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BERNHARD STRIGEL IN WIEN S0 VON HANS
VON ANKWICZ-WIEN Sie
ASS zu Anfang des XVI. jahrhunderts in Wien und
Niederösterreich eine verhältnismäßig lebhafte
Kunsttätigkeit geherrscht hat, weiß man eigent-
lich erst, seitdem die nunmehr systematisch
in Angriff genommene Inventarisierung unseres
Kunstbesitzes wider Erwarten das Vorhandensein
einer ganz respektabeln Zahl von Denkmälern der
Malerei und Plastik aus jener Zeit ergeben hat}
Freilich sind es vorläufig noch „namenlose"
Werke, mit denen wir es da zu tun haben, denn
noch sind wir - namentlich auf dem Gebiete der
Malerei - nicht so weit, um irgend eine der damaligen einheimischen
Künstlerindividualitäten in ihrem lokalen Wirken abgrenzen oder gar nach
der biographischen Seite hin fassen zu können. Das wird erst möglich sein,
wenn es der Forschung gelungen ist, zwischen den in Urkunden und Amts-
büchern erwähnten Künstlernamen und dem zur Verfügung stehenden
Bildermaterial die richtige Beziehung herzustellen. Da steht es fast noch
besser um unser Wissen über die damals in Österreich tätigen auswärtigen
Künstler. Zwischen 1502 und 1504 hat, wie Dörnhöffer nachwies," Lukas
Cranach auf niederösterreichischem Boden gearbeitet, und in den ]ahren
1515 und I 520 weilte der berühmte schwäbische Maler Bernhard Strigel in
Wien, um für Kaiser Maximilian I. und seinen Rat Dr. Cuspinianus einige
Arbeiten an Ort und Stelle auszuführen. Die Strigel-Forschung hat dem Auf-
enthalt des Meisters in Wien immer eine ziemliche Bedeutung beigemessen,
da die in dieser Stadt entstandenen Gemälde einen wichtigen Platz in seinem
Oeuvre einnehmen. Allein über die näheren Umstände dieser Reisen ist man
so gut wie gar nicht unterrichtet und es soll daher im Folgenden der Versuch
unternommen werden, auf Grund neuer Materialien in die mit der Anwesenheit
Strigels in Niederösterreich zusammenhängenden Fragen einige Klarheit
zu bringen.
Zum Ausgangspunkt unserer Untersuchung nehmen wir dabei das
Verhältnis Strigels zu dem kaiserlichen Rat Dr. Johann Cuspinian, dessen
jetzt auf Schloß Kreuzenstein befindliches Familienporträt jene bedeutungs-
volle Inschrift trägt, durch die der Name Strigel überhaupt erst in die
Kunstgeschichte eingeführt worden ist. Es wird sich mit Rücksicht auf
1' Neben der „Österreichischen Kunettopographie" machen sich gegenwärtig in erster Linie die von
Professor Wilhelm Suida herausgegebenen „Österreichischen Kunstschätze" (Wien, Verlag j. Löwy), sowie die
Publikationen des Wiener Altertumsvereines, des „Vereine: für Denkmalpliege und Heimatschutz in Nieder-
österreich", das "Kunstgeschichtliche jahrbuch der k. k. Zentrnlkommission" und die Monatsschrift des
Österreichischen Museums "Kunst und Kunsthandwerk" um die Aufhellung der niederösterreichischen Kunst-
geschichte des XV. und XVI. jahrhunderts verdient.
"h" Jahrbuch der k. k. Zentrnlkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen
Denlernale, Neue Folge ll. Band, 2. Teil (Wien 1904), Spalte 175 E.
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