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Volltext: Alte und Moderne Kunst XII (1967 / Heft 95)

sentlichste, in Gotha erhaltene Tafel Cra- 
nachs „Sündenfall und Erlösung"14 her- 
vorgegangen sein. Dieser erste Versuch der 
bildhaften Vergegenwärtigung des neuen 
Lehrgehaltes eröffnet eine Richtung, die in 
der „Allegorie der Erlösung" 15 von 1555 - 
einem Werk des jüngeren Cranach - gipfelt. 
Thema bei den Altartafeln ist der Mensch 
zwischen Gesetz und Evangeliumlü, der 
nackte Mensch, der Mensch schlechthin, 
der erkennt, daß er nicht mehr in Gott- 
geborgenheit, sondern in selbstverschulde- 
ter Isolierung lebt. Das Thema Sündenfall 
und Erlösung wurde nicht nur auf Titel- 
bilder zu Lutherbibeln17 übertragen, son- 
dern bestimmte überhaupt das künstlerische 
Programm jeglicher Werke der Refor- 
mationskunst, in stärkster Weise aber den 
mit der Druckgraphik in so engem Zusam- 
menhang stehenden Bucheinband. S0 zeigt 
das Mittelbild eines Einbandes (Abb. 1), eine 
Platte des Monogrammisten RC, die Dar- 
stellung der Kreuzigung. Der ans Kreuz ge- 
schlagene Christus dominiert in der Bild- 
mitte, unter dem Kreuz sitzt Adam, der 
nackte Mensch, der Peccator. Er ist erfüllt 
von dem Wissen um die Schuld wider das 
Gesetz - Moses steht links hinter ihm und 
hält ihm die Gesetzestafeln vor, weist aber 
zugleich auf das Rettungsbild der Ehernen 
Schlange, das Symbol, das Melanchthon 
sich als Zeichen erwählt hatte. Hört er aber 
die Stimme des Mahners und Gebieters 7 
auf der rechten Bildseite Johannes den 
Täufer, so sieht er Gott in seiner eigent- 
lichen Gestalt: Christus als den Überwinder 
von Tod und Sünde, den Spender von Gnade 
und Leben. Eine Verbildlichung jener Pro- 
blematik, die Hauptfrage für Luther und 
Hauptfrage seiner Lehre war, nämlich der 
Antithese von Gesetz und Evangelium. Da- 
mit ist aber der eigentliche Zweck eines 
reformatorischen Kunstwerkes, Wesen und 
Grundlage der neuen Lehre der reformierten 
Kirche zum Ausdruck zu bringen, voll 
erreicht. 
Ikonographisch von besonderem Interesse 
aber ist an diesem Bucheinband die Figur 
Johannes des Täufers. Auf der Weimarer 
Altartafel von 1555, der „Allegorie der 
Erlösung", die, wie bereits erwähnt, in un- 
mittelbarem Zusammenhang mit den Cruci- 
nxus-Platten der Reformationseinbände zu 
setzen ist, stehen rechts unter dem Kreuz 
drei Figuren: der auf Christus weisende 
Täufer, als Mittler zwischen Altem und 
Neuem Testament, neben ihm Crnnach und 
schließlich Martin Luther mit der Bibel in 
der Hand. Die Dreiergruppe der Allegorie 
soll besagen, der Mensch - veranschaulicht 
durch Lukas Cranach - kann getrost im 
Leben stehen, wenn er Johannes, den Vor- 
läufer, wie auch die neue Stimme eines 
Rufenden in der Wüste, den neuen Weg- 
bereiter, Martin Luther, an der Seite hat. 
Johannes weist auf Christus, Luther auf die 
Bibel, ein Strahl von Christi Blut trifft das 
Haupt des Menschen. Auf der Kreuzigungs- 
platte hingegen vereint der Mann unter dem 
Kreuz, mit der Rechten auf Christus wei- 
send, in der Linken die Bibel, in seiner 
äußeren Erscheinung wie auch dem Ge- 
sichtstypus und der Barttracht nach durch- 
aus nach dem Vorbild der mittleren Figur 
der Weimarer Tafel, dem Menschen, Lukas 
Cranach gearbeitet, die drei Personen und 
deren Bedeutung in sich. Schutzmantelartig 
schwingt das Lendentuch Christi über sei- 
nem Haupte aus. 
