschlossenheit übte eine Vermittlung, eine atmosphärische Verdichtung
ohnegleichen. Er sammelte den Eindruck zu einer gedrängten Fülle, er ballte ihn zu-
sammen, er schuf Rapporte und Fluidumbeziehungen, er kettete die beiden Welten des
Begebnisses und der Schauenden mit seelischen Fibern zusammen. Er ward zu einem
märchenhaften Schrein, des Wunderbaren voll.
Diese ganz anderen Propnxtions- und Distanzverhältnisse, diese neuen Bedingungen
der Reaktion ergaben neue Wirkungsmöglichkeiten, eine besondere Dynamik, besondere
Zeitmaße und Taktvariationen. Stumme Szenen, Bewegungsmotive, das Seelisch-
Symbolische des Bildes an sich, ohne die Worte, bekommen hier vertiefte Bedeutung.
Dafür hatte Edvard Munch, der nordische Maler, der in seinen Blättern so hell-
sichtig die Gespenster im Alltagsleben erscheinen läßt, viele Anregungen gegeben:
Figuration der Personen zueinander, die steile Schmerzenslinie der Mutter über dem
zusammengebrochenen Trümmerkörper des Sohnes, das irr-verzweifelte Umgehen
Oswalds im grauen Schattendunkel des Gemachs mit seinem strengen patrizischen
Hausrat. Eine seelische Instrumentation war hier wirksam, die unwiderstehlich in
Bann schlug.
Es ist zweifellos, daß die Gelungenheit dieser Kammerspiele und ihres Rahmens aus
der absoluten Einheitlichkeit, aus der von innen heraus, aus dem Wesen der Sache ab-
geleiteten Lösung gekommen ist. Das Prinzip des Organischen, der „inneren Form", hat
hier wieder gesiegt. So einfach und überzeugend das im Grund ist, so geringe Allgemein-
gültigkeit hat es. Das erkennt man unstreitig bei unserem neuesten offiziellen Bauwerk,
der romanischen Halle im Zoologischen Garten. Sie ist dazu bestimmt, die berühmte
„romanische Ecke" am Kurfürstendamm „glücklich zu ergänzen". Wir haben dort, um die
Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche gruppiert, das eine romanische Haus, das mit seinen
tief hinter Säulen-Loggien liegenden Fenstern zu unserem trübnördlichen Klima und der
frühen Dunkelheit der Wintertage so gar nicht stimmt, dann seinen jüngeren Nachfolger,
der manch reizvolles Detail an Steinmetzvignettenkunst aufweist, aber sich seinen ganzen
stolzen Charakter dadurch verderben muß, daß er der wirtschaftlichen Notwendigkeit
halber im Untergeschoß Warenläden aufzunehmen gezwungen ist.
Hier sieht man recht das Schiefe und Widerspruchsvolle: Eine Stilarchitektur von
größtem Anspruch wird aufgeführt und vom Anfang an wird sie durch unpassende Bei-
mischung verdorben. Der Widerspruch geht noch weiter. Die Läden stören mit ihren
Tapeten- und Zigarrenauslagen nicht nur den Palazzocharakter, der Palazzocharakter wird
umgekehrt auch den Läden hinderlich.
Gerade in Berlin hat sich in den letzten Jahren ein zweckmäßiger und mit seinen
Zweckmitteln schmuckhaft wirkender Ladentypus ausgebildet. Materialstil bildet ihn und
festgefügter, lebendig übersichtlich entwickelter Zusammenhang aller Teile macht ihn
zu einer organischen Einheit.
Er baut sich in Glas und Metallfassung heraus, die Schaufenster buchten sich und
bilden den Eingang, die Tür, fazettiert mit großgeführten Messinggriffen, die Oberlicht-
kästen, die in das Rippengefüge der Metallmontierung einbezogenen Vitrinen, das alles
schließt sich mit überzeugender Notwendigkeit zusammen.