Klimts Zeichnungen sind eine Welt für sich. Unermüdlich im Schauen, in der
Beobachtung des nackten weiblichen Körpers, immer suchend, den Ausdruck des Sinnen-
lebens im Umriß, in der Bewegung festzuhalten, war der Künstler auch unerschöpflich
darin, das Gefundene mit feinem, flüssigem Bleistiftstrich suggestiv zu gestalten, mit
subtilem und bizarrem Linienreiz auszustatten. Sinnliche Erregung und hochgespanntes
Formgefühl, subjektive Reizzustände und Besonderheiten in den Neigungen, auch Ab-
irrungen und Überreizungen sind darin unbekümmert darum ausgedrückt, ob sie jemals
ein fremdes Auge erblicken würde. So wurden sie zu einem Spiegel seiner Seele.
Die Bilder des Nachlasses boten Fertiges und Unvollendetes. Neben wirkungsvollen
Bildnissen hingen Landschaften und eigenartige Übersetzungen der Natur. Das Neben-
einander und Ineinanderklingen farbiger Flächen zu einem bunten Mosaik oder einem
schillernden Teppich ist zumeist das Ziel. Während Klimt aber früher die zartesten und
feinsten, die subtilsten und vornehmsten Werte zu suchen liebte, ist seine spätere Art
viel kräftiger, breiter und bunter und sogar auch härter. Besonders in den unvollendeten
Bildern tritt das bunte Nebeneinander ungebrochener Farbenüecken noch unausgeglichen
hervor. Ein Kinderporträt zeigte dieses Spiel besonders lebhaft, es bot ein Meer von bunten
Stoffxnustern, die kühn nebeneinandergesetzt waren und noch nichts von jener Abge-
stirnmtheit aufwiesen, die Klimts fertige Werke auszuzeichnen pflegte. Man sah hier den
langen Weg von der Vorarbeit zur Vollendung voraus und konnte ahnen, welche Summe
künstlerischer Arbeit zu vollbringen war, bis der Künstler sein Werk aus der Hand gab.
In dieser Selbstzucht und Durchbildung lag ein großer Teil seiner Lebensarbeit.
Der Nachlaß bot Fernerstehenden auch hierin Einblick und ließ begreifen, wie die
Vollkommenheit und Reife der besten Werke des Künstlers durch konzentriertes Schaffen
und strengste Selbstkritik erreicht wurde, wie hier Genie und Arbeit sich ergänzten.
Nicht nur die rastlosen Niederschriften mit dem Stift, auch die unermüdlichen
Farbenexperimente geben Zeugen hiefür ab.
SEZESSION. JOSEF ENGELHART. Mit dem kleinen Bild von der „Burg-
musik", das einst dem Namen Engelharts im Künstlerhaus zum erstenmal Resonanz
verlieh, war eine kecke Note angeschlagen. Sie klingt noch heute, wenn der Name Engel-
hart genannt wird, so sehr der Künstler über das begrenzte und doch so populäre
Urwienertum hinauszuwachsen strebte. Das Menschliche und Allzumenschliche, das im
Künstler den Ballast bedeutet, kann ihm auch zum Verhängnis werden. Engelhart hat
seinen Zusammenhang mit dem Wiener Leben nie verloren, wenn er auch die Welt
bereiste und im Süden sonnige Bilder malte. Er hat der Enge jener Welt nicht mehr ent-
rinnen können, wenn er auch die Wiener Sitten in großem Format, mit fast lebensgroßen
Figuren bildhaft festzuhalten suchte.
Die starke Woge der Gründung jener zukunftsfrohen Sezession, die eine Zeitkunst
erstrebte, riß auch ihn mit sich und führte seine Begabung zu mannigfaltigen frischen
Äußerungen. Sie dehnten sich auch ins Gebiet der Plastik aus; Innenkunst im eigenen
Heim, Wandmalerei sogar und Grabmalkunst, vor keiner Aufgabe hat der Künstler sich
zurückgezogen, die ihm die günstigen Lebensverhältnisse brachten, in denen ihn das
Schicksal aufwachsen ließ. Darum ist auch der Inhalt jener vielen Räume so mannigfaltig,
die er mit seinem Lebenswerk gefüllt hat. Dabei sucht man aber doch vergeblich nach
der eindrucksvollen Äußerung einer geschlossenen persönlichen Eigenart, außerhalb jenen
wienerischen Sittenschilderungen, in denen sich Aufgabe und Persönlichkeit restlos ver-
binden. Temperament, Können, Erzählungskunst, Naturbeobachtung sind ja in allen diesen
inhaltsreichen Arbeiten aus Spanien und vom Kriegsschauplatz; in den Studien aus der
Schauspielerwelt und aus seiner nächsten Umgebung; in den Wachsplastiken und kunst-
gewerblichen Schaustücken. Eine persönliche starke Wesensart, die uns in den Bann
der eigenen Welt zu zwingen vermag, spricht nicht zu uns. Der lebensfrohe, heiter
spöttische, melancholisch bittersüße Wiener, an dessen Werk wir hier seine Eindrücke