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für das Wachsthum und Gedeihen der Bibliothek im höchsten Grade
erfreulich ist, gestaltete sich auf der anderen Seite zu einem Uebelstande,
der nicht gering anzuschlagen ist, und alle Fachgenossen werden das
Bedauern des Gefertigten über den Mangel eines abgeschlossenen Raumes
zu ruhiger Arbeit der Inventarisirung, Katalogisirung u. s. w. gerecht-
fertigt linden. Dieser Mangel machte sich während der Drucklegung des
neuen, gegen die letzte Ausgabe auf das Dreifache angewachsenen Kata-
loges in besonderer Weise fühlbar und verhinderte dessen raschere Voll-_
endung in nicht geringerem Grade als die Ueberbürdung der Bediensteten
in Folge der etwas außergewöhnlichen Verhältnisse an unserer Bibliothek.
An Gelehrten- und Studienbibliotheken beschränkt sich die Thätigkeit
der Beamten und Diener dem Publicum gegenüber zumeist darauf, die
Signatur der von den Besuchern verlangten Bücher nachzuschlagen und
die Werke selbst zu verabfolgen. Die Besucher unserer Bibliothek dagegen
gehören den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung an, und die Real-
schüler etwa, welche eine oder die andere Zeichenschule zu benützen
wünschen, sind so wenig in Anschlag zu bringen als die Professoren und
Kunsthistoriker, welche zumeist sogleich nach bestimmten Büchern fragen,
aus denen sie sich von vornherein Raths zu erholen wissen. Bei uns
liegt die Schwierigkeit darin, dass die große Mehrzahl der Besucher
beim Eintritt in die Bibliothek gar nicht recht weiß, welches Werk sie
zu begehren hat. Da ist es nun Sache der Beamten, sozusagen tastend,
durch Vorlage einer größeren Anzahl von Werken, als dies in anderen
Bibliotheken üblich ist, herauszufinden, um was es dem Besucher
eigentlich zu thun ist. Zur Charakteristik dieser oft schwierigen und immer
zeitraubenden Art von Diagnose genügt der Hinweis auf das unklare
Verständniss, mit welchem von der Mehrzahl des Publicums z. B. die
Ausdrücke waltdeutschu oder vzopfigu als Stilbezeichnung gebraucht
werden. Das gezwungene immerwährende Wechseln des Interesses von
einem Kunstzweige zum anderen und noch einem anderen, je nach dem
Bedürfnisse der Besucher, ohne dass schließlich auf eine sichtbare Arbeits-
leistung hingewiesen werden könnte, erfordert von Seite der Beamten
ebensoviel Resignation, als es Geist und Körper ermüdet. Es liegt in der
Natur der Sache, dass die Kunstindustriellen aller Branchen unter den
Besuchern weitaus die Mehrzahl bilden. Diesen Möbeltischlern, Arbeitern
in edlen und unedlen Metallen, Buchbindern, Decorateuren, Zeichnern
für die textilen Fächer u. s. w. u. s. w. nach bestem Wissen mit Rath
und That beizusteben und so zur Hebung der Vaterländischen Kunst-
industrie beitragen zu können, das bildet andererseits die ideale Seite
des Dienstes an unserer Bibliothek.
Bei dem innigen Verbande, in welchem die Kunstgewerbeschule seit
ihrer Gründung mit dem Museum steht, wird die Bibliothek fast selbstver-
ständlich zur Beistellung des Lehrmateriales in Form von Vorlagen durch
die verschiedenen Fachschulen sehr in Anspruch genommen, wenngleich