sentlichste, in Gotha erhaltene Tafel Cra-
nachs „Sündenfall und Erlösung"14 her-
vorgegangen sein. Dieser erste Versuch der
bildhaften Vergegenwärtigung des neuen
Lehrgehaltes eröffnet eine Richtung, die in
der „Allegorie der Erlösung" 15 von 1555 -
einem Werk des jüngeren Cranach - gipfelt.
Thema bei den Altartafeln ist der Mensch
zwischen Gesetz und Evangeliumlü, der
nackte Mensch, der Mensch schlechthin,
der erkennt, daß er nicht mehr in Gott-
geborgenheit, sondern in selbstverschulde-
ter Isolierung lebt. Das Thema Sündenfall
und Erlösung wurde nicht nur auf Titel-
bilder zu Lutherbibeln17 übertragen, son-
dern bestimmte überhaupt das künstlerische
Programm jeglicher Werke der Refor-
mationskunst, in stärkster Weise aber den
mit der Druckgraphik in so engem Zusam-
menhang stehenden Bucheinband. S0 zeigt
das Mittelbild eines Einbandes (Abb. 1), eine
Platte des Monogrammisten RC, die Dar-
stellung der Kreuzigung. Der ans Kreuz ge-
schlagene Christus dominiert in der Bild-
mitte, unter dem Kreuz sitzt Adam, der
nackte Mensch, der Peccator. Er ist erfüllt
von dem Wissen um die Schuld wider das
Gesetz - Moses steht links hinter ihm und
hält ihm die Gesetzestafeln vor, weist aber
zugleich auf das Rettungsbild der Ehernen
Schlange, das Symbol, das Melanchthon
sich als Zeichen erwählt hatte. Hört er aber
die Stimme des Mahners und Gebieters 7
auf der rechten Bildseite Johannes den
Täufer, so sieht er Gott in seiner eigent-
lichen Gestalt: Christus als den Überwinder
von Tod und Sünde, den Spender von Gnade
und Leben. Eine Verbildlichung jener Pro-
blematik, die Hauptfrage für Luther und
Hauptfrage seiner Lehre war, nämlich der
Antithese von Gesetz und Evangelium. Da-
mit ist aber der eigentliche Zweck eines
reformatorischen Kunstwerkes, Wesen und
Grundlage der neuen Lehre der reformierten
Kirche zum Ausdruck zu bringen, voll
erreicht.
Ikonographisch von besonderem Interesse
aber ist an diesem Bucheinband die Figur
Johannes des Täufers. Auf der Weimarer
Altartafel von 1555, der „Allegorie der
Erlösung", die, wie bereits erwähnt, in un-
mittelbarem Zusammenhang mit den Cruci-
nxus-Platten der Reformationseinbände zu
setzen ist, stehen rechts unter dem Kreuz
drei Figuren: der auf Christus weisende
Täufer, als Mittler zwischen Altem und
Neuem Testament, neben ihm Crnnach und
schließlich Martin Luther mit der Bibel in
der Hand. Die Dreiergruppe der Allegorie
soll besagen, der Mensch - veranschaulicht
durch Lukas Cranach - kann getrost im
Leben stehen, wenn er Johannes, den Vor-
läufer, wie auch die neue Stimme eines
Rufenden in der Wüste, den neuen Weg-
bereiter, Martin Luther, an der Seite hat.
Johannes weist auf Christus, Luther auf die
Bibel, ein Strahl von Christi Blut trifft das
Haupt des Menschen. Auf der Kreuzigungs-
platte hingegen vereint der Mann unter dem
Kreuz, mit der Rechten auf Christus wei-
send, in der Linken die Bibel, in seiner
äußeren Erscheinung wie auch dem Ge-
sichtstypus und der Barttracht nach durch-
aus nach dem Vorbild der mittleren Figur
der Weimarer Tafel, dem Menschen, Lukas
Cranach gearbeitet, die drei Personen und
deren Bedeutung in sich. Schutzmantelartig
schwingt das Lendentuch Christi über sei-
nem Haupte aus.
