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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXV (1980 / Heft 168)

Ernst Schäli 
Friedrich Adler (1878 - 1942) 
ein zu Unrecht vergessener Künstler des 
deutschen Jugendsfils 
Als vor einem guten Jahrzehnt der Kunststil der 
Jahrhundertwende wiederentdeckt wurde, ist über 
manchen seinerzeit bekannten, aber inzwischen 
fast schon wieder vergessenen Künstler geschrie- 
ben worden. 
im Gegensatz zu dem in Frankreich entstandenen 
Impressionismus, der zugleich mit dem Jugendstil 
die Malerei umwälzend beeinflußte und später kei- 
neswegs an Beliebtheit abnahm, waren dem Ju- 
gendstil nur wenige Jahre im neuen Jahrhundert 
vergönnt. So spontan wie er entstand, so rasch 
war er auch wieder verschwunden. War der Im- 
pressionismus fast ausschließlich ein neuer Mal- 
stii, der auch die Bildhauerei stark beeinflußte, 
war der Jugendstil im weitesten Sinne ein Kunst- 
stii für Malerei und Plastik, für Architektur, für Mo- 
bel sowie für alle Dinge des Alltagslebens. 
An dieser Stelle soll nun erstmalig über einen die- 
ser vergessenen Künstler berichtet werden. Fried- 
rich Adler wurde am 29. April 1879 in Laupheim ge- 
boren. Er entstammte einer Kaufmannsfamilie der 
großen jüdischen Gemeinde des südlich von Ulm 
gelegenen oberschwäbischen Oberamtsstädt- 
chens. 
Die Adlersche Familie hatte ausgesprochen musi- 
sche Talente. Die älteren Brüder Friedrichs waren, 
wie er selbst, hervorragende Pianisten. in der Fa- 
milie wurde iährlich einmal von den Familienmit- 
gliedern ein Theaterstück aufgeführt. Es wurde 
von Bruder Jakob geschrieben und einstudiert. 
Friedrich Adler besuchte in Laupheim die israeliti- 
sche Volksschule und anschließend die dortige 
Fieaischule sowie vom Herbst 1894 bis 1898 die 
königliche Kunstgewerbeschule in München. 
Nach dreieinhalbiährigem Studium war er an- 
schließend einige Jahre in München als freischaf- 
fender Künstler tätig. 1902 nahm er ein weiteres 
Studium in den neugegründeten Lehr- und Ver- 
suchsateliers von Hermann Obrist und Wilhelm 
von Debschitz in München auf. Von 1904-1907 
war er dort Lehrer der Fachklasse für Metallarbei- 
ten. 
Schon früh stellen sich Erfolge ein. Bei einem 
Wettbewerb für den Jahreseinband der Münche- 
ner Fachzeitschrift "Kunst und Handwerk-r erhielt 
er den Ersten Preis zugesprochen. Es war dies zu- 
gleich die erste Publikation in dieser Zeitschrift 
über eine Arbeit des gerade erst Zwanzigjährigen. 
Es sollten in den darauffolgenden Jahren noch 
viele folgen. 
Die hier erfolgte Gestaltung des Einbandes soll 
die Zusammenarbeit des Künstlers mit dem Hand- 
werker symbolisieren. Aus einer Ähre sprießt ein 
Zweig. Er wächst durch das Wappen der Künste 
und des Handwerks, um sich kreisförmig zu 
schließen. Oben steht in Ananasform ein Pokal. Er 
krönt symbolisch das Ganze. 
in den folgenden beiden Jahrgängen der gleichen 
Zeitschrift wurden nicht weniger als 23 Entwurfs- 
abbildungen von Gebrauchs- und Kunstgegen- 
standen publiziert, dazu ein Aufsatz über den jun- 
gen Künstler. Fiecht unterschiedlicher Art sind 
diese Entwürfe und zugleich sehr typisch für das 
Kunstschaffen in dieser Zeit. Man findet hier Ent- 
würfe für geschnitzte oder gegossene Kapitelle, 
ferner einen gemalten Wandfries sowie Zinnscha- 
len und eine Petroieumlampe. Ferner einen Silber- 
pokal von besonderer Eleganz, aber auch Entwür- 
fe für Stickereiarbelten und sogar solche für Spiri- 
tuskocher und Schirmgrlffe. 
