Karl Kosel
Studien zur spätbarppken
Stuckdekoration in Osterreich
und Schwaben
OR
Wenn hier nach meinen beiden vorangegangenen
Veröffentlichungen der Versuch unternommen
wird, die Auswirkungen der Konstellation Fischer
v. Erlach - Barbarino in einem größeren zeitlichen
und räumlichen Zusammenhang darzustellen, so
sind hierfür zwei Gründe der unmittelbare AnlaB: 1.
Die mit seltener Eindeutigkeit faßbare Auswirkung
des Dekorationsstils der Italiener und Fischers v. Er-
lach in der figürlichen Stukkatur der Klosterkirche
Holzen, wo mit Pater Christoph Vogt als örtlichem
Bauleiter der spätere Stiftsbaumeister von Ottobeu-
ren tätig war'. Christoph Vogt und der aus Holzen
gebürtige Kaspar Ftadmiller importierten die Ideen
von Fischers Salzburger Kirchenbauten nach Ot-
tobeurenz. 2. im Zusammenhang damit ist es die
Neuauflage der Monographie Hans Sedlmayrs über
Fischer v. Erlach, die den letzten Anstoß zu diesem
Versuch gabJ. Der Hinweis auf die Auswirkungen
der Salzburger Kollegienkirchenfassade in Schwa-
ben und auf seinen Einfluß beim Ludwigsburger
Schloßbau steckte das Dreieck Salzburg. 0ttobeu-
ren und Ludwigsburg als Rahmen meiner Untersu-
chung ab'. Dabei gehe ich von der Überlegung aus.
daß den Ausstrahlungen von Fischers Ornamentstil
nicht nur eine punktuelle Wirkung beschieden ge-
wesen sein konnte, wie dies im Schloßbau der Fall
ist. Um es vorwegzunehmen: Für Diego Francesco
Carlone als den genialen Interpreten von Fischers
Salzburger Ornamentstil gilt Sedlmayrs Feststel-
lung hinsichtlich des Schloßbaus, daß die ersten
Adepten von Fischers Kunst im deutschen "Aus-
land- gerade Italiener warens. Die durch ihn vermit-
telte Ausstrahlung des Dekorationsstils Fischers
v. Erlach auf die Wessobrunner Stukkatoren, vor al-
lem auf die Gebrüder Zimmermann und Schmuzer.
war erhebliche. - Es sei hier nur kurz darauf hinge-
wiesen, daB auch Ehrgott Bernhard Bendl bei der
Verbreitung von Fischers Salzburger Dekorations-
stil eine Rolle gespielt hat. DerWclkenhimmel seiner
Stuckdekoration am Langhausgewölbe der Wall-
fahrtskirche Gartlberg bei Pfarrkirchen (1713) stellt
eine phantasievolle Übersetzung der Stuckglorie
des Hochaltars in der Salzburger Kollegienkirche
dar'.
Auch bei den späteren Stuckdekorationen, die Fi-
scher v. Erlach nachweislich entworfen hat, spielt
das Girlandenmotiv eine wesentliche Rolle. Es sei
hier nur an die Kuppelstukkatur in der Vorhalle der
Salzburger Kollegienkirche erinnert. Die künstleri-
sche Entwicklung von Diego Franceso Carlone wird
durch seine Zusammenarbeit mit Fischer v. Erlach
in Salzburg entscheidend geprägt. Von hier aus
setzt die Ausstrahlung des Ornamentstils Fischers
v. Erlach nach Schwaben ein. Den vollen Umfang
dieser Auswirkungen beginnt man erst jetzt in Um-
rissen zu ahnena. Die beiden Hauptzentren dieses
italienischen Einflusses unter umgekehrtem Vor-
zeichen sind Schloß Ludwigsburg und Kloster Ot-
tobeuren. Bei den wenigen Beispielen, die hier be-
handelt werden können, wird sich auch noch im
zweiten und dritten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts
die Auswirkung Barbarinos bis zur dritten Hand klar
feststellen lassen.
Noch während seiner Zusammenarbeit mit Fischer
v. Erlach in Salzburg stuckiert Diego Francesco Car-
lone 1708109 das Ambulatorium im Stift Lambachs.