Innerhalb des großen Heilsprogrammes 
sind außer dessen Erfüllung, der Kreuzigung 
und Auferstehung, der Beginn (Verkündi- 
gung, Geburt oder Anbetung als Bildvor- 
wurf) und die Taufe von Interesse, Themen, 
die die Gnadentheologie betonen, die der 
dienenden Form des Kunstwerkes inner- 
halb der Reformation entsprechen, ohne 
claß jedoch wesentliche Neuerungen des 
ikonographischen Progtammes festzustellen 
sind (Abb. 2 und 3). Bei solchen Buchein- 
bänden betonen die Unterschriften den Sinn 
der Darstellung, den neuen Gedanken der 
sichtbaren Gnade, der auf alter Ebene ein 
traditionelles Bildmotiv bringt 13. Durch 
das Leben Christi führt eine klare Linie 
tröstlicher Verheißungen, deren wesentliche 
Punkte, Verkündigung, Taufe, Kreuzigung 
und Auferstehung wiederholt auf Platten 
und Rollen Darstellung finden, vor allem 
bei den Rollen aber in ihrer streifcnhaften 
Anordnung das Konzept der Reformatoren 
geradezu ideal ablesen lassen (Abb. 4). 
Heilige als Mittler zu Christus waren der 
Reformation fremd, sie waren nur noch Vor- 
bilder in der Nachfolge Christi, ohne innere 
religiöse Bedeutung und daher aus der 
Reformationskunst verbannt, dagegen aber 
scheint an deren Stelle die Allegorie getreten 
zu sein. Sicher ist mit dem Thema allegori- 
scher Personifizierungen ein unerhört enger 
Zusammenhang zwischen Reformations- 
kunst und Renaissance gegeben, dennoch 
aber lassen sich reformatorische Allegorien 
durch den Zug des Lehrhaften, den auch sie 
tragen, durch die Unterordnung der Figur 
unter eine Idee, ein strenges Programm, klar 
von den üblichen allegorischen Figuren der 
Zeit unterscheiden. Auf einer Platte des 
Frobenius Hempel (Abb. 5), der während 
des dritten Viertels des 16. Jhdts. in Witten- 
berg eine bedeutende Werkstatt unterhielt, 
sitzen Fides und Spes einander gegenüber, 
zwischen ihnen auf einer Altarplatte der 
Kelch mit der Hostie und darüber in Wolken 
Gott Vater. Während die Fides in der Bibel 
liest, blickt die Spes mit gefalteten Händen 
zu Gott empor. In einer antikisierenden 
Allegorie wäre die Fidcs lediglich durch das 
Attribut des Kreuzes gekennzeichnet, die 
Spes würde einen Anker halten. Die refor- 
matorischen Fraueniiguren aber sind selbst 
aktiv am Glaubensleben beteiligt. Sie lesen 
die Bibel und beten, sind verbunden durch 
das Sakrament, durch Gnade und Gnaden- 
opfer Christi. 
Diese lehrhafte Bezogenheit von allegori- 
schen, Vorlaufer- und Nachfolgefiguren zu 
Christus wird wesentliche Grundlage des 
Programmes der Buchbinderrollen der Re- 
formationszeit, in vielen Fällen stehen sie 
ihrer Aussage nach in antithetischer Be- 
zogenhcit zum bestimmenden Mittelbild 
des Einbandes. Ein Einbandfragment des 
Österr. Museums (Abb. 6) zeigt in seinem 
Plattenbild den Sündenfall mit der Unter- 
schrift „Per inoboedientiam". Durch Unge- 
horsam wurde der Mensch schuldig. Die 
Rolle aber reiht die Darstellungen der 
Apostel Paulus und Johannes sowie Christi 
als Salvator mundi aneinander und zeigt 
damit die Möglichkeit des Heiles an. Paulus, 
der für den Protestantismus wichtigste 
Apostel, und Johannes, der Lieblingsapostel 
Luthers, in typisierendcr Denkweise sind 
die vita contemplativa: Johannes mit dem 
Buch, und die vita activa: Paulus mit dem 
Schwert, nebeneinandergestellt - weisen 
hin auf den Retter, den Salvator mundi. 
Dieser, in der einen Hand den Reichsapfel 
haltend, die andere zum Segensgestus er- 
hoben, ist aber jener Christus, der sieghaft 
Männliches mit der Fülle der Liebe und 
Gnade vereint. 