Tatsächlich waren seine Entwürfe für Zinn- und 
Siiber- sowie für Gebrauchsgegenstände ge- 
schätzt. Sie wurden von angesehenen Zinngie- 
24 
ßern, Gold- und Silberschmieden angefertigt. So 
arbeiteten u.a. die Nürnberger J.C. Wich und 
W.Scherf, in Regensburg Eugen Wiedamann so- 
wie in Heilbronn Paul Bruckmann nach Adler- 
schen Entwürfen. Die Entwürfe wurden sowohl für 
Serienherstellung als auch für Einzelstücke ver- 
wendet. Solche sind als sakrale Kultgegenstande 
für den Gebrauch in der Synagoge bekannt. Die 
Fa. Bruckmann stellte beispielsweise 1912, wohl 
für eine Hamburger Synagoge, eine silberne Tho- 
rakrone (Abb. 2), besetzt mit Amethysten, und ei- 
nen ebenfalls aus Silber mit Edelsteinen besetz- 
ten Thoraschild (Abb. 3) her. Einige Jahre später 
entstand, wiederum bei Bruckmann, eine Seder- 
platte aus versilbertem Zinn. Außer einem Becher, 
der zur Sederschale (Abb. 4) gehörte und sich heu- 
te in Nordamerika befinden soll, ist wohl alles im 
sogenannten Dritten Reich zugrunde gegangen. 
 
1 
Für die "internationale Ausstellung für moderne 
dekorative Kunst-r in Turin (1902) wurde Adler von 
der Württembergischen Landesgruppe des Deut- 
schen Werkbundes die dekorative Gestaltung des 
Vorraumes als Auftrag übergeben. Von ihm 
stammten Entwürfe für die Tafelung, für den 
Deckenstuck und die Türeinfassung. Auch Lam- 
pen und verschiedene Möbel wurden damals von 
Adler entworfen. 
im Oktober 1903 übernahm Adler in der Obrist- 
Debschitz-Schule in München zunächst das Lehr- 
amt für das Spezialfach der Stucktechnik. Dieses 
Stiefkind des modernen Kunsthandwerks sollte 
damals neu belebt werden. Die Stuckformen wur- 
den früher fast ausschließlich fabrikmäßig herge- 
stellt. Stukkateure gab es damals im eigentlichen 
Sinne nicht mehr. Nun sollte in dem Atelier die 
Stucktechnik mit neuen, zeitgemäßen Kunstfor- 
men wieder gelehrt werden. Die Lehrarbeit begann 
bereits mit der handwerklichen Vorarbeit, nämlich 
dem Profitieren, sowie der Herstellung von Hohl- 
kehien, ferner dem Modellieren und Auftragen. 
Die stilistisch veralteten Formen aus Neo-Fiokoko 
und Neo-Kiassizismus wurden damals durch neue 
Entwürfe zu einem Großteil von Friedrich Adler er- 
Setzt. 
Als Architekt wurde er vor allem durch seine Ge- 
staltung von Fenster- und Portalelnfassungen be- 
kannt. Jede Fuge im Sandstein war gesetzt, und 
sie wurde dadurch in das Gesamtbild präzis 
gefügt. Eine einfache, iedoch formschöne T 
fassung, die auf Friedrich Adler zurückgeht, 
einem Haus in Laupheim, König-Wilhelm-E 
Nr. 21, erhalten geblieben. Das Künstlerzeich 
nerhaib der Jahreszahl 1905 ergibt mit Sich 
die Gewißheit über den Entwerfer. Das i 
Haus zeigt im Detail die unverkennbare ii 
kung Adlers. Mit-Architekt war der München: 
heim Spannagel. 