Die Bedeutung dieser Stuckdekoration, womit die
direkte Entwicklung zu seinen reifen Werken in
Ludwigsburg eingeleitet wird, liegt in zwei Tatsa-
chen begründet: 1. ist sie sein erstes selbständiges
Werk unmittelbar vor dem Abschluß seiner Salzbur-
gerTätigkeit, 2. bringen ihn die LambacherAufträge
in die unmittelbare Nachbarschaft von Kremsmün-
ster. Hier seien nur die Girlande und die verklam-
mernden Kartuschenformen in ihrer bildlich-räum-
lichen Struktur herausgegriffen. Diese bilden, op-
tisch vor der Gewölbefläche schwebend, ein rhyth-
misch reich variiertes Beziehungssystem zwischen
den gemalten und stuckierten Bildern (Abb. 1). Im
bildlichen Gesamtzusammenhang der Gewölbede-
koration dominieren sie entschieden über die unter-
teilenden Rahmenformen und erfüllen mit ihrem il-
lusionierenden Schwebezustand lene bildräumliche
Grundstruktur, die wir bei Barbarino in der Serviten-
kirche Wien und in Kremsmünster beobachtet ha-
ben. Die Verdichtung der rhythmisierten Girlanden
zwischen den Bildzentren der einzelnen Gewölbe-
abschnitte und ihre Zusammenfassung durch die
Kartuschen läßt sie, von der Flächenbindung gelöst.
als integrierende Bestandteile der Bildräumlichkeit
erscheinen. Dieser Bildräumlichkeit im illusionisti-
schen Sinneentsprichtihre gesamträumliche Struk-
tur im architektonischen Sinne. Unterhalb des Ge-
simses erscheinen sie in fast völliger Freiräumlich-
keit als Umrahmungen an den Oberkanten der Fen-
sternischen und an den Schmalseiten des Saales in
den Bekrönungen der Figurennischen und der Tür-
rahmungen. Die Zusammenfassung dieser frei
rhythmisierten Girlanden, die als Rahmenmotive in
subtil differenzierter Spannung zur geometrischen
Strenge der Wandgliederung stehen, erfolgt im De-
kor der Säulenkapitelle. Die zwischen den Voluten
herabhängenden Blattgirlanden beweisen einwand-
frei die Übernahme dieses Kapitelltyps aus der
Stiftskirche Kremsmünster. Gewiß sind die Stuck-
dekorationen Fischers v. Erlach als die primäre Stil-
quellen für Diego Francescc Carlone anzusehen,
doch ergibt sich daraus mindestens eine indirekte
Berührung mit dem Dekorationsstil Barbarinos.
Ein genauer Vergleich mit der Stuckdekoration der
Kollegienkirche (1705-1707) ergibt selbstverständ-
lich zunächst ein hohes Maß an struktureller und
motivischer Übereinstimmung". Doch auch dann,
wenn man die nicht ausgeführten Decken- und
Wandgemälde in Betracht zieht, bleiben einige we-
sentliche Unterschiede zwischen der Salzburger
und Lambacher Dekoration bestehen, die auf ihre
Beziehung zu Barbarino zu untersuchen sind. Das
rhythmische Verhältnis der Girlanden zu den Rah-
menleisten in Lambach, die den Gewölbespiegel
umgrenzen. ist ohne das Vorbild der Salzburger
Vorhallenstukkatur nicht denkbar (Abb. 2). Die An-
hebung der Girlande und der Puttengruppen durch
einen architektonisch geformten Bildsockel über
den toskanischen Pilasterkapltellen unter Einschal-
tung von Muscheln mit Engelsköpfen in den bemalt
zu denkenden Bildraum des Gewölbes steht eindeu-
tig in Beziehung zur Stuckdekoration in der Kuppel
der oberen Gruftkapelle des Grazer Mausoleums
und damit zu den Gewölbestukkaturen Barbarinos
in den Seitenschiffen der Stiftskirche Kremsmün-
ster. Mit dem architektonischen Bildsockel verbin-
det sich aber eine stärkere Tektonisierung des bild-
räumlichen Aufbaues der Stuckdekoration. Diese
Tektonisierung wird im Innenraum der Kollegienkir-
che zur dominierenden Struktur der Stuckdekora-
tion. Die Wandstukkaturen in den Ouerarmen über
den Durchgängen zu den Seitenkapellen machen
dies anschaulich (Abb. 3). Die Bildräumlichkeit der
prospekthaft hintereinander gestaffelten Dekora-
tionspartien in den Seitenkapellen und Ouerarmen
ist mit wunderbarer Übersichtlichkeit und Transpa-
renz durchgeführt, doch bleiben die einzelnen Be-
reiche-Architektur,Stukkaturund geplante Malerei
- klar voneinander getrennt. Die zeichnerische Klar-
heit der Wandstukkatur in ihrem Schwebezustand
vor der Wandfläche ist völlig aus der Reliefschich-
tung der Architektur entwickelt. Die tektonische
Grundstruktur des Ornaments kommt besonders
klar bei den Kartuschen an den Bogenscheiteln zum
Ausdruck. Die Aufwölbung ihrer Binnenfläche läßt
im Gegensatz zur rhythmischen Freiräumlichkeit
der umgrenzenden Voluten das Bogenprcfil durch-
schimmern und bekundet damit die Bindung an die
Architektur. In Lambach dagegen ist bei völliger
Übereinstimmung mit der Salzburger Kartuschen-
form die Flächengliederung in den Übergängen zwi-
schen den Deckengemälden überlagert, ja völlig