hcinc Wunder. Der tatsächliche Name
der Heiligen soll Wilgefortis (virgo for-
tis?) gewesen scin.
Die Darstellung weist aller Wahrschein-
liehkeii nach auf einen im hohen Mit-
ttlaller bereits nicht mehr verstande-
nen frühen 'l'_vp eines ganz bekleideten
Uekreuzigten hin, wie er uns z. B. noch
im „Volto santo" in Lucca (10. Jahr-
hundert) überliefert ist.
"n. ..i.u...u..,_-,..., „xiillltauxt u: vvutu ..V
gure", zurück, den der 1592 93 in Naney
geborene Radierei" und Zeichner Jac-
ques Callot wiihrcnd seines von 1609 bis
1622 wahrenden Aufenthaltes in Italien
unter Verwertung von Typen der Com-
media dell'Arte geschaffen hatte. Callot-
figuren wurden bis ins 18. Jahrhundert
hinein in allen G len und Materialien
hergestellt; die Groteskfigurun des Salz-
hurger „ZxvCrgIgnrtt-ns" gehören ebenso
zu diesem Genre wie die ins Humorvoll-
Volkstümliche transponiertun Typen der
Wiener Porzellanmanufaktui" („Walper
llöllriglin", „jupantsehti Fcrenz", „Os-
wald von Stroblhart"). Die hier abgebil-
deten Figuren lassen sich mit den Typen
der Porzcllanpteodulction hervorragend
vergleichen. Besonders hervorzuheben ist
die qualiiittvollc Durehhildung der Ein-
zclheitt-n.
ilIonumeiilalmibincu, Buchsbaum. Arbeit
von Andrea Bruslnlon (1662-1732, Vene-
dig), 180 ivi 140cm, Lichte 117 x 81 cm.
Mit der Persönlichkeit von Andrea Bru-
stolon geht das Schaffen der veneziani-
sehen Bildhauer mit der Fertigkeit der
Kunsttisehlcr eine. letzte, großartige
Synthese ein, die ganz unter dem Zei-
chen Wuchernder Phantastik steht. Die
Möglichkeiten einer geistvollen Ver-
sehlingung von Ritnkcntverk. Blüten und
Puttenfigtiren sind hier vollendet aus-
geschöpft, ohne daß es - wie bei so
manchen Arbeiten der Brustolon-Werk-
statt _ zu hybriden und monstr en,
unserem Zeitgeschmack {umstehenden
Bildungen kommt.
ROhOI-ZO-Rtlfliilfll, Birnholz. Gesamthöhe
35 cm, Lichte 21 X 15 cm. Arbeit von
Johann Peter Sehwanthaler (1720 bis
1792).
Die außerordentlich graziöse, rhyth-
misch besehtvingte Arbeit bringt all ihre
ornamentalen und figuralen Elemente
zu freier. entspannter Entfaltung, hei-
tere Musikaliliit ist der (irundtori des
tmpfindens. das sie irn Betrachtet" aus-
löst. 1m Vergleich mit dem Brustolon-
Rahmen zeigt diese kleine österreichi-
sche Arbeit unverkennbar den Wandel
des Zeitgcschmacks und die Unterschie-
de der nationalen Temperamente. Das
Stück ist in die Mitte des 18. jahrhun-
derts zu datieren und wäre damit ein
relativ frühes Werk P, Schwanthav
lers.
Schrank. Nuli- und Nußwurzelholz auf
Nadelholz furnit-rl. 228 X 223 ,-( 90 cm.
Dieses priitihtige, wohlcrhaltene Stück
von unzweifelhaft süddeutscher Her-
kunft ist in die ersten Jahre des
I8. jahrhunderis zu dat ren. Von be-
sonderem Interesse ist die Gestaltung
der erhabenen Mittelfeldt-t" der ' 'ren in
Verbindung mit den darunterliegeriden
qucrstehcnden Feldern und den pyrami-
denartigen Verbindungsstüeken; ohne
Zweifel werden hier norddeutsche An-
regungen in die weichere LtnCl reichere
Sprache der Landschaft südlich des Mai-
nes übertragen. m. Köller
ouzanne valauon war eine neute nei-
nahe schon wie eine Fabelfigur ,wii4,-
kende „totale" Bohemienne, die im Paris
eines Toulouse-Lautrec, eines Degas,
eines Puvis de Chavannes (um nur die
Namen ihrer prominentesten Geliebten
zu nennen) lebte, liebte und malte. Wie
aus den ausgezeichneten, auf genaues
Quellenstudium basierenden Ausführun-
gen des durchaus gewissenhaften und
verläßlieh wirkenden Autors hervor-
geht, war eine der Quellen ihrer künst-
lerischen Kraft eine sehr SpCZiflSChC Art
von völliger Enthemmtheit, aus der sie
die Fähigkeit bezog, alles an Menschen,
Dingen und künstlerischen Anregungen
zu absorbieren, was sich ihr, der un-
ehelichen Tochter eines Mädchens vom
Lande, das bald genug zur Trinkerin
wurde, in buntem Durcheinander dnrbot.
Uns Heutigen will es unbegreiflich er-
scheinen, daß ein an sich empfindsamer,
sehr subtil organisierter und eben künst-
lerischer Mensch unter den gegebenen
Umständen überhaupt existieren konnte,
aber aus Storm's Darlegungen wird
einem wieder einmal klar, daß echte
Begabung von äußeren Bedingungen des
Daseins unabhängig ist und es stets ver-
steht, auch den gefährlichsten Stier hei
den Hörnern zu packen. Und vielleicht
ist es eben doch so, daß gerade der
übelrieehendste Dünger die prächtigsten
Früchte hervorbringt.
Storm versucht nur ansatzweise, die
Kunst der Suzanne Valaclon zu analy-
sieren und ihr einen Platz im Mosaik
der Zeit zuzuweisen. Sein Anliegen war
es, uns den Menschen näherzubringcn,
sine ira et studio, ohne zu moralisieren
oder sich im Sumpfe wohlzufühlen. Die
ausgezeichnete Übersetzung von Jutta
und Theodor Knust wird dem leicht
lesbaren Buche sicherlich eine weit ge-
streute Verbreitung sichern.
Alain, Spielregeln der Kunst (Prelimi-
naires z. Flisthetique). Karl Rauch Ver-
lag, Düsseldorf 1961.
Dieser Band vereinigt neunzig Essays
eines bei uns fast unbekannten, aber in
Frankreich hochberühmten Autors. Sie
entstanden in den jahren 1907 bis 1936,
sind - wie nicht anders zu erwarten 7
spritzig und witzig geschrieben, aber
doch so sehr bloße „Kunst des Tages".
daß sie heute schon eher als Quellen
zur Kulturgeschichte ihrer Zeit denn als
gültige Aussagen zu den vielfältigen
Themen angesehen werden können.
Wenn er z. B. die Möglichkeit einer
farbigen Plastik ableugnet, so beweist
er nur, daß seine Gesinnung immer noch
die des Spätklassizismus ist und er sich
über die Plastik vergangener Zeiten
wenig informiert hatte. Und wenn er
behauptet: "Mit armiertem Beton bauen
ergibt nicht Schönes", so wird einem
klar, wie wenig dieser geistvolle, ele-
gante und gewandte Mann uns noch zu
sagen hat.
Dr. Ernst Köllcr