in den einschlägigen Künstierlexika wird 
auch als Bildhauer erwähnt. Ob er auch eige 
dig Bildwerke ausführte, ist nicht bekannt, jt 
hat er Entwürfe für Skulpturen gezeichnet. E 
dies insbesondere für Grabmäler. Man find 
in christlichen und in jüdischen Friedhöfen ir 
Göppingen, Hamburg sowie in Laupheim. i 
chem Maße sind im Laupheimer jüdischen 
hof von ca. 1910 bis 1935 von Adler gest 
Grabmäler erhalten. An diesen Laupheimer 
mälern ist, außer einem Werk im christl 
Friedhof für lda Fiechtsteiner aus dem Jahr 
der Jugendstil überwunden. Allenfalls finde 
nur an einigen frühen Steinen Ornamenti 
noch ein wenig an diesen Stil erinnern. Alle 
gen sind bereits dem Expressionismus veri 
tet. Nicht nur in seinen Entwürfen war Adl 
moderner und fortschrittlicher Künstler, so 
er beeinflußte in gleicher Weise ihre Herstell 
technik. So wurden einige schwierige Forn 
Kunststein im Gußverfahren hergestellt. S 
ßen sich mit dem Meißel nur sehr schwieri 
zeitraubend herstellen. Wenn man heute eii 
wisse Abneigung gegenüber dem Kunststeir 
findet, so darf man keineswegs vergessen, d. 
Witterungsempfindiichkeit des Naturstein 
sentlich größer als beim Kunststein ist. Ga 
sonders stark sind die klimatischen Ein' 
beim Sandstein festzustellen. im Unterschi 
solchen Grabmälern sind diese aus Kuns 
noch nach vielen Jahrzehnten in bestem 
tungszustand. 
Eine symbolisierende Frauengestalt aus 
beim mit goldgefaßtem Kleid im Gewerbemu 
Nürnberg mit der Signatur Adlers, ausgefüh 
Emil Kellermann (1911) (ca. 48 cm hoch). i: 
eleganter Anmut (Abb. 1). Die auf Zehen aufg 
tete Gestalt trägt einen Seeadler mit angel 
Schwingen. Elfenbein ist ein Werkstoff, der 
wiederholt bei von Adler entworfenen Kuns 
Schmuckgegenständen antrifft. Eine Brosci 
bergefaßt, aus dem Jahr 1912, 6,5 cm gro 
rückseitiger Signatur), ist ein adäquates Be 
dafür (Abb. 23). Das Relief zeigt einen unter s 
gelagertem Trompetenblütenbaum sitzi 
Frauenakt. Die Hände sind um das angewii 
Knie geschlungen. Der Kopf mit langem wel 
Haar ist nach oben gerichtet. 
Auch bei einer für das Nürnberger Gewerl 
seum im Jahr 1910 nach Adlers Entwurf vc 
Firma J.C. Wich hergestellten Silberbowle, i 
hoch, wurde Elfenbein verarbeitet (Abb. 6, 6: 
zusätzliches Material wurde hier Email, mi 
die tieferiiegenden Ornamente ausgelegt 
verwendet. Die Silberbowle ist ein außerge 
lich schönes Beispiel einstiger Nürnberger 
schmiedekunst. Sie sollte indessen nicht lar 
ihrem Standort in einer Vitrine des Gewerl 
seums stehen. im Jahr 1914 wurde sie mit an 
Kunstobjekten nach Lyon zu einer Ausstellu: 
bracht. Von ihr sollte sie 60 Jahre lang nicht 
zurückkehren. Nach vielen Widrigkeiten, v 
nem Streik der Arbeiter, welche den Ausstel 
paviiion zu errichten hatten, sowie einer 
schwemmung, wurde die Ausstellung ver: 
eröffnet. Der Krieg brach aus, und an eine 
führung des Stücks war nicht mehr zu de 
1923 wurden die Gegenstände schließlich Vt 
gert, weil die Forderung der Franzosen für d
	        
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