EDUARD LEISCHING
Über Kzmxlfiilsrhlzngen Z.
Wie dort im Osten bot auch in
Österreich-Ungarn das Vorhanden-
sein ausgezeichneter handgeschickter
Älenschen, die für reellen Verdienst
nicht Gelegenheit fanden, und ihre
Verbindung mit Gelehrten einerseits
und dem warenhungrigcn inter-
nationalen Kunstmarkte anderseits
den Anreiz, Altcrtümer eben zu
schaffen, wenn sie in Originalen nicht
in entsprechender Zahl vorhanden wa-
ren. Denn der gesteigerte Museums-
betrieb der ganzen Welt und das
immer stärker werdende Einsetzen
privaten Sammeleifers, der aus Freude
an der Kunst, vielfach aus Snobismus
und ganz besonders auch aus kapita-
listischen Erwägungen seit den sech-
ziger Jahren eingesetzt hatte, forderte
weit mehr Kunstobjektc, als auch
mit dem größten Spüreifcr heraus-
geholt werden konnten. Augenblick-
lich steht die Konjunktur für die
Verwertung alten Kunstgutes aller-
dings so schlecht, daß es sich nicht
lohnt, die Mühen und Gefahren der
Fälschertätigkeit mit Hilfe der vielen
hiezu geeigneten Kräfte auf sich zu
nehmen. Die Antiquitätengcschäfte
sind mit Waren aller Art und aller
Grade überfüllt. Große, hochwertige
Privatsammlungen wurden und wer-
den ausgeboten. Die Not der Zeit
hat selbst allzeit für unverkäuflich
gehaltenes fürstliches und klöster-
liches Kunstgut auf den Markt
gedrängt, dieser aber ist mehr als Hau,
nicht nur in Europa, sondern auch in
Amerika, das im verflossenen llalb-
jahrhundert so viel des Allerbesten
aus Europa an sich gezogen hatte.
Die Stillegung der Figdor-Auktionen
und die lange Unanbringlichkeit des
einzigartigen „Wclfcnschatzes" (die-
ser ist jüngst vom Deutschen Staat
eingezogen worden), waren über-
zeugende Beweise nicht für das plötz-
liche Schwinden des Kunstinteresscs,
sondern für das völlige Versicgcn
aller Geldquellen zu seiner Betäti-
gung. Denn naturgemäß ist ja auch
die ölfentliche Hand heute überall
leer und die Museumsleute müssen
zu ihrem Schmerze auf die schönsten
und weit unter dem Wert angebote-
nen Dinge verzichten, die sie drin-
gend benötigen würden; mit einigen
hunderttausend Schilling könnten
sie heute Außerordcntliches leisten,
wissend, daß in absehbarer Zeit die
Preise abermals ins Phantastische
steigen werden.
Unter diesen Umständen herrschen
heute schlechte Zeiten für Kleister-
fälscher, die wir noch vor wenigen
Jahrzehnten zwar nicht an ihrer
geheimnisvollen Arbeit gesehen, aber
diese oft - allzuoft w zu fürchten
und zu - bewundern Gelegenheit
hatten.
Aus der Fülle des mir in langer
Muscumstätigkeit vor Augen gc-
tretenen einschlägigcn hlaterials will
ich nur zwei Hauptstückc hervor-
heben, deren Beschreibung und Ge-
schichte erweist, mit welch raffinier-
ten Fälscherkünsten Sammler und
Museumsleute zu rechnen und zu
kämpfen hatten und mit welchem
Maße von Verantwortung sie belastet
waren und immer wieder sein werden.
Diese zwei l-lauptstücke sind die
bereits erwähnte „Tiara des Saita-
phernes", welche sich (heute an ver-
borgener Stelle) im Louvre in Paris,
und der „Prunkschrank des Prinzen
Engen", der sich im VUiener Kunst-
historischcn Museum befindet. Bei
der Aufdeckung des einen Betruges
war ich, mit der des zweiten bin ich
allein befaßt gewesen.
