ohann Muschik
DERSPASSMACHERVERBAND
ION LAUSANNE-
[UM DRITTEN INTER-
IATIONALEN SALON DER
SALERIE-PILOTES
Was die Biennale von Venedig für Italien ist, das
sind die Galeries-pilotes in Lausanne für die
Schweiz: eine große internationale Revue, eine
Messe, eine Novitäten-, eine Kunst- (oder Anti-
kunsU-Modeschau, wenn man will. Treten in
Venedig die Länder miteinander in Konkurrenz, so
sind es in Lausanne die Galerien. In Paranthese:
vielleicht konkurrenzieren die Galerien in Lausanne
einander gar nicht. Sie ziehen letztlich an dem
gleichen Strang und haben sich ja auch gemeinsam
in den Rang der führenden, der bestimmenden, der
,.Lotsen-Galerien" erhoben. Demgemäß wäre das,
was sie zeigen, am Ende doch besser als die Mani-
festation eines Zusammenwirkens zu betrachten -
eines Verbandes, der sich vernahm, an der Insti-
tutionalisierung jenes Betriebes von Spaßmachern
und Spielzeugmachern mitzuwirken, zu dem diese
Galerien gehören und der heute ganz allgemein
mehr und mehr an Stelle der künstlerischen Pro-
duktion, der Künstler und des Kunstmachens tritt,
Rene Berger, Direktor des Kunstmuseums von
Lausanne, ist der Leiter des Salons, ein inter-
national renommierter Mann, was sich unter
anderem auch darin ausdrückt, daß er neben Giulio
Carlo Argan, Gillo Dorfles und Dietrich Mahlow
zu dem vierköpfigen Konsulentenkomitee der
diesjährigen Biennale von Venedig gehört. Die
„Galeries-pilotes" treten in unregelmäßigen Zeit-
abständen, alle paar Jahre zusammen, und es
sind nicht immer genau die gleichen Galerien,
welche unter diesem Ehrentitel auftreten. Einmal
war sogar auch die Wiener Galerie nächst Sankt
Stephan hier repräsentiert. Beim dritten, diesjährigen
Salon der GaIeries-pilotes ist hier keine öster-
reichische Galerie mehr, sondern bloß ein einziger
österreichischer Künstler (im Rahmen einer deut-
schen Galerie) zu finden. Die Galerie Schmela,
Düsseldorf, nämlich zeigt eine Zeichnung Walter
Pichlers. eine Art Raumfahreranzug darstellend.
Was sie sonst zeigt, sind Bilder eines nicht üblen
monochromen Malers namens Gotthard Graubner
oder zum Beispiel auch die neueste Offenbarung
von Josef Beuys: „Brunhilde in der Küche", ein
etwas deformiertes Wesen. mit zwei, drei Pinsel-
wischen auf einen Grund von drei, vier weißen
Kuchenkacheln gemalt.
Die Galeries-pilotes wurden von Flene Berger
einst als „diejenigen Galerien bezeichnet, die in
der Entdeckung ihre vornehmlichste Aufgabe se-
hen". Und so haben sie Pop-Art und kinetische
Kunst im Programm, „Environmental-Art", „Poor-
Art", „Op-Art", „Mlnimal-Art", „Conceptual-Art"
und „Neue Figuration". In bezug auf die letztere
allerdings verhält das Lausanner Unternehmen sich
eher zurückhaltend. Wären die Galerien Juana
Mordo (Madrid), Moderna (Liubljana), Sonn-
abend (Paris), Durant (Paris) und Studio Marconi
(Milano) nicht, die das eine oder andere allenfalls
Hierhergehörige zeigen a es ließe sich in dieser
umfänglichen Schau kaum die Spur von figura-
tiver Kunst erblicken.
Was als qualitativ im Gedächtnis bleibt, ist der
„Proust-Monolog" des Jugoslawen Mesko Kiar.
