Wenzel von Olmtitz. Von Max Lehrs. Mit 11 Tafeln in Lichtdruck.
Dresden, W. Hoffmann, 1889. S". 113 S. M. 16.
An dem litterarischen Denkrnale, welches Thausing durch sein Dürerbuch unserem
deutschen Altmeister, getragen von edler Begeisterung für dessen Kunst und Art auf-
gerichtet hat, fand ein Bautheil von Anfang an bei den Fachgenossen nicht ungetheilte
Anerkennung. Eo war jenes Capitel über die frühesten Kupferstiche Durer's und über
dessen Wettstreit mit seinem Lehrer Michael Wolgemut. in demselben wurde Adam
Bartsch, auf dessen Peintre graveur unsere gesammte Kunde alter Kupferaliche beruht,
und seine Aufstellungen über den Stecher mit dem Monograrnmc W bei Seite geschoben
und die Stiche des Letzteren als Originale Wolgemuüs bezeichnet, welche Dürer copirt
haben soll. Nach zehn Jahren war Wilh. Schmidt, der verdienstvolle Director des Mün-
chener Cabinets, der erste, welcher die schlichte Wahrheit des alten ehrwürdigen Bartsch
zu rehabilitiren versuchte und dessen Andeutungen werden nun von Lehrs in seinem
neuesten Werke des Weiteren ausgeführt und vollinhaltlich bestatigt.
Zunlchst wird die Entstehung der Wolgemut-Legende historisch verfolgt. Bei
Qu adt von Kinckelbach in dessen nTeutscher Nation Herligkeitc 160g wird zuerst
Meister W erwähnt, und zwar als drittaltester Stecher überhaupt; F. von Bocholt, lsrael
van Meckenem und Meister W., von welchen dreien Martin Schongauer becinßusst worden
sei, wie dem Letzteren nachfolgend Dürer. Dies gab Thausing die scheinbare historische
Grundlage für seine Annahme, dass Dürer nach dem Meister W copirt habe, ohne durch
die Erkenntniss, welche er doch bereits hatte, dass Schongauer der alteste unter den
vorgenannten Stechern ist, an der Wahrhaftigkeit jener Angaben irre zu werden. Auf
Quadt folgt Sandrart in seiner Teutschen Academie 1675, welcher zuerst den Wolgemut
wie als Maler, so als Reißer, d. h. Zeichner, mit ausdrücklichem Hinweise auf die Holz-
schnitte in der SchedePschen Chronik hervorhebt, aber wohlgemerkt, nur als Zeichner
für den Holzschnitt und durchaus nicht als Stecher. Die Unterstellung des Namens Wol-
gemut für das Stechermonogramm W kommt zum ersten Male bei Joh. Friedr. Ch rist
in seiner rAnzeige und Auslegung der Monogrammatum- 1747 vor, aber auch dort nur
beiläufig und ganz unbestimmt: weil Dürer nach W copirte, und sein Lehrer Wolgemut
war, so heißt das Monogramm W vielleicht Wolgemut, vielleicht aber auch Widitz
zu Straßburg. Bei Knorr, Allgem. Künstlerhistoria 1759, dann bei Heinecken, Nach-
richten von Künstlern 1763, tritt die Wolgemut-Hypothese immer bestimmter auf und in
Murr's Journal zur Kunstgeschichte ll, 1776 finden sich die W-Stiche bereits förmlich
zu einem Werke Wolgemufs zusammengestellt, und so ging es, mit Ueberspringung von
Ad. Bartsch, gerade durch loo Jahre fort bis zu Thausing 1876, der in seinem Schüler
Fritz Harck in den uMittheilungen des Institutes für bsterr.Geschichtsforschungu l, 1880
einen besonderen, den letzten Vertheidiger fand.
Nachdem somit Lehrs die Grundlage der klügelnden Reflexion Thausing's erfolg-
reich untergraben, geht er daran, die Zugehßriglteit aller mit W bezeichneten Stiche an
den Goldschmied Wenzel von Olmütz, welcher sich auf einem der Blltter, Tod Maria,
selbst als Stecher nennt, zu beweisen, indem er einige Verschiedenheiten der Stichweise
dieser Blätter als Entwickelungsphasen ein und desselben Meisters erklärt oder als An-
schmiegen des Copisten, eben jenes Wenzel von Olmütz, an den jeweiligen Charakter
seiner Vorbilder. Bei 3x Blättern nach Schongauer, nach dem Meister des Hausbuehes,
nach dem Niederlander L. Cz., nach PW. und Dürer bestimmt Lehrs die unterschei-
denden Eigenthümlichkeiten der Stichwelse des Meisters W und beweist sodann, Thausing
widerlegend, die Prioritlt der angeblichen Copien Dürer'a gegenüber den Blättern des
Olmützer Stechers. Er stellt also Letzteren als einfachen Berufscopiaten klar und scharf
umrissen dar, welcher aber als solcher immer noch bedeutender erscheint, als Israel van
Meckenem. Sodann gibt Lehrs das Verzeichniss der Stiche WenzeVs, welches er auf 91
Nummern bringt, obgleich er neun Blatter als irrrhomlich demaelben zugeschrieben aus-
scheidet; dann folgt ein Verzeichniss der Stiche Wenzel's nach- chronologischer Ordnung
der von ihm copirten Meister. ferner die Concordanz der von Bartsch und Pauavant
angeführten Blätter mit den Nummern des neuen Kataloges und zum Schlusse die Auf-
zlhluug der Sammlungen, welche er für die Zusammenstellung seines Kataloges durch-
studlrt hat. Deren große Zahl allein beweist wiederum die Rastlosigkeit des Autors,
dessen vergleichende Kritik mit Hilfe photographischer Aufnahmen jedes einzelnen
Blattes man nur gesehen zu haben braucht, um zu seinen Aufstellungen Zutrauen au
gewinnen. Verlass auf das Formengedachtniss und schriftliche Notizen, wie es bei
früheren, sehr achtenswerthen Forschern üblich war, führte nicht zum Ziele. Mit seiner
Methode wurde Lehrs durch seine verschiedenen Publicatinnen in der That der Pfad-
ünder in dem Wirrsal der ältesten deutschen Stiche und sein Buch über Wenzel von
Olrnütz ist ein Muster für Arbeiten ähnlicher Art. E. Ch.
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