I Aktuelles Kunstgeschehen, Wien
Secession
„kon 73"
Eine graßangelegte Bestandsaufnahme der zuletzt
„innerbetrieblich" stark ramponierten Vereinigung.
Johann Fruhmann, der Organisator der Schau,
verfolgte kein bestimmtes thematisches Konzept
oder stilgerichtetes, aktualitätsbezogenes Aus-
leseverfahren, sondern riskierte die breite Gegen-
überstellung von Secessionisten (eden Alters.
So kamen in dieser Ausstellung auch zahlreiche
Künstler zum Zug, die zuletzt kaum in Ausstellungen
zu sehen waren. Pro Mann ein Werk, hieß die
Devise. Bei rund 90 Eingeladenen ergab dies natur-
gemäß Divergenzen und den befürchteten Charakter
eines „Sammelsuriums". Auf der anderen Seite war
iedoch der Wunsch der Secession zu berücksichtigen,
die ausdrücklich eine derartige demokratische Schau
beabsichtigte, weil man sich davon intern eine
gewisse Beruhigung und Konsolidierung erwartete.
Daß die „Gegensecessionisten" und einige Mit-
glieder mehr nicht daran teilnahmen, lag auf der
Hand. Die Kritik reagierte im allgemeinen negativ
auf die Exposition, obwohl das Ergebnis im Hin-
blick auf die vorgegebene Struktur der Schau nicht
schlecht war. Nadw außen hin - als Beginn einer
neuen Funktionsperiode unter dem mit großer
Mehrheit gewählten Präsidenten Paul Meissner -
hatte man freilich eine wesentlichere, gezieltere
und möglicherweise sogar international ausgerichtete
Ausstellung erwartet (10. 5.-3. 6. 1973) - (Abb. 1, 2,3).
Galerie Schatfenring
Paul Flora
Eine retrospektive Auswahl mit Zeichnungen aus
fünfundzwanzig Jahren. Das Kontingent wurde in
größerem Umfang bereits vorher in Graz, Linz
und Innsbruck gezeigt und für Wien auf 66 Arbeiten
reduziert. In abermals stark erweitertem Umfang
geht die Flora-Retrospektive an das FoIkwang-
Museum in Essen sowie auf eine vom deutschen
Goethe-Institut veranstaltete Ausstellungstournee
durdi sechs italienische Städte.
Die für Wien getroffene Auswahl richtete sid1 nicht
zuletzt gegen das vielfach zu einseitige Fixieren des
Künstlers. Nur zu oft sieht die Öffentlichkeit
nämlich in Flora nur den weltbekannten Karikaturi-
sten und Buchillustrator. Wer dabei übersehen wird,
ist der feinsinnige Poet, der ungemein sensible
und wandlungsfähige Zeichner, als der Flora seit
nunmehr fünfundzwanzig Jahren in der Stille seines
künstlerischen Refugiums in Innsbruck unterwegs ist.
Der Nur-Zeichner und Nur-Graphiker hat sich in
dieser schwierigen orthodoxen Disziplin einen
Kosmos erschlossen, der in seiner unverkennbaren
Feinsinnigkeit all das umschließt, was Flora be-
merkenswert genug erscheint, künstlerisch reflektiert
zu werden. Flora benötigt nicht den großen An-
laß, das laute Getöse, das trächtie Motiv, um in
Schuß zu kommen. Der doppelbödige Charme und
Esprit seiner Feder verleiht auch ienen Dingen und
Gegenständen Atem und Charakter, die zunächst -
so wie etwa ein Hammer oder eine Schere -
nicht anders als platt wirken. Die leise Ironie, der
er sich dabei bedient, zielt ins Schwarze. Sie erzielt
ihre Wirksamkeit durch das künstlerische Wie,
durch die Art der graphischen Umsetzung, durch
Verve und Spannungsreichtum, zeichnerisdie
Dichte und atmosphärische Lockerheit, wie sie der
ieweilige Ausgangspunkt erfordert. Flora liebt die
historische Reminiszenz, die lokalpatriotische
Stilisierung, den Witz in der unscheinbaren Ecke.
Er beweist damit- in einer als Konstante des Gesamt-
werkes fungierenden unverkennbaren Handschrift -
sein gleichermaßen intaktes Verhältnis zur Ver-
gangenheit und Gegenwart (5. 6.-7. 7.1973) - (Abb. 4).
