l) W. Pimlzr, Die deutsche Plastik
vom ausgehenden Mirtclalrcr
bis zum Ende der Rcnaissumv.
Teil 1, Handb. d. Kunst-
wiss. X. Wildpark-lävlsdnln
1924. Vgl. n. Drnnnirr.
Die miuclalrerlichen Pietä-
Gruppcn im Kaiser Friedrich
Museum. ln: Berliner Museen
XLII 1921, W. Prusurge, Das
dcutschi: Vcspcrbild im Mine]-
alter. Köln 1924.
1)Die wichrigsce Litcrazur zur
Frage der „schöncn" Vesper-
hildcr ist angegtben bei:
1.. .4. Springer, Die bayerisch-
österreichische Steingußplastik
der Wende vom 14. zum
15. 111.. Diss. Leipzig 193a.
Kznalog- und Anmcrkungs-
teil. r nzvnniz, Prolcgomena
zu einer Gßchichlc der deut-
schen Spälgolischen Skulptur
im I5. ]h„ Heidelberg 1956,
2711. n. Frey, Ein unbe-
kanntes Vcspcrbild de: wtichcu
Stils in Vorarlberg. ln: Öslcrr.
Zschr, i". Denkmnlpil. lll
1949. 56-68.
1) Gegen eine Gruppierung nach
Einzclmotivcn hat sich zulcm
n. Frcy (a. a. o. so) gewandt:
Die drei Gmndrypcn. die
ausgchcnd von der "Gesamt-
komposition als Ausdruck des
emotionalen Erlebnisses, des
seelischen Verhältnisses der
Goucsmuner zum Leichnam
Ch sti" aufgestellt werden.
sind ein fruchrbmr Ansnrz,
engere Gruppcnzusammcn-
hing: zu crkcnncn. innerhalb
der drei Gnmdfypcn muß
aber noch stärker difcmnzicrr
werden. Auch kommen Mi-
schungen der drei Typen
imlcrcinander vor.
91.. A. Springer. a. a. 0. 153m
u. 19a (kaL-Nr. 12). Vgl.
dcn Lircrnturbcricht zu Sprin-
gar von 1;. Wiegnnd und A. Smis,
in: Zschr. f. Kg. NF VIl 1933.
3557358.
s) 1.. A. Springer. n. .1. o.
134m u, 193 (Kai. Nr. 1). 7
K. (Iarzaroiii von Tlmrnlnrlell.
Mittcralrcrlichc Plastik in Stei-
Crniark, Graz 1941. bcs. 39 u.
Abb. 43. - Steiermiirleisrhex
Lmldexmiueulnjuanrltllm in Gmz.
Kunst des Mirrelalrers. Graz
1955. 34.
b) EJITue, Schlesische Plastik.
Leipzig 1'113, 45 u. Tf. 23.
H. Hmune und E. Wim.
Schlesische Malerei und Plastik
dcs Mittelalters, Ausst. Km.
Breslau, Leipzig 192a. -
R. Hammm, Die Elisabeth-
kirchc zu Marburg und ihre
künstlerische Nachfolge, Mar-
burg 1929 11, 336.
m1,. A. Springer. n. a. o.
15m. u. 197 (Kat. Nr. s). -
G. 1'. il. Osten. Südusldculschc
Schmerzvnsmänucr und "böh-
REINHARD LIESS Verperlzilder um 1400
Die deutschen Vesperbilder um
1400 werden seit Wilhelm Pin-
derl) als typologische Ganzheit
gesehen und von den älteren
Darstellungen des 14. jahrhun-
derts unterschieden. Mit tiefer
Einfühlung hat Pinder sie charak-
terisiert.
Bei aller Familienverxvandtschaft
der sogenannten „schönen"
Vesperbilder?) bietet sich uns
zugleich ein Bild vielfältiger Varia-
tionen und unerschöpflicher
Nuancierungen in Ausdruck, Ge-
wandung und Gestik dar. jedes
Werk will eine Kostbarkeit sein
und lebt für sich, in einem eigenen
intimen Bereich leiser Emotio-
nen.
Versuche, Gruppen- und KXlerk-
stattzusammenhänge in der Fülle
des uns erhaltenen Materials her-
auszufinden, sollten nicht von
genauen Übereinstimmungen be-
stimmter motivischer Anordnun-
gen ausgehen; die häufige Wie-
derholung prägnanter Falten-
schemata und Handgruppierun-
gen mag dazu verleiten 3). Nur zu
leicht konnten damit Werke von-
einander getrennt werden, die
trotz unterschiedlicher Einzel-
motive eng zusammengehören --
und umgekehrt. Oft sind es
minder qualitatvolle Vesperbilder,
die beliebte Motive exakt über-
nehmen, provinzielle Kopien bes-
serer XVerke.
Der vorliegende Beitrag versucht,
einen engeren Gruppenzusam-
menhang der Vesperbilder in
[Magdeburg (Dom) 4), Graz (aus
Adrnont)5), Brexlau (Mathias-
kirche) ü), jena (Museum) 7),
Krakau (Barbarakircheß) und
Äalgburg (Nonnbergkirche) 9)
glaubhaft zu machen. Freude am
Variieren und großer Erfindungs-
reichtum im einzelnen charak-
terisieren diese sechs Vesperbilder
ebenso wie eine gemeinsame ty-
penhafte Grundhaltung, die den
Spielraum für die motivischen
Abwandlungen festlegt. Eine
genaue stilistische Untersuchung
und Argumentation wird hier
in der Kürze nicht angestrebt.
