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wie bei der Strahover Abteikirche und der Hradschlner St. Georgskirche zu sehen ist.
Architektonisches Detail ist an der in diesem Zeiträume umgebauten St. Georgskirche zu
Prag, an den beiden mit je zwei Reihen von Doppelfenstern geschmückten Fa^adenthürmen
der Stiftskirche in Mühlhausen und an der prächtig ausgestatteten Krypta zu Doksan bis
auf unsere Tage in einem guten Zustande erhalten geblieben. Die Kirchenbauten zu Tepl,
Nepomuk, Hradiste und Osseg gehören bereits dem nachfolgenden Übergangsstil an.
Ans einem kleinen Samenkörnlein ist im Laufe der Jahre ein Riesenbaum empor
gewachsen, dessen weitverzweigte Äste unzähligen Vögeln sichere Wohnung bieten. Das
kleine Kirchlein des IX. Jahrhunderts, dessen Durchmesser nur einige Meter zählte, ist
im Verlaufe von drei Jahrhunderten zu einem Riesengebäude emporgewachsen, in dessen
majestätischen Hallen Tausende und Tausende ihr Vaterhaus fanden. Die Werke der
romanischen Baukunst sind ein treues Bild der Geschichte Böhmens. Mit der Zunahme
der Macht des Premyslidenhauses von der Herzogswürde bis zur Königskrone wächst
auch die kleine Landkirche zur mächtigen Kathedrale empor. In allen Phasen aber, sowohl
der ersten als auch der zweiten Periode, entwickelt sich die Architektur aus den jedes
maligen Verhältnissen dem Volksgeist gemäß zum echten Kunstwerk heraus, und sind die
monumentalen Schöpfungen der romanischen Baukunst der älteste und demzufolge der
kostbarste Schatz, eine aus Quadersteinen erbaute Culturgeschichte des böhmischen Volkes,
dessen lebendiger, den idealen Kunstbestrebungen zugänglicher Charakter in den Werken
seiner Phantasie und seiner Hand sich wiederspiegelt.
Gothische Architektur.
Der Umschwung der Stilanschanungen, welcher sich seit der Mitte des XII. Jahr
hunderts in den architektonischen Leistungen Frankreichs zu vollziehen und langsam auch
auf alle übrigen Gebiete der Kunst zu erstrecken begann, zog allmälig immer weitere Kreise.
Je weiter die einzelnen Länder Europa's von dem Ausgangspunkt der Bewegung entfernt
waren, je mehr sie an die Peripherie des damaligen mitteleuropäischen Cülturkreises
hinausgerückt erscheinen, um so später erreichte die Flut der neuen Ideen ihre Grenzen.
So bedang schon die Lage Böhmens, das von Frankreich durch einen weiten und breiten
Zug deutschen Lündergebietes getrennt war, naturgemäß, daß es später als das letzt
genannte in die neue Bewegung eintrat und dazu zweifellos auch durch den geänderten
Kunstbetrieb der deutschen Nachbarländer hingeleitet wurde. Denn wie eine wellenförmige
Bewegung einer Flüssigkeitsmenge sich vom Erregungspunkte aus unter normalen Ver
hältnissen von einem Atom der Oberfläche zum anderen fortpflanzt und keines überspringt,
sondern erst das nüherliegende berühren muß, ehe das entferntere getroffen werden kann,