Die „Tiara" kam im jahre- 1896 nach
Wien und wurde dem damaligen
Unterrichtsminister Gautsch um den
Preis von 100 O00 Gulden (ev. 75 O00)
zum Ankauf für den Staat angeboten;
die Überbringer waren zwei Russen
und ein Wiener Elfenbeinschnitzer,
der sich - wie ich wußte - schon
öfters auch als Kunsthändler betätigt
hatte. Das wundervolle Stück hatten
auch Fürst Johannes Liechtenstein
und Dr. Albert Figdor gesehen, die
den Ankauf aber ablehnten, nicht,
weil sie die „Tiara" für eine Fälschung
hielten, sondern weil dies nicht in den
Rahmen ihres Sammlungskrcises ein-
zufügen und ihnen auch zu teuer
gewesen ist. Sehr begeistert für die
staunenerregende Arbeit hatte sich
Professor der Archäologie Benndorf
ausgesprochen, wie mit Ausnahme
des Vorstandes der Antikensammlung
des Hofmuseums, Prof. v. Schneider,
auch einige andere Wiener Archäo-
logen, während Furtwänglcr (Mün-
chen) sich späterhin unserem Votum
anschloß und mit Benndorf hierüber
in heftigen Streit geriet. Da für die
Erwerbung des Objektes zu jener
Zeit nur das Österreichische Museum
als einziges Staatsinstitut in Betracht
kam, wies Minister Gautsch die
Händler an uns und erklärte sich
geneigt, die erforderlichen Mittel
bereitzustellen, wenn ihm ein zu-
stimmendes Gutachten erstattet wür-
de. Direktor unseres Museums war
damals Hofrat Bruno Bücher, ein
wissensreicher, als Kunstkcnner her-
vorragender Mann, dabei äußerst
vorsichtig und durch Händlertricks
nicht zu verblüifen. In dieser Hinsicht
habe ich viel von ihm gelernt, da ich
mich schon vom Anfang meiner
Museumstätigkeit an sehr lebhaft für
alles Technische im Kunsthandwerk
interessierte und im steten Verkehr
mit Künstlern und Händlern mehr
und mehr meinen Instinkt zur Auf-
deckung von Fälschungen entwickelt
hatte.
Bucher setzte eine Kommission ein,
welcher außer mir und Kustos Ritter,
seinen nächsten Mitarbeitern, die Ku-
stoden Folnesics und Masner, die
Professoren der Kunstgewerbeschule
Linke und Macht, der Goldschmied
und Galvanoplastiker Ilaas und der
hervorragende Sammler und aus-
gezeichnete Kcnner des antiken
Kunstgewerbes Franz Trau ange-
hörten. Unserer großen Verantwor-
tung bewußt, forderten wir trotz des
Drängens der Händler eine ange-
messene Frist zu gründliehster Unter-
suchung der „Tiara" auf Technik und
Darstellung (die wunderbaren Bänder
des Goldhelms zeigten Szenen aus
der lliade) und insbesondere auch
auf den Erhaltungszustand des pracht-
vollen Werkes. Die Russen und der
Wiener Mittelsmann machten keinen
günstigen Eindruck, von letzterem
hatte ich in aller Eile in Erfahrung
gebracht, daß er schon mehrmals in
dunkle Geschäfte verwickelt gewesen
sei. Wir waren daher zu äußerster
Vorsicht gemahnt, doch beeinflußte
diese Einstellung unsere sachliche
Prüfung des Kunstwerkes in keiner
Weise. Die Leute waren natürlich bei
unseren Untersuchungen anwesend
und nahmen die Arbeiten nach jeder
Sitzung mit sich, um sie anderntags
wieder zu bringen.
Auffallend mußte uns die völlige
Unversehrtheit des, wie behauptet
wurde, am Schwarzen Meer im Ge-
biete der ehemals milesischen, später
skythischen Stadt Borysthcnes (Olbia)
in einem Grabe, eben dem des
mythischen Fürsten Saitaphernes, auf-
gefundenen Goldhelms sein, dessen
Form an die altorientalische (per-
sische) königliche Kopfbedeckung
gemahnte. Verdächtig war ferner
(darauf hatte schon Professor Schnei-
der aufmerksam gemacht), daß die
Schrift der Widmung dcs Helms
durch die Stadt Olbia an Saitaphcrnes
mit dem Stilcharakter und schein-
baren Alter der Goldschmiedearbeit
nicht in Übereinstimmung zu bringen
war. Weiter kam bei unseren Er-
wägungen in Betracht, daß die
l-igürliche Ausstattung des Werkes in
allen Einzelheiten nicht naiv, sondern
mit größter literarischer Gescheitheit
ausgeführt war, welche das Gefühl
erweckte, als ob ein gelehrter Archäo-
loge hiebei Einiiuß genommen habe.
Auch war es Bücher, Trau und mir
nicht unbekannt, daß raffinierte gute
„antike" Schmuckstücke, die sich
späterhin als Fälschungen erwiesen,
stets als aus dem Gebiet der Krim
(des taurischcn oder skythischen
Chersoncsos) stammend bezeichnet
und, wie seitens der Händler zu-
gegeben wurde, von Odessa aus in
den Handel gebracht worden waren.
Franz Trau hatte uns einen in Odessa
lebenden hochkultivierten Kaufmann
und Sammler, Herrn Lemme, ge-
nannt, an den wir uns telcgraphisch
mit dem Ersuchen um Auskunft über
die dortigen Kunstwerkstätten wand-
ten; umgehend erhielten wir eine
generelle Mahnung zur größten Vor-
sicht gegenüber allem, was von da
komme, denn seit den achtziger
]ahren würden dort mit großem
technischem Geschicke vor allem
Schmucksachen gefälscht, zu denen
antikes Gold und häulig alte Pasten
sowie irisierendc Glasstücke ver-
Wendet würden. (wird jimgesetzr)
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