Er setzt eine Linie ins Moderne fort, die bei Rem-
brandt und Goya begann. Janez Bernik läßt einen
roten „Thron" auf schwarzem Grund zusammen-
brechen. Gabrijel Stupicas hellfarbiges ,.Kind mit
Bouquet", zwischen Kinderzeichnung und Pi-
cassos Kunst, hat feine malerische Nuancen. Der
Spanier Pablo Serrano stellt ein prachtvolles
realistisches Porträt in Bronze bei. Seines Lands-
manns Rafael Canogar nachtschwarze und bleiche
Komposition „EI Saludo" aus Händen und Köpfen,
verwendet reliefartige Elemente im Bild. Der in
Paris lebende Amerikaner Hugh Weiss stellt auf
bissig-surrealistische Weise allerlei Aggressoren
.,Unter dem Tisch" aus. Bei dem Italiener Enrico
Baj erscheint ein „Punching-GeneraI" mit Orden.
Damit ist die Liste figurativer Kunst in Lausanne,
wenn man nicht auch noch das eine oder andere
Werk der Pop-Kunst miteinbeziehen möchte,
nahezu schon erschöpft.
Dieser Salon der GaIeries-pilotes gehört den
Spielzeugmachern und Spaßmachern der ver-
schiedensten Art. So hat Rene Bertholo „WoIken"
aus Aluminiumblech ausgeschnitten, die sich be-
wegen, wenn man auf den Knopf eines Elektro-
motors drückt. Das gleiche macht ein Schifflein
aus Blech in einer anderen Piece des Künstl
Carl Friedrich Reuterswärd bei Durant depor
zerknülltes Zeitungspapier in einer Glasvitrine
einem schwarzen Postament. Er ist der König
Spaßmacher in diesem illustren Verband
16 führenden Galerien und vielleicht nur noch du
die rosa Filzreste zu konkurrenzieren, die Ro
Morris für die Galerie Sonnabend in einer E
liegen ließ, so als hätten die Arbeiter das Häufc
bei Vollendung des Aufbaues der Ausstellung 4
vergessen.
Spielzeug höherer Art bedeutet die „Cybern
Sculptur" von Wen-Ying-Tsai, welche die How:
Wise-Gallery, New York, nach Lausanne gebrz
hat, ein Gebilde gleichsam aus stählernen Halr
mit farbigen Glasköpfen, die sich, wenn der
trachter in die Hände klatscht oder singt c
pfeift oder auch mit den Füßen aufstampft,
einem dunklen Raum auf die graziöseste W
bewegen; ein wenig Scheinwerferlicht spielt
Zu den Späßen des Salons gehört ein in dl
Scheiben geschnittener Baumstamm, den l
Galerie aus dem Holzfällerland Kanada (um na
nale Eigenart zu bekunden) quer in einen Teil
Saals legte. Der Belgier Marcel Broodth:
schrieb das Poem „Un coup de des" von Steph
Mallarme mit Schneiderkreide auf drei blaue Blu
die an der Wand hängen. Eine vierte, auf die Flll
geschrieben wurde (damit man den Unterscl
sieht), hängt daneben.
Hat Marcel Duchamp einst Leonardos „M
Lisa" dadurch verhöhnt, daß er ihr einen Schn
bart und einen Ziegenbart aufmalte (allerdings
auf einer Reproduktion), so will der biedere Bel
Originalarbeiterblusen offenbar durch die 1
schrift von Mallarme-Gedichten veredeln. Wie 1
"verfremdet" (nicht wahr?), wie von plötzlich g
anderer Wesensart ein aufgespannter Regenscl
doch sein kann, wenn man ihn, mit der Spitze r
unten, in einen mit Wasser halbgefüllten Blr
bottich stellt! Das tat der Pole Tadeusz Ka
in dem Raum der Galerie Foksal, Warschau, we
zu den radikalsten der GaIerie-pilotes gel
Der Nonsens geht über die ganze Welt.
Mark Brusse, von der Galerie Mathias Fels in P
erobert oder besetzt den Raum („Occupation
l'espace"), indem er ihn in einen dicken H
rahmen mit Glas davor oder auch in eine l
sperrt. Ich fürchte, selbst dieses Werk der K
oder Antikunst (was nachgerade gleichfalls e
Ehrentitel bedeutet) wird seinen Käufer finde:
wie die „Mauser-Zeit" des Tetsumi Kudo,
Wägelchen, genannt „Sarg", von J. P. Rayn
die „9 (Zuckerhut-Hdeen" von Erik Dietmann