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Volltext: Alte und Moderne Kunst XV (1970 / Heft 110)

J. V. G. ÄIallet 
EINE WIENER PORZEL- 
LANKANNE DES ROKOKO 
NACH DEM VORBILD 
EINES ROMANISCHEN 
AQUAMANILEX 
Ein vogelähnliches Porzellangefäß, das kürz- 
lich vom Victoria 8a Albert Museum erworben 
Wurdel, ist wohl eines der seltsamsten und 
zugleich unpraktischesten Objekte, das je ent- 
worfen und ausgeführt wurde (Abb. 1, 5 und 6). 
Vermutlich war es als Schokolade- oder Kaffee- 
kanne gedacht, der Deckelkopf stürzt aber 
schon bei einer Neigung um 40 Grad nach vorne. 
Erstaunlicherweise sind jedoch von diesem 
schlecht konstruierten Deckelkopf in zwei- 
hundert Jahren nur ein oder zwei Stückchen 
abgebrochen. Daß dieses Gefaß überhaupt 
erhalten geblieben ist, verdankt es wohl einem 
Produktionsfehler, denn der Rumpf weist 
einen starken Brandriß auf und muß von 
Anfang an leck gewesen sein; ein solches 
Stück konnte daher sicher nie verwendet 
werden. Wenn wir die Kanne jedoch mehr als 
Skulptur und weniger als Gebrauchsgegen- 
stand betrachten, dann ist dieser stilisierte Adler 
oder Greif in seiner klaren Form mit dem 
räuberischen Schnabel sehr eindrucksvoll. 
Das historische Milieu, aus dem das Stück 
stammt, kann genau bestimmt werden: die 
Kanne wurde in Wien zwischen 1744 und 
1749 hergestellt, wie die beiden unter den 
14 
Fiißen eingepreßten Bindenschilde beweisenl. 
Die Frage nach dem Ursprung und dem Vor- 
bild seiner merkwürdigen Form ist rasch 
beantwortet: sie geht mit geringfügigen Än- 
derungen auf ein prachtvolles mosanes Aqua- 
manile der Romanik zurück, das sich heute 
noch in Wien befindet (Abb. 2). 
Das originale Aquamanile aus vergoldeter 
Bronze ist mit Silber- und Niello-Ornamenten 
reich verziert. Die heutige Forschung be- 
zeichnet es als lothringische Arbeit aus der 
Mitte oder zweiten Hälfte des 12. Jahrhun- 
derts3 und sieht es zusammen mit einem 
vergleichbaren Drachenaquamanile im Vic- 
toria 8c Albert Museum4 als die schönste 
erhaltene Arbeit dieser Art an. Im Jahre 1872 
gelangte das Stück aus dem Kaiserlichen Münz- 
und Antikenkabinett in das Kunsthistorische 
Museum in Wien. Es scheint weder im In- 
ventar des Münz- und Antikenkabinetts von 
1821 noch im Buch der Neuerwerbungen dieser 
Sammlung von 1821-1852 auf. Eduard 
Freiherr von Sacken5 erwähnt es erstmals im 
Jahre 1852 im Zusammenhang mit der Samm- 
lung. Es ist möglich, daß es sich vor 1852 
in den Kaiserlichen Sammlungen befand. Die 
Existenz einer Porzellankopie aus der ka 
liehen Manufaktur deutet jedenfalls s 
darauf hin. 
Kurz vor der Herstellung der Porzcllank 
hatte der kaiserliche Staat die Wiener 
zellanmanufaktur von Claudius Innocentiu 
Paquier übernommen, jenem privaten U1 
nehmer, der 1718 ein Patent für die Porze 
erzeugung ervaorben und die Geschicke 
Fabrik bis zur Übernahme im Jahre 
geleitet hatte. In den ersten Jahren der M 
faktur du Paquiers wurden einige bemerk 
werte Groteskrnodelle für Teekannen 
Drachenhenkeln, schlangenförmigen Aus 
sen usw. erzeugt. Später produzierte du Pan 
auch merkwürdige Stücke wie Terrinei 
Schildkrötenform, mit einem reitenden 
nesen als Deckelknaufß. Im Gegensatz 
Meißen wurden jedoch in Wien nie wirk 
Anstrengungen unternommen, um die pl 
schcn hiöglichkeiten des Materials a1 
nützen, bis 1744 der Staat die Leitung i 
nahm7. Von diesem Zeitpunkt an wurdr 
Modellierkunst ideenreichcr, und als dan 
Jahre 1747 ein ehemaliger Lehrer der Akad 
der bildenden Künste, Johann Joseph Nit
	        
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