I Aktuelles Kunstgeschehen l Wien
Museum des 20. Jahrhunderts
Cornelius KoliglEmil Mayer
Innerhalb des österreichischen Ausstellungsbetriebes
war eine umfassende, informative Exposition von
Werken des 1942 geborenen Kärntner Obiekt-
kiinstlers schon seit längerem fällig. Der Überblick,
den die locker postierte Ausstellung im Museum
des 20. Jahrhunderts bieten konnte, ergab ein
repräsentatives, die Denk- und Handlungsweise des
Künstlers deutlich aufschlüsselndes Gesamtbild,
obwohl einige qualitativ hervorragende Beispiele
aus Privatbesitz fehlten. Kolig, der zwischen 1962
und 1964 mit „Röntgengrafiken und Röntgen-
plastiken" sein künstlerisches Debüt feierte,
demonstrierte innerhalb dieser Schau - didaktisch
durchdacht - sämtliche wesentlichen Entwicklungs-
phasen. Sein experimentelles Vorgehen unterstreicht
dabei gleichermaßen Flexibilität und spontane
Reaktion im künstlerisch-formalen Prozeß wie im
Handhaben neuer Materialien und Techniken. Die
im Zentrum postierten Plexiglasobiekte bilden auf
Grund ihrer formalen Prägnanz und neuen Ästhetik
auch innerhalb des bisherigen Gesamtwerkes einen
echten Schwerpunkt. Elektromatorisch betriebene
Wasserplastiken bringen ergänzend dazu das
kinetische Element in die - trotz deutlicher
bildnerischer Bestimmung - weitläufigen, offenen
Beziehungen seiner neueren Arbeiten.
Von der Edition Tusch wurde aus Anlaß dieser und
der vorherigen Kolig-Ausstellung im Museum
Bochum ein attraktiv gestaltetes Buch heraus-
gebracht, das neben Texten von Otto Mauer, Alfred
Schmeller, Karlheinz Roschitz, Gerhard Mayer,
Peter Spielmann, Kristian Sotriffer, Wilfried Skreiner,
Peter Baum und dem Künstler 40 Farbtafeln enthält.
Franz Hubmann, einer der besten österreidwisdien
Fotografen nach 1945 und in dieser Eigenschaft
auch einer der führenden Mitarbeiter des inzwisdwen
bereits legendären „Magnum", entdeckte in
Dr. Emil Mayer einen Lichtbildner, der in dokumen-
tarischer Lebendigkeit zwischen 1908 und 1911 eine
größere Serie von „Line-Fotos" aus dem Wien
iener Jahre schoß, die mit denkbar großer
Signifikanz Atmosphäre und soziologische Struktur
der facettenreichen k. und k. Metropole festhielten.
Dr. Emil Mayer, in seinem Brotberuf Advokat in
Wien, wurde am 3. Oktober 1871 in Neu BYlSChOW
in Böhmen geboren. Er war Jahre hindurch Präsident
des Wiener Amateur-Photographen-Clubs, der ihm
1919 eine Bronzeporträtplakette widmete. Es ist
dies auch die einzige bildliche Darstellung
Dr. Mayers, die bisher gefunden werden konnte.
Mayer schied zusammen mit seiner Frau 1938
freiwillig aus dem Leben. Die wichtigste (und vet-
mutlich auch einzige) historische Publikation mit
Fotos van Emil Mayer ist der kleine Band
„Wurstelprater" von Felix Salten. Er erschien 1911
in Wien und verzeichnet 75 kleinformatige Bilder
(20. 3. bis Mitte Mai 1974) - (Abb. 1, 2, 3).
Galerie nächst St. Stephan
Maria Terzic
Eine Ausstellung mit Werkstattcharakter. Ein neuer
Querschnitt mit großem Anteil an Bleistiftzeichnun-
gen und Skizzen. Terzic, Jahrgang 1945, neuer-
dings Lehrbeauftragter an der Hochschule für
angewandte Kunst in Wien, wäre im Documenta-
Jargan den „individuellen Mytholagien" zuzuordnen.
Sein Werk repräsentiert den sensiblen,
seismographisch reagierenden Einzelgänger. Es
erstreckt sich von der ldeenskizze und der Notiz
über Fundstücke (und ihre Zusammenhänge) bis zu
Obiekten, Konstruktionen und Modellen. Einer der
interessantesten Vertreter iunger österreichisdier
Kunst (6. bis 27. 4. 1974) - (Abb. 4, 5).
Galerie Schottenring
Birgit Jürgenssen
Ausstellungsdebüt der iungen Wienerin mit fünfzig
Zeichnungen und mehreren Obiekten neuesten
Datums. Ein durchschlagender Erfolg bei Presse und
Publikum.
Stilistisch könnte man Jürgenssans sensible Zeich-
nungen in Mischtechnik und die derselben Denk-
und Vorgangsweise zwischen Realität und Traum
40
verpflichteten Obiekte als „Paetischen Realismus"
bezeichnen. Es ist eine durch und durch persönliche,
intime Welt, in der Poesie und Verfremdung, Ernst
und Ironie, Reales und Surreales einander ebenso
bedingen wie verbinden. Dem bildnerischen
Beharrungsvermögen und zeichnerischen Können
stehen Charme, Humor und gelegentliche Doppel-
bödigkeit zur Seite. Das Flair ihrer Blätter verrät
Anflüge von Wehmut und Romantik. Die Art und
Weise, in der Birgit Jürenssen im Spannungsfeld
von Mensch und Natur Gegenstände herausgreift,
sie umschreibt, bestimmt oder verändernd inter-
pretiert, ist von einem Feingefühl getragen, das die
Freiheit besitzt, der Ratio zu entsagen. Die Realität,
die unser Leben individuell und relativierend be-
stimmt, wird von der Künstlerin teilnahmsvoll, doch
nicht tendenziös, gesehen. Wunsch und Hoffnung
sind darin ebenso enthalten wie kritische Seiten-
hiebe, Abschweifungen und das Recht des Anders-
seins (30 1. bis 9. 3. 1974) - (Abb. 6, 7).
