Herbert Giese
Aspekte des Wiener Kunst-
gewerbes um 1900
Dualismus als Prinzip
lgende Arbeit beschäftigt sich mit dem Wiener
lewerbederZeitvon 1901 bis 1907. DerZeitraum
ründet in den Flandillustrationen Kolo Mosers in
8 und 19 des Ver Sacrum einerseits und Kolo
s Ausscheiden aus der Wiener Werkstätte
zrseitsY Der gewählte Zeitraum macht klar. daß
ischichte des Wiener Kunstgewerbes - nach
wg des Autors _ nur zum Teil mit der der Wiener
sion deckungsgleichverläuft. Der Höhepunkt des
er Designer ist in einer Zeit erreicht, da die Wiener
sion ihre revolutionär-avantgardistische Phase
sich hat. ia mit dem Zerfall zu kämpfen hat?
sätzlichistnichtdarangedacht.Stilgeschichtezu
wen. Vielmehr soll der Versuch unternommen
1, das Wiener Kunstgewerbe in seiner Einzigar-
zu charakterisieren, aufzuzeigen, worin die ein-
Leistung liegt und das nicht nur auf Grund der
Jferstellungiifürdieeuropäische Entwicklungder
Jahrhunderthälfte. Diese Linien liegen relativ
d deutlich vor uns.
chtet dessen bleibt uns eine stilistische Betrach-
cht erspart. Wiens formale Sonderstellung inner-
er europäischen Jugendstilbewegung ist unbe-
t. Anfangs noch durchaus konform mit den flora-
aomorphen Stilelementen des kontinentalen,
iropäischen Jugendstils. beginnt sich in Wien ab
trhundertwende der ngeometrische Aspektti ver-
n Szene zu setzen. Träger dieses neuen bis dato
tfrühkonstruktivistischi genannten Stils sind als
ionen die Wiener Kunstgewerbeschule und die
r Werkstätte bzw. als Künstler die in Personal-
an beiden Anstalten wirkenden Josef Hoffmann
loman Moser. Sie beide dürfen als wErfinderti des
r Stils bezeichnet werden.
ann und Moser standen selbstverständlich nicht
eeren Raum. Mit Recht wird immer wieder auf
tfluß der Schotten verwiesen. deren triumphale
llungsbeteiligung in der Wiener Sezession als
JSiÖSEHde Moment der Wiener Entwicklung be-
et werden mußa. Auch die autochtonen Wiener
ln -die überOttoWagner aufSemper und weiter
t Klassizismus zurückverfolgbar sind - dürften
lest im großen Zusammenhang bekannt sein.
st der beiden Leistung, die Aufnahme und Verar-
J der vorhandenen Anregungen zu einem neuen.
ionären und sinnbildhaften Ganzen unbestreit-
e der großen Leistungen unseres Jahrhunderts
sem Gebiet. Selbst wenn es keine Nachfolge ge-
wattewenndie deutschen Kunstzeitschriften der
igszeit nicht voll wären von Ab-, Um- und Nachbil-
1. selbst wenn es kein Bauhaus gegeben hätte
ine der zahlreichen Ableitungen aus Wien, wäre
stung Hoffmanns und Mosers als Dokumenteiner
klung nicht hoch genug zu bewerten. Was uns zu
Behauptung ermutigt, will diese Arbeit zu bewei-
rsuchen.
gemeine Interesse am Jugendstil hat in den letz-
fzehn Jahren dazu geführt. daß die Kunstproduk-
r Jahrhundertwende verstärkt Beachtung findet.
Zahlreiche Ausstellungen, unzählige Publikationen nüt-
zen den von Händlern und Museumsleuten initiierten
(freilich auch sozialpolitisch verstehbaren) Trend zu ei-
nerAufarbeitungskampagne auf breiter Basis. Das Ma-
terial wurde gesammelt. gesichtet, anfangs weniger.
später mehr ausgewählt und in Themen- und Einzelaus-
stsllungen präsentiert. Nach dieser venzyklopädi-
schenit Phase kam es zu Interpretationen. Deutungen
und Bearbeitungen. wobei das Gebiet des Kunstgewer-
bes weitgehend von dieser Aufarbeitung ausgesperrt
blieb und mit wenigen Ausnahmen noch heute im Kata-
logisierungsstadium verharrt.
I
l ARNO HQLZ III
I 5 DIE I l'l
I BLECHSCHMIEDE
l I
I NEUE l
FRAGMENTE
191
1 Ver Sacrum. Heft 1B. Frontispiz. Entwurf: Koloman Moser
(1901)
Anmerkungen 1 - 5
' nlllustrlert- werden in beiden Heften unter dem Titel nDle Elechsclimie-
de- rNeueFragmente-von Arno HOII DerDekor bestehtausschließticn
aus schwarzen und weißen Quadraten. die in zahlreichen Variationen
den Text begleiten.
Die stupende Neuerungwird alletn schon im Vergleich milden den Hef-
ten beigegebenen Inseraten deutlich. die großtells im floralen Jugend-
stil (westeuropaischer Prägung) gestaltet sind.
l Nach Streitigkeiten innerhalbderSezession (esbildeten sich zweiGrup-
pen. eine umden fortschrittlichen Klimt. dlesicli in der Folge im Rahmen
der Kunstschau präsentierte. und eine konservatlvere um Josef Engel-
ttart) kam es 1905 zu einer Spaltung.
' Vlll. Ausstellung der Wiener Sezession vom 3 I). bis 27.12.1900.
' Entscheidende Anstöße gaben die von Julius Hummel und Oswald
Oberhuber zusammengestellten Ausstellungen (Österrerchischa
Avantgarde isoo e 193a. Ein unbekannter Aspekt; Galerie netcnst
St Stephan - Wien. Dezember tevs. unaoann Fruhes lndustrtedeslgn
Wien tsoo bis tsoa. Galerie nachet si. Stephan, Juni - Jul! 1971; von
beiden Ausstellungen existieren reichhaltige Kataloge).
I Eine schöne Auswahl in den unter Anm 4 zitierten Katalogen.
Was das Wiener Kunstgewerbe betrifft. war die
tion noch krasser. Es wurde zwar vieles erfaßt
kaum einerbefaßte sich mit seiner Bedeutung. Ei
wenigen Jahren und auf Grund privater Initiative
seine eigentliche Bedeutung hervorgestrichenV
aber auch hier zu kritisieren ist. daß wiederum n
historisch-kausale Zusammenhang als Hauptkrit
für die tischlüsselhafteii Bedeutung des Wiener I
gewerbes herangezogen wird. Unter dem Titel l
Wiener Werkstätte kein Bauhausti wird die abst
rende Tendenz als vFrühkonstruktivismust-i (eine
sem Zusammenhang problematische Qualität)
pretiert und so dem kausalen Geschichtsdenken
nung getragen. Nicht. daß es nicht tatsächlich en
einandergreifende Beziehungen zwischen dem i
Jahrzehnt in Wien undderweiteren Entwicklung ir
pa gegeben hätte. aber die Ausschließlichkeit l
Sicht versperrt den Blick fürdie autonome Leistui
Wiener Kunstgewerbes in diesem Zeitraum. Eir
che Betrachtungsweise - wir haben es schon g
- reduziert die Leistung der Wiener auf die von V
fern, läßt. gleichsam eschatologisch auf das Erg
(Bauhaus) blickend, das Vorhergegangene als
schenstufe erscheinen.
Wirwerden sehen. daß gerade das Wiener Kunstg
be neben seiner entwicklungsgeschichtlichen
durchaus autonom. von hervorragender Bedeutu
IV.
Die formalen Qualitäten des Wiener Kunstgew
lassen sich in wenigen Sätzen charakterisieren. C
sätzlich wird es durch die Verwendung geometri
Formen bestimmt. Kubus. Quader. Kugel und Zy
werden. solitär oder in Mischformen, als Bauelei
verwendet und zu einfachen bis komplizierten s
metrischen Objekten tizusammengebautrt. Als M:
dieser in iigruppenhaften Serientt (Wichmann) a
tenden Objekte kommen zurAnwendung: weißlac
Alpakka-oderSilberblechemitgleichförmigem hi
gestanztem Gitterdekor(dessenGrundmodulzurr
wiegenden Teil das Quadrat ist). dann fein gehäm
Metalle (Alpakka oder Silber). glatte Metalle mit
chen Schmucksteinen (Alpakka. Silber. nach 1905
Messing). Keramik in schwarzweiß oder einfärbii
bei lnnen- und Außenflächen gerne unterschiedlic
siert werden). Keramiken mit komplizierten Flinr
Schmelzglasuren; farbloses Glas mit zartem Lüs
kor und bisweilen Betonung der Lippe oderdes St:
mit dunkel verlaufenden Überfängen; Kartonart
mit Tunkpapierdekor. Lederobjekte mit Goldpr:
u. a. m5.
Grundsätzlich Iäßt sich feststellen. daß die Entwi
den ersten beiden Jahren der Wiener Werkstät
konsequentesten in ihrer stereometrischen Abhi
keit sind. Ab 1905 ist eine gewisse Bereitschaft zt
Iösung zu erkennen.
Trotz des durchgehenden Stilprinzips werden die
tionsmöglichkeiten voll genutzt. Das führt zu
"Empfindungspluralitälti wie sie einem twgenc
schaftlichen Stil-t (Wichmann) a priori nurschwer
trauen ist.
Die einzelnen Objekte können puristisch wirker
prunkvoll. funktionell oder verspielt. ihre Konstri
ist einmal klar und deutlich erkennbar und ein and