Ruediger Engerth
EIN STEIN, DER WELLEN
HERVORRIEF -
JOHANNES ITTENS
WIENER JAHRE
Der Maler und Kunsterzieher" Johannes ltten, der
Ostern 1967 in Zurich gestorben ist, gehart zu
JEDEN Pcitriarchen der zeitgenössischen Kunst, die
das Bild des gestolterischen Lebens in unserem
Jahrhundert entscheidend geprägt haben. Den
Bedingungen, unter denen dieses zukunftsweisende
Werk entstand, sollen im folgenden einige Ge-
danken gewidmet sein.
„Man Vllffl einen Stein. der Wellen hervorruft,
aber wenn die Wellen verebbt sind. kuntmert sich
nieniand mehr darum", sagte der Erste Dramaturg
des Burgtheoters, Hermann Bohr, vor etwa funtzig
Jahren zu einem nach nicht dreißigiahrigen
Schweizer Maler, der sich bemühte, einer kleinen
Gruppe von Schulern eine neue Art zu sehen und
eine fur die genußtrohen Wiener mit der Aura des
Ldcherlichen umgebene neue Farm der Lebens-
gesnltiing beizubringen. Der tunge Mann, der
sich ber die mangelnde Resonanz in den Kretsen,
die sich fur tonangebend hielten, gegenüber dem
Dichter der .,Rotte Korohs", der sein Leben lang
nur allzuviel nicht immer erwünschte Resonanz
gefunden hatte, beklagte, hteß Johannes ltten, war
ein Lehrerssohit aus dem Berner Oberland und
ein Schüler des in Stuttgart lehrenden Oster-
reichers Adolf l-loelzel, in dessen Werkstatt er mit
tda Kerkovius, Oskar Schlemmer und Willy
Baumeister zusammengetroffen war. In diesem
Kreis war er Agothe Kornfeld begegnet, und diese
hatte ihn überredet. nach Wien zu kommen, wo
si zufolge des kriegsbedingten Lehrerntaiigels
- gute Aussichten für eine Kunstschule zu bieten
schienen
Offenbar hatte Frau Kornfeld in ihrein Eifer, den
geschützten jungen Pädagogen nach Wien zu
holen, die Möglichkeiten und Aussichten doch
etwas übertrieben. Es gab M als Johannes ltten
im t lerbst 1916, also gleichsam in den letzten Tagen
der franziskaeiosephinischeri Epoche, nach Wien
ubersiedelte dort zwar nur wenige Lehrer, es
gab aber auch kaum Schüler Die angehenden
iungen Malerwaren an derFronLSo bildeten einige
von Agathe Kornfeld animierte Damen die Ure
gemeinde der ltten-Schüler. Ein Übergewicht des
weiblichen Elements blieb auch weiterhin ein
Charak iristikurn der Wiener ltten-Schule, "Die
meisten Schuler waren lrrouen, erinnert sich
Otto Kallir (damals noch Otto Nirenstein), der
zu Kriegsende in die Schule eintrat.
Als ltten sich zur Reise nach Wien entschloß, hatten
schon die verschiedensten Einflüsse auf ihn ein-
gewirkt. Will] Rotzler stellt lest, dciß er sich
zwischen 1914 und 1916 zunächst zum Kubismus
hingezogen fühlte („Lesender" 19H und „Sache
sünger" 1915516 sind wichtige Zeugen dieser
Beziehung) und ab 1916 begann. „sich etwa gleich-
zeittg mit Delaunoy in abstrakten Kompositionen
auszudrucken, in denen die Simultankontraste und
die Tarbklange eine Bedeutung erlangen, die
ÜCUCINQEH der vielschichtigen formalen Kone
struktion gleichkommt" (W. Rotzler im Katalog
der Biennale, Venedig 1966).
ltten selbst empfand seine Arbeit in jenen Jahren
als ein Element der Entwicklung in der gesamt-
europäischen Malerei. „An vielen Orten Europas
haben zwischen 1912 und 1917 Kiinstlcr unabe
hängig voneinander gearbeitet. deren Werke
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