Galerie Ariadne
Peter Sengl
Sengl, der 1973 vor allem in der deutschen Bundes-
republik ungewöhnliche Verkaufserfolge erzielen
konnte, ist weiterhin gut in Schuß. Seine neuen
Zeichnungen und Bilder unterstreichen einmal mehr
die höchst eigenständige Kombinationsgabe des
den „Wirklichkeiten" ursprünglich verwandten,
inzwischen allerdings längst seine eigenen Wege
gehenden Steirers. In den Zeidinungen erweist sich
das forcierte Aussparen größerer weißer Stellen als
spannungssteigernder Vorteil. Ein Werk, das den
Betrachter auch im Sinne des Erzählerischen und
Legendenhaften aktiviert. Eine im besten Sinne
seltsame Welt und damit eine Antipode zu den
gängigen Kunstmoden und Tendenzen
(April 1974) - (Abb. B).
Galerie auf der Stubenbastei
Peter Carer
Ursprünglich fast nur Maler (wenn auch mit
deutlicher Betonung grafischer Komponenten), hat
sich Carer neuerdings stärker auf die Zeichnung
konzentriert. Rund 15 Blätter, ergänzt durch drei
größere Bilder, stellte er in der Stubenbastei vor.
Sein Realismus besitzt gesellschaftskritische
Bezüge, ohne plakative Mittel zu gebrauchen.
Indem er Zustände (etwa eine Party) momenthaft-
prägnant und zugleich stellvertretend für Ver-
gleidibares wiedergibt, zeichnet er ein zunehmend
dichter werdendes Bild des heutigen Menschen. Er
selber spricht von „Schautafeln gesellschaftlicher
Wirklichkeit". Unter den neuen Realisten zweifellos
einer der interessantesten und konsequentesten
(2. bis 27. 4. 1974) - (Abb. 9).
Galerie Klewan
Klassiker der Moderne
Eine auf Konstruktivisten spezialisierte Gruppen-
schau, mit der Klewan von der Wiener Kunstszene
Abschied zu nehmen gedenkt. Sein Versuch,
klassische Moderne und österreichische Avantgarde
permanent zu zeigen und auch in Österreich zu
verkaufen, erwies sich leider als nicht gewinn-
bringend. Um als Galerie kommerziell durchzu-
kommen, wird der Schwenk in Richtung sicherer
Historie nicht lange auf sich warten lassen. Die
strukturellen Bedingungen und Mängel der öster-
reichischen Kunstszene lassen auch in diesem lndiz
deutlich lokale Pravinzialität und das Fehlen einer
informierten finanzkräftigen Sammlerschicht mit
kritischem Unterscheidungsvermägen erkennen. Von
Arp über Bayer, Grosz, Leger, Magritte, Man Ray,
Moholy-Nagy bis zu Schwitters reichte das somit
zum letzten Aufgebot gewordene Angebot
(20. 3. bis 20. 5.) - (Abb. 10).
Künstlerhaus-Galerie
Valentin Oman
Als Grafiker mit Konsequenz gelang Oman in den
letzten Jahren auch international der Durchbruch.
Placierungen und Preise bei Grafikbiennalen und
Wettbewerben sorgten für Reputation und Publizität.
Seine iüngste Wiener Ausstellung unterstrich deut-
lich Fortschritte innerhalb der von ihm prakti:
Figuration. Seine Zeichnungen, Gouachen un
drucke sind Variationen der menschlichen Fi
sind Blätter äußerster Spannung und Feinne
die das Gleichnishafte menschlicher Existenz
differenzierter grafischer Aufschlüsselung sim
aufzeigen. Oman bedient sich dabei des Effe
der Comic strips, der Bildgeschichten, was ia
in einigen Blättern von Hrdlicka unter andere
Fall ist. Der Verzicht auf ieden größeren Auh
tut Omans Blättern gut. Einsatz und Konzentr
erweisen sich gerade in der von ihm praktizii
vernünftigen Beschränkung als Plus einer eigt
digen Entwicklung, in die man weiterhin Hof
setzen kann (13. 3. bis 14. 4.) - (Abb. 11).
Atelier Gerersdorfer
Peter Dworok
Die ambitionierte Ateliergalerie zählt schon
Jahren zum Geheimtip versierter österreichisi
Sammler. Gerersdorfer, der ursprünglich mit
Edition und eigens veranstalteten Kunstaber
Studenten begann und bisher nur als Privatgi
fungierte, hat sich nun doch für den Schritt in
breitere Öffentlichkeit entschlossen. Dies vor
um den von ihm vorgestellten Künstlern zu m
Publizität zu verhelfen. Die in der Mariahilfe
Straße 12 gelegene Stockwerkgalerie verfügt
ein reiches Lager österreichischer Gegenwc
(vorwiegend Grafik). Mit Peter Dworak tat m
insofern innerhalb des neuen Programms ein:
guten Griff, als dieser iunge Wiener Maler u
Zeichner zunehmend stärker zu sich selbst fin
und in einer erst in diesen Monaten entstand
größeren Folge von Pastellen („Brustbilder")
auf weiten Strecken überzeugenden Beweis fi
nach wie vor gegebene Berechtigung eines
expressiven Realismus nachdenklicher Grunc
antrat (4. 2. bis 3. 3.) - (Abb. 12). Pet: