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Zunächst dreht er an dem Stahlstift der Hutnadel den Kern an. Zu dem Ende dreht er zuerst mit 
der Linken einen Milchglasstengel in der Stichflamme. Ist er weich, so steckt er das stumpfe 
Ende der Nadel in den Stengel und dreht in der Flamme einen kleinen Glaskern (Klautsch) auf 
die Nadel, den er in der Form rundet. Zur Dekorirung nimmt er einen grünen Atlasstreifen. In der 
Hitze ist der Streifen sofort schmiegsam und biegsam, und mit Hilfe geschickter Handbewegun 
gen überspinnt er mit dem Streifen den Kern. Spirallinien, gekräuselte Locken, kühn gewundene 
Bänder, die Form schief gerollten Papiers, zierliche Blüthenkelche entstehen. Das Auge des Zu 
schauers kann gar nicht so schnell folgen, als der Glasspinner die Kerne dekorirt. Im Handum 
drehen hat er den weichen Streifen über den Kern gewunden. Dann kommt noch die Spiegelung. 
Er tritt in den Balken und die Stichflamme zischt lärmend auf. In dieses Flammensprühen hält er 
den Nadelkopf. Die lebhafte Hitze bewirkt, daß sich die Ränder der zu Phantasieformen gewun 
denen Glasstreifen verspiegeln, das heißt, daß sie bei gewissen Farben (zum Beispiel grün) gol 
digen Glanz annehmen. Andere Nadeln zeigen wieder massive Krystallspiralen als Kopf oder 
metallische Kugeln, die mit vergoldeten Spitzen besät sind wie die Morgensterne, die furchtbare 
Waffe mittelalterlicher Kriegskunst, oder sie sind gerippte Krystallkugeln mit metallischer und 
buntfärbiger Einlage, die das Irisiren der Kugeln bewirkt. Es würde zu weit führen, wollten wir hier 
alle verschiedenen Formen und Farbenspiele beschreiben. „Ma lernt nie aus; alle Jahr wird an 
ders Zeug gemacht,“ sagt der Glasspinner. „Es sind Modesachen.“ 
Und der Preis für so viel Kunstfertigkeit, Erfindungsgabe und Geschicklichkeit? Er ist ein lächer 
lich geringer. Für das Gros fein dekorirter Hutnadeln sammt Packung in zwei Kartons zahlt der 
Exporteur dem Glasspinner 2fl. 50 kr. Was dieser Preis bedeutet, wollen wir an einem Durch 
schnittsbeispiel durchrechnen. 
Der Glasspinner hat folgende Auslagen: 
Stahlstifte per Gros (11 bis 17 kr.) 13 kr. 
Glas sammt dem Kern 40 ” 
Kaiseröl (für die Flamme) 10 bis 15 kr 13 ” 
Aufstecken der Nadeln auf Karten 2 ” 
Karten und zwei Kartons 15 ’’ 
In Summe 83 kr. 
Mit diesen 83 kr. sind die Spesen natürlich nicht zu Ende ... In der Regel arbeiten zwei Spinner 
Hand in Hand, und sie schaffen dann bei effektiv zehnstündiger Arbeit zwei Gros. Das gäbe für 
jeden eine Wocheneinnahme von 9 fl. Mit dieser kann der Spinner aber nicht im Durchschnitt 
rechnen. Ein Tag in der Woche geht in der Regel für die Liefer= und Einkaufgänge und für das 
Mustermachen verloren. Der Arbeiter muß fort und fort neue Formen ersinnen, will er kon 
kurrenzfähig bleiben. Dem Exporteur macht dies keine Sorge. Er zahlt nicht einmal die Muster, 
ja, er fühlt sich nicht einmal verpflichtet, immer dem Arbeiter die Bestellung zu übertragen, auf 
dessen Muster die Bestellung einlief. Der billigere hat den Vorzug. Das geistige Eigenthum des 
Arbeiters ist gar nicht geschützt. Das Mustermachen ist eine neuerliche, und zwar die empfind 
lichste Betriebsauslage, die der Spinner hat. Er muß nicht nur das theuer bezahlte Material weg 
schenken, er muß darauf auch noch Arbeit wenden, manuelle und geistige Arbeit. Die Erhaltung 
aller übrigen Betriebsmittel und des Betriebskapitals muß er also mit einem durchschnittlichen 
Wochenverdienst von etwa 7 fl. 50 kr. bis 8 fl. bestreiten. Daß auch der Spinner diesen geringen 
Verdienst, der für das Leben in der theueren Stadt Gablonz nicht ausreicht, durch Ausdeh 
nung der Arbeitszeit und durch Heranziehung seiner Familie zur Arbeit - das 
Aufstecken der Nadeln ist Frauen= und Kinderarbeit - zu erhöhen trachtet, dabei aber immer wi 
derstandsloser wird, wird Jeder begreifen. 
Im Wiener Modegeschäfte kosten die Nadeln per Stück 10 bis 15 kr., auch 20 kr. Der Expor 
teur kauft das Stück um etwas mehr als 1 V2 kr. Sein und der übrigen Zwischenhände Gewinn 
beträgt also reichlich 8 bis 18 kr. per Stück, während der erfindungsreiche Arbeiter ei 
nen Kreuzer als Lohn für thatsächlich geleistete Arbeit und als Entschädigung für seine Er 
findungsgabe und für die Abnützung und den Verbrauch der Betriebsmittel erhält... 
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