Krumauer Madonna hat das auch. Die Braunschweiger Zeichnungen gehen
mit unseren Figuren aber vor allem in der Bildung dieser Tiefungen am
engsten zusammen, nämlich darin, wie sich die nach der Ansatzstelle zu
verengen, also Schlingen werden - es sind hauptsächlich die großen Hänge
von Eins zu vergleichen - und dann in den Proportionen; die Schlinge gibt
den Braunschweiger Zeichnungen überhaupt mit das Gepräge, und zwar
durchgängig. - Das stärkste Formvorkommen und den Prager Arbeiten
am nächsten finde ich beim ältesten König von der Nordvorhalle des Stephans-
doms, ganz breit und groß, hypertroph, so, daß die Abkunft von einer Wirk-
lichkeitsform wieder zurücktritt, in der sehr schönen Drapierung von bester
Wirkung; die ganze Gruppe ist von Böhmen stark beeinflußt.
Schlitzbildungen werden an den Prager Tumbentiguren nur vereinzelt
vorkommen, an den Brückenturmtiguren sind sie stark genug, da spricht
auch Stix davon: „Sehr charakteristisch . . . . eine schmale, tief ein-
geschnittene Falte mit halbrundem Abschlusse." Das sitzt nicht nur an den
Aufstößen, sondern auch an den eigentlichen Fronten der Draperien. Auch
bei der Anbetung vom Stephansdom kommen Furchen nicht nur an den
Aufstößen vor. -
Im ersten Viertel des XV. Jahrhunderts werden dann alle diese Formen
völlig typisch, man kommt ohne sie nicht mehr aus."
Aber diese Formen bedeuten dann im Draperieganzen lange nicht mehr
dasselbe. Es kommt auf die Behandlung von Motiven an, nicht nur darauf,
daß sie da sind. Diese Formen sind ja auch schon im XIII. Jahrhundert da
und kommen im XIV. unzähligemal vor. Sie sind, jede bis zu ihrem gewissen
Grad, in der Wirklichkeit gegeben. Man muß nicht zu weit gehen in den
Vorstellungen von der Aufsaugung der naturgegebenen Form durch die
künstlerische Gestaltung; gerade im XIV. Jahrhundert nicht, welches neben
der Umwertung der organischen Form ins Anorganische doch auch Arbeit
an irgend einer Art von Modell gekannt hat. Jedoch im XIII. Jahrhundert
saßen diese Formen in kleinerem Maßstab zum Draperieganzen und verloren
sich mehr im Reichtum anderer Formen; im XIV. froren oder trockneten sie
ein, bis zu einem gewissen Grade; wieder anders ging es ihnen im späteren
XV. Um 1400 wußte man mit ihnen etwas Besonderes anzufangen. Das aber
gibt zu denken - für eine andere Frage. __
Bei neuen Formen liegt der Gedanke nahe an Übertragung aus fremden
Gegenden. Das ist anders, wenn in den Formen nur die Entfaltung aus schon
vorhandenem Formenmaterial erkannt wird. Die Erforschung der deutschen
Plastik wird sich aber immer mehr um das Zuriickgreifen, Wiederaufgreifen
kümmern müssen. In diesen Fällen kommt fremde Anregung höchstens als
Anregung zur Verwertung der älteren Formen in Betracht. Auch da wird
man immer skeptischer werden. Die Meister von Bamberg haben nicht erst
x Das gilt besonders für die Hang- oder Bauschkonsolen mit den tangentialen Tiefungen; aber auch für
alles andere- sogar die Aufsroßformel von Eins und dem Karl IV. kommt vor, vgl. die Madonna aus Illertissen
,
im Stuttgarter Museum (Baumscher Katalog Nr. 36; Holz, um 1420).