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Volltext: Alte und Moderne Kunst VIII (1963 / Heft 70)

ist schon in der geläufigen hethitischen Hieroglyphe für „König" 
voll entwickelt, wo stets auch der Name des Herrschers enthalten war. 
Von dieser ältesten mesopotamischen Darstellung zweier Wfeltsäulen, 
die eine geflügelte Sonne tragen, mag wohl die Tradition von König 
Salomo übernommen worden sein, der im Portikus seines Tempels 
zwei Weltsäulen als Symbole der Weltherrschaft aufgestellt hatte. 
Für die Humanisten in Dürers Umkreis war diese Symbolik in den 
säulenförmigen Beinen des Starken Engels enthalten, die schon im 
maßgeblichen Kommentar des Alexander von Bremen als salomonische 
Weltsäulen gedeutet wurden (siehe oben). Nehmen wir nun das ehemals 
Dürer zugeschriebene und für uns anonyme Holzschnittblatt mit dem 
Bildnis Karls V., Maximilians Enkel und Thronfolger, aus dem Jahr 
seines Regierungsantrittes 1519 zur Hand. Über seinem Kopf sind wieder 
die beiden Säulen angebracht, und ich zweiHe nicht, daß das gleichzeitig 
entstandene Holzschnittporträt Maximilians von Dürers Hand, das 
zwei Säulen einrahmen, ebenfalls symbolisch gemeint ist. Von Karl V. 
ist allgemein bekannt, daß er die beiden welttragenden Säulen, auch 
auf die Herkulessäulen anspielend, zum Symbol seines Weltreiches 
erklärte, „über dem die Sonne nicht unterging". Einer seiner Nach- 
folger, Ferdinand ll., ließ diese zwei Säulen auf die Decke eines Saales 
der Prager Burg malen, als Symbol der angestrebten und teilweise 
schon vorhandenen habsburgischen Weltherrschaft. lm Hause Habsburg 
sind sie zur Tradition geworden - nur ahnte bisher niemand, daß 
Dürer in seiner Apokalypse der Begründer dieser Tradition war. Hans 
Sedlmayr weiß über die Säulensymbolik der Zeit nach der Befreiung 
Wiens von der Tüirkenbelagerung, die um 1690 beginnt und in der 
bildenden Kunst im Zeichen eines kurzlebigen neuen „Reichsstils" 
steht, Interessantes zu berichten. Die beiden Säulen wurden immer 
mit der Vorstellung des „Sonnenherrschers" verbunden, und in der 
Sonnenglorie, die Fischer von Erlach für Kaiser Josef I. in Wien 
errichtete, wo zwei Säulen (Äonrlanlia e! Iiarliluda, Beständigkeit und 
Stärke (Jachin und Boaz), eine strahlende Sonnenscheibe trugen, lebte 
die Überlieferung wieder auf, ohne daß sie sich seit der Zeit der hethi- 
tischen Königshieroglyphe allzusehr verändert hätte. Jedenfalls kehrt 
hier Dürers „Starker Engel" wieder, der tatsächlich eine von den 
zwei Wieltsäulen getragene Sonnenglorie darstellt. Sedlmayr läßt diese 
Beziehung völlig außer acht i und ist es dabei nicht um so interessanter, 
daß er gleichzeitig in einem ganz anderen, allgemein stilkritischen Sinn 
feststellt, der „Reichsstil" Josefs l. knüpfe in mancherlei Hinsicht 
an Dürer anK)? 
Sedlmayr zufolge erreicht die monarchistische Symbolik der Sonne in 
der europäischen Kunst zweimal ihren Höhepunkt; und zwar 1. von 
der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts; 2. in der Mitte 
des 17. Jahrhunderts. Dies schließt allerdings weder die Sonnenglorie 
Josefs l. im Jahre 1690 noch die Sonnengloritikation Maximilians l. 
in Dürers Apokalypse vom Jahre 1498 aus. 