Das Yjpisrbe der Gruppe soll
herausgearbeitet werden, in dessen
Bereich sich eine gemeinsame
Auffassung von Ausdruck und
Gestalt und eine die stilistische
Einzelformung übergreifende
permanente Stilhaltung flndenlü).
Die Aussonderung einer Gruppe
muß freilich vor dem Hinter-
grund eines möglichst umfassen-
den Materials geschehen, das hier
nicht dargeboten werden kann.
Einige vergleichsweise zitierte
Beispiele „schöner" Vesperbilder,
die nicht zur Gruppe gehören,
sollen stellvertretend aushelfen.
Ein Prototyp der „schönen" Ves-
perbilder muß in der Pietät aus
Baden bei Wien erkannt werden 11).
Stilistisch noch dem 14. jahr-
hundert verpflichtet, hat sie aber
bereits die typischen Merkmale
der Vesperbilder in der Stil-
phase um 1400. Christus ragt
schräg aus der Gruppe heraus,
sein Haupt sinkt zurück. Maria
verschmilzt in der Haltung ihres
Hauptes und Oberkörpers ein
Abneigen und Zuwenden in eine
einzige kurvende Bewegung. Eine
nuancenreiche, lautlos-innerliche
Beredsamkeit von Distanz und
Nähe; eine stille intime Sphäre,
in die der Betrachter allein durch
Anschauung und Einfühlung Ein-
laß Endet. Die Gewandung bil-
det in der Führung des Kopf-
tuchs Matiens über Haupt und
Brust, in der Art, wie
Röhren- und Schleppfalten vom
linken 12) Knie der Maria
strahlenförmig gegen den B0-
den stehen, die für viele Werke
der Folgezeit verbindlichen
Grundmotive aus. Die Gesamt-
komposition hat zugleich kon-
trastierende und korrespon-
dierende Momente in Körper
und Gewand. Das Divergieren
und Ausragen der Körper und
Faltenläufe aus dem Gruppen-
zentrum geschieht mit einem fei-
nen Gespür für Gleichgewicht
und Zusammenhalt.
Der Badener Typ wird in man-
nigfacher Weise variiert und wei-
terentwickelt, ohne daß er auf-
gegeben wirdll). Das Verhältnis
jedes der oben genannten sechs
Vesperbilder zum Badener und
ein Prinzip, speziell die Falten-
führungen stetig neu abzuwandeln,
bezeichnen ihre Zusammengehö-
rigkeit und heben sie klar von
den anderen Vesperbildern unseres
Zeitabschnitts ab.
Eines der wundervollsten Vesper-
bilder ist das im Magdeburger
Dom. Die Haltung des Ober-
körpers Mariens, die leicht zu
ergänzende Gruppierung der
Hände und die Motive der fächer-
förmig ausstrahlenden Falten-
läufe am linken, des Mantel-
überschlags am rechten Knie und
der Schüsselfalte dazwischen ver-
deutlichen die Verwandtschaft
mit Baden. Beiden Werken ist
ein streng ordnender Aufbau
gemeinsam. Die an der Badener
Pieta Mr die Gruppe ausgelegte
Schleppfalte wird jedoch in
Magdeburg in einer regelmäßi-
gen, den Boden kaum berühren-
den Kurvung in die plastische
Fülle des Gewandvolumens zu-
rückgeführt. Das lyrisch zarte
Wesen der Badener Maria wan-
delt sich 4 gemessen an den
übrigen „schönen" Vesperbil-
dern 7 ins Erhabene, die span-
nungsreiche, etwas spröde Schmal-
glicdrigkeit in eine weichere Fülle
und plastische Dichte und Wucht.
Die scharfgeführten, gleichsam
gegen einen inneren Widerstand
gebogenen Falten und über diese
gespannten langlinigen Säume
werden in Magdeburg volumi-
nöser und lockerer. Das in den
Übergängen weichere Oberllä-
chenrelief ist differenzierter und
nuancierter. Die gerüsthaft struk-
turierte Kontrapostik, die sich
kurvig auseinanderdehuende und
kreuzende Achsendiagonalität der
Badener Pieta wird gemildert;
die Silhouette schließt, rundet
und verbreitert sich. Nicht starr
mehr ragt der Christuskörper
aus, in sanfteren Brechungen
bleibt er an das Massenvolumen
der Gruppe gebunden. Er wird
dem Gläubigen leicht zugewendet
und ansichtig gemacht. Das ganze
Werk gewinnt an Gewicht und
Standfestigkeit, es ragt auf.
Damit sind bereits mehrere
Charakteristika genannt, die unse-
rer gangen Gruppe zu eigen
sind.
Die Pieta aus Admont (im joan-
neum, Graz) bringt gegenüber
der in Magdeburg ganz neue
motivische Varianten. Sie über-
nimmt genauer das Badener
Händemotiv; die Magdeburger
Pieta variiert es, die Linke Christi
ruht auf dem Unterarm Mariens.
Zwei parallele Schleppfalten fal-
len am Admonter Werk senk-
recht auf die Sockelplatte und
stellen sich in zwei sich hinter-
schneidenden, S-förntig ge-
schwungenen Bäuschen auf. Der
gewellte Quersaum eines Mantel-
überschlags überspielt die untere
Gewandpartie. Dennoch sind
beide Vesperbilder nicht von-
einander zu trennen. Auch die
Magdeburger Maria hat am rech-
ten Knie jene schlanken Tüten-
falten mit den weich ondulieren-
den Säumen, die die Admonter
Pietä nur weiter ausspielt. Ent-
scheidend ist, daß sich die Saum-
falten nicht zu solchen kaskaden-
artigen Komplexen verdichten,
dic u. a. für das Vesperbild in
der Breslauer Elisabethkirche
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