Eine andere Rollengruppe erweitert dieses 
Programm durch die Mitcinbeziehung Pctri 
(Abb. 7). Attribute und Unterschriften kenn- 
zeichnen die Figuren. Die letzte Steigerung 
aber wird durch das Hinzufügen der Evan- 
gelistensymbole (Abb. 8) erreicht, wobei 
über das Haupt des Salvators der Adler, 
über Petrus der Löwe, über Paulus der Stier 
und über Johannes der Engel gesetzt Wird. 
Die Evangelistensymbole stehen deutlich 
für sich, zumal das Symbol nicht einmal bei 
Johannes im Sinne eines Attributs behan- 
delt wurde. Im ganzen aber enthält diese 
Rolle Idee und Grundlage des reformatori- 
schen Programmes in streng geraffter Form. 
Die Apostel sind als Ptediger- und Verkün- 
dergestalten, als geistige Kämpfer gedacht, 
die Evangelistensymbole deuten wohl die 
Mahnung an, bei dem klaren, alten und 
nüchternen Evangelium zu bleiben. Kon- 
ANMERKUNGEN 9 (von S. 22x18 
Rcfcrnnatiun. V l. dazu: Preuß HJnS, Die deutsche 
Frömmigkeit im picgel der bildenden Kunst. Berlin o. j. 
(1926), S. 181 H". 
m Vgl. Buchholz, a. a. 0., S. 63 IT. 
1' Antithelischcs Denken und anrilhetischc Kompositionen 
sind wesentliche Kcnnzcicheu der Renaissance des 15. 
Jhdtx, sowohl in Italien wie im Norden. Vor allem in der 
niederländischen Malerei dcs 15. Jhdts. sind diese Elemente 
zu finden. die eine" bedeutende Grundlage reformatorischen 
Denkens darstellen. Dies: Antithesen treten wohl zuerst in 
allegorischen Gegenüberstellungen des la. und 14. Didts. 
auf, wie Tugend und Laster. Vila aclivn ul-lll conltmplativz. 
Ecclsia und Synagoge usw. Diese aber lassen sich gegen da: 
univusalistischm Ideen religiös geschlossener Ztilßn. WiC 
dzrn Hochmiuclalicr. auf dem gleichen Gebiet absetzen, 
24 
i: 
u 
I6 
wie etwa die Einteilung der Wclt in: ante legem. Sllb lege 
und Suh gralia. Dicscr Universalismus kehrt Späll! in den 
religiösen Darstellungen des Barock im 17. und 1a. Jhdt. 
wieder. 
Vgl. Bibel und Gesangbuch im Zeitalter dcr Reformation, 
Ausstellungskzulog Nürnberg 1967, s. 14. s. 29. 
Lilicnfcin Heinrich, Lukas Cnmach, Biclwfcld und Leipzig 
1942. s. 49 ß. __ 
Lüdcck: I-kinz, Lukzs Cranach d. A., der Künstler und 
sein: Zeit, Berlin 1953. Abb. 71. 
Friedliuder Max J. - Rosenberg Jakob. Die Gümäldß von 
Lucrls Cmnach. Berlin m2. Abb. 352. 
Zhäin Oskar, CMDZCIIHIKTIKC der Reformation, Berlin 0.1.. 
. . 9. 
Sthralnm Anm, Die Illustration der Luzherbibcl, Leipiig 
1923. Abb. 542, 547. 
Buchholz, a. a. 0.. s. s: H". 
BILDTEXTE (Abreibungen) 4-7. 10 p 
4 Rolle mit szenischen Darstrllungen aus der Heils- 
geschichrc, Einbanddccke des ö. M., Inv.-Nr. K. I. 13953 
5 Fidcs und Spts. Plattcnstcm 1. m. F. 11.. Frobenius 
Hcmpcl, Wiltcnbcyg 1549- svs. a5 x so mrn 
Einbanddccke des o. M.. Inv.-Nr. K. 1. was 
Hzcblur. m. 1, s. 112 m 
e Sündenfall. Plattenslempcl, 59x24 mm, und Rolle rnil 
Paulus, johanncs und Salvalor mundi. 911m. u. undar. 
Fragment einer Einhanddccke du o. M., Invz-Nr. 
14.143951 
1 Roll: lnil Daxstellungcn Pclrus-PauIus-Johanncs-Snlva- 
(D! 
Einbanddecke des 0. M.. lnv.-Nr. K. x. 13959 
10 Roll: mit gulzüg. Darstellungen Paulus, Aufersrnndcncr, 
David 
Einbanddcckc das 0. M., luv.-Nr. Kv x. 13960
	        
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