Als Dürer an der Apokalypse arbeitete, brachte er auch ein anderes 
Werk hervor, das die Richtigkeit der oben erwähnten Auslegung des 
Blattes VIII bestätigt. Gleichzeitig mit Dürers „Apocalipsis cum 
tiguris" erschien nämlich in Kobergers Druckerei das „Repertorium 
morale" von Peter Berchorius, ein humanistischer Druck mit apo- 
kalyptischen Anspielungen. Eine frühere Ausgabe dieses Werkes war 
dort bereits im Jahre 1489 erschienen. Wir lesen darin: „Die Sonne 
der Gerechtigkeit wird in Flammen erscheinen, wenn Er am Tage der 
Vergeltung die Menschheit richtet und Er brennend und des Zornes 
voll ist. Denn so, wie die Sonne, wenn sie zur Sommerszeit im Zeichen 
des Löwen steht, Pflanzen und Blumen versengt, wird auch Christus 
im Brande des Gerichts furchtbar und dem Löwen gleich (homo 
ferus et leoninus) erscheinen, um die Sünder von den Gerechten zu 
teilen . . .9)" Erwin Panofsky bringt dies in Zusammenhang mit jenem 
kleinformatigen Kupferstich Dürers, der einen auf einem Löwen 
sitzenden Mann darstellt, mit frei umgehängten Mantel, lodernden 
Augenbrauen und doppelter Strahlenkrone um das Haupt. Der Mann 
hält in seiner Rechten ein Schwert, in seiner Linken eine Waage. Die 
feurigen Augenbrauen, Schwert und Waage weisen als Attribute auf 
Christus, den gerecht strafenden Richter hin, wie er Johannes im Kreise 
der sieben Leuchter auf Blatt 1 der Apokalypse Dürers erscheint. 
Besonders die brennenden Brauen sind ein untrüglicher Hinweis auf 
den „Menschensxxhn . . . dessen Antlitz wie die Sonnen strahlte in 
ihrer vollen Kraft", wie es im Text über ihn heißt. Außer Schwert und 
Waage findet Panofsky noch ein drittes Attribut der Gerechtigkeit vor, 
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die gekreuzten Beine: „diese für einen ruhigen, erhabenen Sinneszustand 
bezeichnende Stellung war in den altdeutschen Rechtsbüchern wirklich 
für die Richter Vorschriftw). 
Zugleich steht der upollinixzbe Typ dieser Darstellung außer Zweifel, 
denn neben Sonnenattributen (Strahlenkranz und lodernde Brauen) 
ist hier auch noch der Löwe, das astrologische Sonnenzeichen des 
Monats Juli, vorhanden. Panofsky weist darauf hin, daß Dürer zur 
Darstellung dieses Löwen nicht nur seine venezianische Studie ven 
wendet hat, sondern daß er auch auf einem der Kapitäle des Dogen- 
palastes in Venedig denselben Typ des Sonnenmannes sehen konnte, 
der ähnlich frontal auf dem Löwen sitzt und über seinem Kopf der aus 
dem Islam überlieferten Tradition gemäß den Sonnenball hält. Hier 
muß allerdings eingewendet werden, daß diese Tradition noch einen 
anderen Ursprung hat. Unter den Allegorien der zwölf Tugenden auf 
den Reliefs der französischen Kathedralen des 13. Jahrhunderts finden 
wir den unmittelbaren Vorläufer des Löwenmannes von Venedig: 
die Gestalt eines Ritters, der in seiner Rechten das Schwert (der vene- 
zianische Löwenmann hielt ursprünglich in seiner rechten Hand ebenfalls 
ein Schwert, das später abgeschlagen wurde) und in seiner Linken einen 
kreisrunden Schild hält, auf dem in hochplastischem Relief ein Löwe 
dargestellt ist. Der Ritter sitzt nicht auf einem Löwen, sondern auf 
einer Bank; es ist iedoch klar, daß der Mann venezianischen Typs 
gleicherweise auf dem Löxyen sitzt wie der französische Ritter auf seiner 
Bank. Der Löwe ist hier aus dem runden Schild verschwunden, den 
der Löwenmann in seiner ausgestreckten Linken über dem Kopf des 
Tieres hält, auf dem er sitzt. Der französische Ritter mit Löwenschild 
ist eine geläufige Allegorie der Tapferkeit, er wird als „Le Courage"
	        
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