Innerhalb des großen Heilsprogrammes
sind außer dessen Erfüllung, der Kreuzigung
und Auferstehung, der Beginn (Verkündi-
gung, Geburt oder Anbetung als Bildvor-
wurf) und die Taufe von Interesse, Themen,
die die Gnadentheologie betonen, die der
dienenden Form des Kunstwerkes inner-
halb der Reformation entsprechen, ohne
claß jedoch wesentliche Neuerungen des
ikonographischen Progtammes festzustellen
sind (Abb. 2 und 3). Bei solchen Buchein-
bänden betonen die Unterschriften den Sinn
der Darstellung, den neuen Gedanken der
sichtbaren Gnade, der auf alter Ebene ein
traditionelles Bildmotiv bringt 13. Durch
das Leben Christi führt eine klare Linie
tröstlicher Verheißungen, deren wesentliche
Punkte, Verkündigung, Taufe, Kreuzigung
und Auferstehung wiederholt auf Platten
und Rollen Darstellung finden, vor allem
bei den Rollen aber in ihrer streifcnhaften
Anordnung das Konzept der Reformatoren
geradezu ideal ablesen lassen (Abb. 4).
Heilige als Mittler zu Christus waren der
Reformation fremd, sie waren nur noch Vor-
bilder in der Nachfolge Christi, ohne innere
religiöse Bedeutung und daher aus der
Reformationskunst verbannt, dagegen aber
scheint an deren Stelle die Allegorie getreten
zu sein. Sicher ist mit dem Thema allegori-
scher Personifizierungen ein unerhört enger
Zusammenhang zwischen Reformations-
kunst und Renaissance gegeben, dennoch
aber lassen sich reformatorische Allegorien
durch den Zug des Lehrhaften, den auch sie
tragen, durch die Unterordnung der Figur
unter eine Idee, ein strenges Programm, klar
von den üblichen allegorischen Figuren der
Zeit unterscheiden. Auf einer Platte des
Frobenius Hempel (Abb. 5), der während
des dritten Viertels des 16. Jhdts. in Witten-
berg eine bedeutende Werkstatt unterhielt,
sitzen Fides und Spes einander gegenüber,
zwischen ihnen auf einer Altarplatte der
Kelch mit der Hostie und darüber in Wolken
Gott Vater. Während die Fides in der Bibel
liest, blickt die Spes mit gefalteten Händen
zu Gott empor. In einer antikisierenden
Allegorie wäre die Fidcs lediglich durch das
Attribut des Kreuzes gekennzeichnet, die
Spes würde einen Anker halten. Die refor-
matorischen Fraueniiguren aber sind selbst
aktiv am Glaubensleben beteiligt. Sie lesen
die Bibel und beten, sind verbunden durch
das Sakrament, durch Gnade und Gnaden-
opfer Christi.
Diese lehrhafte Bezogenheit von allegori-
schen, Vorlaufer- und Nachfolgefiguren zu
Christus wird wesentliche Grundlage des
Programmes der Buchbinderrollen der Re-
formationszeit, in vielen Fällen stehen sie
ihrer Aussage nach in antithetischer Be-
zogenhcit zum bestimmenden Mittelbild
des Einbandes. Ein Einbandfragment des
Österr. Museums (Abb. 6) zeigt in seinem
Plattenbild den Sündenfall mit der Unter-
schrift „Per inoboedientiam". Durch Unge-
horsam wurde der Mensch schuldig. Die
Rolle aber reiht die Darstellungen der
Apostel Paulus und Johannes sowie Christi
als Salvator mundi aneinander und zeigt
damit die Möglichkeit des Heiles an. Paulus,
der für den Protestantismus wichtigste
Apostel, und Johannes, der Lieblingsapostel
Luthers, in typisierendcr Denkweise sind
die vita contemplativa: Johannes mit dem
Buch, und die vita activa: Paulus mit dem
Schwert, nebeneinandergestellt - weisen
hin auf den Retter, den Salvator mundi.
Dieser, in der einen Hand den Reichsapfel
haltend, die andere zum Segensgestus er-
hoben, ist aber jener Christus, der sieghaft
Männliches mit der Fülle der Liebe und
Gnade vereint.