Künstlerhaus
Gotthard Muhr l „Der Kreis"
Hans Hoffmann-Ybbs
Seine Qualitäten als eigenständiger Radierer unter-
strich der Oberösterreicher Gotthard Muhr mit einer
Präsentation seines druckgraphischen Werkes von
1970 bis 1973. Muhrs Thematik ist ernst. Sie spiegelt
-( in einer gewissen Verwandtschaft zu Goya -
menschliche Konfliktsituationen, Gewalt, Kreatür-
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liches, Bedrohnisse und ähnliches. Dabei praktiziert
der Künstler die Aufhebung und Verschmelzung der
Unterschiede von Mensch und Tier, bezieht daraus
seine Symbolik, seine Ironie und seine gleichsam in
Ruhestellung befindlichen, lastenden Aggressionen
(14. 3.-8. 4. 1973).
Als Ruhepol zwischen den künstlerischen Extremen
und Experimenten von heute fungierte einmal mehr
die obligate Jahresschau des „Kreises". Sie hielt
auch heuer mittleres Qualitätsniveau, ließ iedoch
auf weiten Strecken auffallende Eigenständigkeit
und künstlerische Intensität vermissen. Erfreulich
war, daß man heuer wieder einige Gäste einlud:
die Künstler des Kärntner Symposions Krastal, unter
denen mit Abstand die herb berührende, aus rhyth-
misch hintereinandergereihten Steinscheiben
zusammengestellte Skulptur von P. J. Perz neben
einigen Graphiken von Meina Schellander und
Günther Kraus herausragte, und die beiden Plastiker
Gottfried Hoellwarth und Hermann Klinger. Unter
den Mitgliedern fielen auf: Malli, Fisdnlhammer,
Ernst Paar, Peter Palffy, Arnulf Neuwirth und Franz
Zadrazil, der in fotoähnlicher Manier Altwiener
Häuser- und Geschäftsfassaden realistisch wieder-
gibt.
Neben einer mittelgroßen Gedächtnisschau für den
im Voriahr verstorbenen Maler Erich Ernst Müller
kam der Kollektive des Oberösterreichers Hans
Hoffmann-Ybbs im Zentralraum das Hauptaugen-
merk zu. Sie umfaßte 33 Exponate. Die oft zitierte
Verbindung von Kunst und Leben vollzieht sich bei
Hoffmann-Ybbs als Selbstversfändlid1keit, einge-
bettet in einen von Stimmungen sehr wesentlich
abhängigen Arbeitsprozeß und Lebens-
rhythmus. Der Umraum des romantischen Wasser-
schlosses Parz, in dem der Maler und Graphiker
den größten Teil des Jahres zubringt, steuert in
diesem Prozeß des Aufnehmens und Verarbeitens
bestimmende Aspekte bei. Mit seinem vielseitigen
Werk (Ölmalerei, Kohlezeichnungen, Radierungen
und Lithos) legt Hoffmann-Ybbs ein klares Bekennt-
nis zu einer von Moden und Trends unabhängigen
Subiektivität ab. Er Iäßt vor allem in seinem neuen
Zyklus der „Bilder aus Arkadien" seinen Emotionen
innerhalb eines durch Intellekt und persönliche
künstlerisch-handwerkliche Tradition abgesteckten
Entwicklungsspielraumes freienvLauf. Hier verdichtet
sich die charakteristische, in das größere Ge-
schehen sich verändernder Natur eingewobene
Welt der Hoffmannschen Insekten zu mehrschichtigen
Gleichnissen eines rätselhaften Aufbruchs. Manches
Iäßt sich hier durchaus den Schrecknissen und ge-
heimnisvollen Visionen eines Kubin vergleichen,
obwohl Hoffmann-Ybbs sich gräßerer Dynamik,
eines deutlichen Mehr an Abstraktion und nahezu
psychomoforischer Verfremdung bedient
(lt-B. 4. 1973) - (Abb. 5, 6, 7, B).
Galerie auf der Stubenbastei
Mario Decleva
Dreißig größtenteils 1972173 entstandene Ulbilder,
Kreidezeichnungen und Skizzen. Ihr thematisches
Spannungsfeld sind Landschaft und Figur, die
Decleva in einer malerisch und graphisdt reich
nuancierten Skala festhält. Er abstrahiert dabei
eher weniger als früher, schenkt dem formalen
Prozeß aber nichtsdestoweniger die entsprechende
Aufmerksamkeit. Der 1930 in Lussingrande geborene,
in Graz aufgewachsene Künstler besitzt eine
besonders starke Beziehung zur Landschaft des
adriatischen Raumes. Er vermittelt sie uns in einer
Vielzahl ansprechender Stimmungswerte und
markanter Wesenheiten (3. bis 28. 4. 1973).
Galerie Würthle
Johannes Wanke
Eine große, umfassende Ausstellung des Wiener
Künstlers, der zu den führenden Holzschneidern
Europas zählt. Die Schau konfrontierte durchweg
mit neueren zyklischen Arbeiten: Wachau, Wien,
Raabtal, Schönbrunn. Wanke ist ein Meister in der
spannungsreidien und herben Wiedergabe
spezifischer Landschaften und Natureindrücke. Die
Reduktion auf das reine Schwarzweiß unterstreicht
dabei die stark abstrahierten, den Besonderheiten
der Holzschnitt-Technik adäquat Rechnung
tragenden Darstellungen (15. 3.-7. 4. 1973).
