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technische Arbeit, eine Charaktereigenschaft der Wiener Schule, die wich-
tigste Grundlage zur Ausführung von Kunstwerken, wenn eine gute
Zeichnung und schöne Farbenskizze vorliegt. Dabei verfügt die Wiener
Schule über eine so große Mannigfaltigkeit technischer Verfahren, dass
auch ein besonderer Reiz durch die Verbindung verschiedener Techniken
an einem Stück entsteht. Sie hat sich um die Hebung der Kunststickerei
und um die Wiederbelebung alter Techniken ein großes Verdienst er-
worben und findet die beste Anerkennung darin, dass ihre Schülerinnen
nicht blos im lnlande, sondern auch allerwäris im Auslande als Lehr-
kräfte angestellt werden. ln Deutschland wirken sie in Berlin (königl.
Kunstgewerbeschule), Hanau (kgl. Kunstakademie), in Hamburg (Staats-
gewerbeschule), ferner in Mülhausen, Frankfurt, Rheydt, Düsseldorf u. s. w.
Der k. k. Spitzencurs, eine zur Hebung der Spitzenindustrie in
Oesterreich eingerichtete Anstalt, hat den Zweck, Lehrkräfte und Vor-
arbeiterinnen für die Hausindustrien der Spitzenerzeugung auszubilden,
die in Oesterreich, im Erzgebirge, in Tirol und lstrien noch bestehen-
Die Zeichnungen werden von der Kunstgewerbeschule, in deren Händen
die künstlerische und technische Leitung liegt, geliefert und die Aus-
bildung betriHt alle Arten der Klöppelspitzen und der Nadelspitzen. Die
Schülerinnen, meist Töchter ländlicher Spitzenklöpplerinnen, haben für
die Dauer des Aufenthaltes, welche von der Schule bestimmt wird, den
Unterricht frei und ein Stipendium zur Bestreitung der Kosten des Aufent-
haltes in Wien. Von diesem k. k. Spitzencurs rühren auf ll Tafeln die
Klöppelspitzen, auf ir Tafeln die Nadelspitzen her, welche die südlichen
Wände der beiden Räume im wahrsten Sinne des Wortes schmücken.
Die Leistungen überragen _.Alles, was man sonst in Paris oder gar in
Brüssel an modernen Spitzen sieht. Ihr Vorzug liegt in der Schönheit der
Zeichnung, deren Angemessenheit zur Technik und zum Gebrauch und
in der saubersten Ausführung. Es sind alle Arten _von Spitzen da, viele
umgeändert und wirklich verbessert. Die landläufigen Muster der Kirchen-
spitze sind so geschickt umgeformt, dass aus dieser langweiligen Art eine
salonfähige geworden ist. Die Reliefspitze wird in der Klöppeltechnik mit
Erfolg auszuführen gesucht und alle diese vielen in den Tafeln aufgehef-
teten Muster sind so klar und gefällig im Dessin, wie die besten Arbeiten
aus alter Zeit. Auch und fast noch mehr bei den Nadelspitzen sind
Zeichnung und Ausführung auf gleicher Stufe, mögen Argentan oder
Brüssel, oder mag Italien das Vorbild dafür hergegeben haben. Die ein-
fachen, die doppelten Reliefspitzen, die point de rose, die Reticellaspitzen
sind überaus delicat ausgeführt und entzücken die Pariser Damen. Seltsam
wirkt ein Versuch, Perlmutterplättchen als Füllungen für Spitzen zu be-
nutzen. Dieser Versuch ist in der Absicht veranstaltet, den durch die
Mac Kinley-Bill arg geschädigten Perlmutterarbeitern eine Arbeitsquelle
zuzuführen. Eine entsprechende Gestalt und ein entsprechender Kleider-
stoll" vorausgesetzt, mag ein Cache, mit den flimmernden Perlmutter-