Eine andere Rollengruppe erweitert dieses
Programm durch die Mitcinbeziehung Pctri
(Abb. 7). Attribute und Unterschriften kenn-
zeichnen die Figuren. Die letzte Steigerung
aber wird durch das Hinzufügen der Evan-
gelistensymbole (Abb. 8) erreicht, wobei
über das Haupt des Salvators der Adler,
über Petrus der Löwe, über Paulus der Stier
und über Johannes der Engel gesetzt Wird.
Die Evangelistensymbole stehen deutlich
für sich, zumal das Symbol nicht einmal bei
Johannes im Sinne eines Attributs behan-
delt wurde. Im ganzen aber enthält diese
Rolle Idee und Grundlage des reformatori-
schen Programmes in streng geraffter Form.
Die Apostel sind als Ptediger- und Verkün-
dergestalten, als geistige Kämpfer gedacht,
die Evangelistensymbole deuten wohl die
Mahnung an, bei dem klaren, alten und
nüchternen Evangelium zu bleiben. Kon-
ANMERKUNGEN 9 (von S. 22x18
Rcfcrnnatiun. V l. dazu: Preuß HJnS, Die deutsche
Frömmigkeit im picgel der bildenden Kunst. Berlin o. j.
(1926), S. 181 H".
m Vgl. Buchholz, a. a. 0., S. 63 IT.
1' Antithelischcs Denken und anrilhetischc Kompositionen
sind wesentliche Kcnnzcicheu der Renaissance des 15.
Jhdtx, sowohl in Italien wie im Norden. Vor allem in der
niederländischen Malerei dcs 15. Jhdts. sind diese Elemente
zu finden. die eine" bedeutende Grundlage reformatorischen
Denkens darstellen. Dies: Antithesen treten wohl zuerst in
allegorischen Gegenüberstellungen des la. und 14. Didts.
auf, wie Tugend und Laster. Vila aclivn ul-lll conltmplativz.
Ecclsia und Synagoge usw. Diese aber lassen sich gegen da:
univusalistischm Ideen religiös geschlossener Ztilßn. WiC
dzrn Hochmiuclalicr. auf dem gleichen Gebiet absetzen,
24
i:
u
I6
wie etwa die Einteilung der Wclt in: ante legem. Sllb lege
und Suh gralia. Dicscr Universalismus kehrt Späll! in den
religiösen Darstellungen des Barock im 17. und 1a. Jhdt.
wieder.
Vgl. Bibel und Gesangbuch im Zeitalter dcr Reformation,
Ausstellungskzulog Nürnberg 1967, s. 14. s. 29.
Lilicnfcin Heinrich, Lukas Cnmach, Biclwfcld und Leipzig
1942. s. 49 ß. __
Lüdcck: I-kinz, Lukzs Cranach d. A., der Künstler und
sein: Zeit, Berlin 1953. Abb. 71.
Friedliuder Max J. - Rosenberg Jakob. Die Gümäldß von
Lucrls Cmnach. Berlin m2. Abb. 352.
Zhäin Oskar, CMDZCIIHIKTIKC der Reformation, Berlin 0.1..
. . 9.
Sthralnm Anm, Die Illustration der Luzherbibcl, Leipiig
1923. Abb. 542, 547.
Buchholz, a. a. 0.. s. s: H".
BILDTEXTE (Abreibungen) 4-7. 10 p
4 Rolle mit szenischen Darstrllungen aus der Heils-
geschichrc, Einbanddccke des ö. M., Inv.-Nr. K. I. 13953
5 Fidcs und Spts. Plattcnstcm 1. m. F. 11.. Frobenius
Hcmpcl, Wiltcnbcyg 1549- svs. a5 x so mrn
Einbanddccke des o. M.. Inv.-Nr. K. 1. was
Hzcblur. m. 1, s. 112 m
e Sündenfall. Plattenslempcl, 59x24 mm, und Rolle rnil
Paulus, johanncs und Salvalor mundi. 911m. u. undar.
Fragment einer Einhanddccke du o. M., Invz-Nr.
14.143951
1 Roll: lnil Daxstellungcn Pclrus-PauIus-Johanncs-Snlva-
(D!
Einbanddecke des 0. M.. lnv.-Nr. K. x. 13959
10 Roll: mit gulzüg. Darstellungen Paulus, Aufersrnndcncr,
David
Einbanddcckc das 0. M., luv.-Nr. Kv x. 13960