Dom-Galerie
Theodor Brün, Fritz Griebel, Josef Wedewer
Eine Ausstellung innerhalb der Reihe „Realisten
der zwanziger Jahre". Theodor Brün wurde 1885
in Hamm in Westfalen geboren und stellte
zusammen mit Christian Rohlfs 1934l35 in der
Kestner-Gesellschaft, Hannover, aus. Er lebt heute
in Hagen. Seine Pariser Cafe-Szenen besitzen viel
vom Flair und der Lockerheit einer vom Impressio-
nismus nicht unbeeinflußten Zeirhenweise. Mit dem
kraftvollen deutschen Expressionismus wenig gemein
haben die Landschaftszeichnungen von Fritz
Griebel (geb. 1899 in Unfinden, Unterfranken, von
1948 bis 1957 Direktor der Nürnberger Akademie).
Sie schließen an Cezanne an und imponieren in
ihren besten Beispielen durch einen klaren, logischen
Aufbau, der trotz des selbstauferlegten Zwangs über
genügend Freiheit verfügt. Josef Wedewer, gleich-
falls aus Westfalen stammend, war vorwiegend
mit locker gezeidineten Akten vertreten (Abb. 9).
Galerie Wittmann
Vilmo Gibello
Der 1916 in Occieppo geborene Italiener studierte
knapp vor Ende des zweiten Weltkrieges an der
Wiener Akademie der bildenden Künste, wo er
auch Freundschaft mit Wander Bertoni schloß. Er
lebt seit längerem in London, was seine Wiener
Freunde nicht hinderte, ihn durch eine Kollektiv-
schau neuer Malereien nach diesen langen Jahren
der Abwesenheit von Österreich nunmehr hier vor-
zustellen. Gibellos „spezifische Figurenkomposi-
tionen" zeichnen sich - so Maria Buchsbaum im
Katalogvorwort - „durch die immer wieder
abgewandelte klassische Raumbühne und majestä-
tische Rot-Blau-Akkorde aus", wobei Gibello trotz
gewisser Querverbindungen zu Rouault, Chirico,
Carra, Moore und Bacon eine durchaus persönliche
bildnerische Synthese erreicht (3.-24.5.1973).
Galerie Contact
Arnulf Komposch
Eine neue, gelegentlich an das Formenrepertoire
des Jugendstils erinnernde Kollektion von raffiniert
geschliffenen Spiegeln des iungen Kärntners. Die in
der Mahlerstraße 7, dem früheren Ausstellungslokal
des OCC, gelegene neue Galerie begann mit einer
Gruppenschau diverser Österreicher und setzte ihr
Programm vor dem Sommer mit einer Personale
von Peter Sengl fort (23. 5.-6. 6. 1973) - (Abb. 10).
Amerika-Haus
Fotos der „Gruppe f-64"
Eine Auswahl von Lichtbildern der Henry Swift
Collection des San Francisco Museums of Art. Die
Bezeichnung f-64 charakterisiert eine besondere
Kameratechnik, die bei allen Fotos dieser Sammlung
Anwendung fand. Sie bezieht sich auf die kleinste
Blende einer Großbildkamera, die naturgemäß ein
Optimum an Tiefenschärfe ergibt. Die frühesten
Aufnahmen der Gruppe stammen aus den dreißiger
Jahren. Viele von ihnen lassen einen Vergleich
zur Neuen Sachlichkeit realistischer Malerei der USA
zu. Eine bemerkenswerte und verdienstvolle
Exposition, in der u. a. Dorothea Lange, Alma
Lavenson, Preston Holder, Ansel Adams, Henry
Swift und Willard von Dykä vertreten waren
(24. 5-12. 6. 1973) - (Abb. 11).
Galerie Bartenstein
Josef Buttinger
Eine größere Auswahl von Arbeiten der letzten
fünfzehn Jahre. Am überzeugendsten: einige ältere
Monotypien und Ulbilder, die in ihren landschaft-
lichen Assoziationsmöglichkeiten Buttingers
handschriftliche Spontaneität unterstreichen. Den
neuen farbigen Filzstiftzeichnungen - Alltags-
szenen von heute - fehlt es hingegen noch an
durchschlagendem Profil. Die in Parlarnentsnähe,
Bartensteingasse 6, gelegene neue Galerie startete
mit einer Retrospektive des vor wenigen Jahren
iung verstorbenen Wiener Malers und Pop-Künstlers
Robert Klemmer (Juni, Juli 1973) - (Abb. 12).
Peter Baum