EINE
JOHANNESBÜSTE
DES DESIDERIO DA SETTIGNANO
. SCHAFFRAN
Die Sammlung eines jüngst verstorbenen Wiener Kunstgeleltr-
ten enthielt u. a. die wissenschaftlich bisher noch nicht aus'-
gewertete Büste eines jugendlichen hljohannes d. T. Das Werk,
in (larraramttrmur gearbeitet, ist S7 em hoch und im besten
ll haltungszustand. Es befand sieh zusammen mit anderen gleich-
zeitigen und auch meist vom gleichen (noch zu nennenden)
Künstler stammenden Älarmorplttstiken in der 178-} abgebro-
chenen Kirche San Piero Maggiorc (in Seheraggio) in Florenz.
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Die meisten Kunstwerke wurden dann durch Bardini aufgelaatiit,
einige Stücke tauchten später im Kunsthandel auf, ein Weih-
wasserbeeken mit einem Cherulvskojuf kam nach USA, Teile
eines Marmortabernitkels in das Wiener Kunsthistorisehe Mu-
seum (derzeit im Depot) und die vorcrtviihntc johannesbüste
nach mancherlei Schicksalen in die eingangs genannte Wiener
Privatsammlung. Das Werk zeigt also den noch sehr jugend-
lichen 'l'iiufci' mit Zügen, die trotz leichter Typisierung auch
portriitmiiilig genannt werden können.
Es war eine (iepflogenheit der Florentiner
Adelsfamilien des 15. Jahrhunderts, die Erinne-
rung an jung verstorbene litimiliennwitgliedeit in
guten Büsten festzuhalten, welchen als wteiterer
Zweck noch ein religiöses Thema unterlegt
wurde, um das Wlerk auf einem Fantiliettztltai"
aufstellen zu können. So erscheint zum Beispiel
ein Verstorbener Knabe oder Jüngling als kind-
licher 'l'a'ufer, als Engel oder als irgend eine
Symbolfigur. Dadurch erhielten Maler wie
Plastiker die in der Denkart des lilorentiner
Quattroeento wurzelnds Aufgabe gestellt, das
Portratiihnliehe, das Individuelle mit dem reli-
giös betonten ldealistischen zu verbinden; eine
zusätzliche Annäherung an die Antike blieb frei-
gestellt.
Sowohl in jenen Plastiken und (Iemaldeit, die
von Anfang an als gewollte Porträts zu gelten
hatten, wie bei jenen, wo, iihnlich der Wiener
johannesbüste, das Bildnishafte sich mit einem
übergeordneten religiösen Zweck zu verbinden
hatte, galt immer als Ziel jene „bella presenza".
auf die u, a. Vespasiano Bistieci in seinen Bio-
graphien hinwies, „ . . . e eon tutte queste srienze
e virtu siteeozzava le bellezze del eorpo e la
graziosa presenza." Denn bald nach 1450 galt
als ldeal nicht mehr das blasctilinc, sondern „la
doleezza del bel giovttne", die grazile Schön-
heit des vom Knaben zum Jüngling Reifenden.
Naturalismus und Idealismus traten sich gegen-
übe und aus dieser etwas zwielichtigen Lage
erklart es sich auch, dail viele Quattrocentobild-
nisse gewisse gemeinsame Züge, eine Art Fami-
lieniihnlichkeit aufweisen, also einen unbeküm-
mert um Naturalistil: geschaffenen zeitgebunde-
nen Idealtypus. lis ist hiebei der Florentinei"
Quattrocentoplastik hoch anzurechnen, dail bei
solchen so heterogenen Aufgaben das Indi
duell-Künstleriselae nie zu kurz kam. Gerade
die tiefe, keinesfalls als künstlerisches Hemmnis
angesehene Verankerung im (iegenstiintllielten
und im Leben, bewahrte die damalige toseani-
sehe bildende Kunst vor einem übertriebenen
Idealismus, welcher seblieillielt im ausgehenden
Quattrocento auftretcnd, dann schon tieutlieb
manieristische Züge zu zeigen begann.
Der Meister der hier erstmalig publizierten
johannesbüste konnte auf Grund einer seliarf
profilierten künstlerischen Handschrift festge-
stellt werden. Die charakteristischen 7 igc der
Kopf- und (iesicltlsbildtutg, die Durrlifiihrttng
i.